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       # taz.de -- Missbrauch in der Modebranche: Die unguten alten Zeiten
       
       > Der Designer Wolfgang Joop verharmlost sexualisierte Gewalt. Trotz seiner
       > Entschuldigung wird dadurch gesellschaftlicher Stillstand sichtbar.
       
   IMG Bild: Wolfgang Joop beweist: Auch heute darf man alles sagen. Aber heute gibt es eben auch Widerspruch
       
       Bekanntlich leben wir ja in Zeiten, in denen man nichts mehr sagen darf.
       Zumindest wird dieser scheinbare Verlust der Meinungsfreiheit ständig
       bejammert. Warum das Quatsch ist, hat kürzlich erst wieder der
       [1][Modedesigner Wolfgang Joop bewiesen]. In der aktuellen Ausgabe des
       Spiegels philosophierte er [2][im Interview] über Jogginghosen, lästerte
       ein bisschen über die Kleidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den
       vielleicht baldigen Vizekanzler Robert Habeck und trauerte den guten alten
       Zeiten hinterher.
       
       Doch die guten alten Zeiten sind für Joop anscheinend jene, in denen Frauen
       wie Menschen zweiter Klasse behandelt wurden – und es keinen interessierte.
       So sagt der 76-Jährige, er habe beim Tod von Karl Lagerfeld geweint, weil
       „diese Welt so wunderbar frivol und frigide war“. Als Beispiel führt er an:
       „Alles war käuflich. Die Agenturen gaben die Schlüssel zu den Zimmern der
       Models, die nicht so viel Geld brachten, an reiche Männer. Und wenn sich
       ein Mädchen beschwerte, hieß es: Wir können auch auf dich verzichten.“ Die
       beiden Redakteure Martin U. Müller und Tobias Rapp, die das Gespräch
       führten, reagieren darauf mit den Worten: „Das ist ja fürchterlich.“
       Woraufhin Joop entgegnet: „Ja. Aber wirklich schön ist die Modewelt nur,
       wenn es auch die Sünde gibt.“
       
       Wenn junge Frauen also sexuell genötigt und im schlimmsten Fall
       vergewaltigt werden, beschreibt Joop das als „Sünde“, die eine Modewelt
       erst „schön“ mache. Seine Worte sind im besten Fall eine Verharmlosung
       sexualisierter Gewalt, im schlimmsten eine Verherrlichung dieser.
       
       Diese wenigen Sätze reichen aus, um zu zeigen, wie wenig wir im Kampf gegen
       Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt bislang erreicht haben. Sie
       zeigen, wie sehr wir auf der Stelle treten – trotz der #MeToo-Bewegung. Gut
       vier Jahre ist es her, dass eine globale Debatte über sexualisierte Gewalt
       und Machtmissbrauch losgetreten wurde. Und während die einen sich freuen,
       es habe sich ja so vieles zum Positiven gewandelt, beklagen andere, die
       Bewegung sei zu weit gegangen, stelle Männer wahllos an den Pranger und
       übertreibe maßlos. Doch in Wahrheit hat sich gesellschaftlich kaum etwas
       verändert.
       
       ## Darüber reden reicht nicht
       
       Klar, es gab einzelne Erfolge, wie Gesetzesänderungen in einigen Ländern.
       Und das Aufrechterhalten einer Debatte über mehrere Jahre kann auch als
       Erfolg gelesen werden. Doch das Darüberreden wird irgendwann hinfällig,
       wenn gesellschaftliche Veränderungen ausbleiben.
       
       Auch die [3][Modebranche hat ihre #MeToo-Momente erlebt]. So wurden
       Vorwürfe gegen drei der renommiertesten Modefotografen erhoben: Terry
       Richardson, Mario Testino und Bruce Weber. Eine
       [4][New-York-Times-Recherche] behandelte Anfang des Jahres, was hinter den
       Kulissen der Luxusunterwäschenmarke Victoria’s Secret vor sich geht, und
       thematisierte dort auch die vielfachen Vorwürfe gegen den Marketingchef
       Edward Razek. Bei diesen vier Fällen gab es teilweise berufliche
       Konsequenzen, teilweise landeten die Fälle vor Gericht. Verurteilt ist
       bislang keiner der Beschuldigten.
       
       Und eine grundlegende Veränderung der Branche ist seitdem erst recht nicht
       sichtbar geworden. Und hier liegt genau das Problem. Auch wenn Joops
       Aussagen höchst problematisch sind, er ist nicht alleine das Problem. Es
       ist die Branche, die, wie viele andere, ihre strukturellen Probleme nicht
       aufgearbeitet hat. Machtmissbrauch und Belästigung haben wie in anderen
       Bereichen auch in der Modebranche nicht aufgehört.
       
       Im aktuellen Fall von Joop zeigt sich außerdem, wie viele seine Aussagen
       scheinbar durchgewinkt haben, ohne dass sie ihnen als problematisch
       aufgefallen sind. Als Erstes sind da natürlich die beiden Journalisten, die
       mit ihm das Gespräch geführt haben. Es ist ihre journalistische
       Verantwortung, kritisch nachzufragen, wenn jemand sexualisierte Gewalt
       verharmlost und Straftaten andeutet. Ein kleines „Das ist ja fürchterlich“
       reicht hier nicht aus. Das müsste auch den Blattmacher:innen und
       Chefredakteur:innen des Magazins auffallen, bevor sie ihr Magazin in
       den Druck schicken. Stattdessen ist das Interview im gedruckten
       Spiegel-Magazin geziert von lässigen Bildern des Designers. Weder im
       Inhaltsverzeichnis noch im Teaser oder in der Werbung bei Twitter wurde auf
       die problematischen Textstellen verwiesen.
       
       ## Zeit, die Täter zu ermitteln
       
       Zudem ist es in der deutschen Medienlandschaft Usus, dass Interviews
       autorisiert werden. Gerade Prominente nehmen dieses Angebot in der Regel in
       Anspruch. Nicht selten werden dabei große Teile des Gesprächs im Nachhinein
       von den Agenturen, Managements oder den Prominenten selbst wieder entfernt,
       um den Interviewten nicht schlecht dastehen zu lassen. Joops Aussagen aber
       blieben stehen. Sie sind also vermutlich über einige Schreibtische
       gewandert – und keine:r schien sich daran gestört zu haben.
       
       Nachdem Joop am Wochenende für seine Aussagen im Netz kritisiert worden
       war, hat er sich am Sonntag bei Facebook und Instagram bei allen, die er
       mit seinen Aussagen „verärgert und verletzt hat“, entschuldigt. Dort
       erklärt er, er habe mit drastischen Worten „auf die Korruption und
       Frivolität der siebziger und achtziger Jahre der Branche“ hingewiesen.
       Deren Bestandteil sei „bedauerlicherweise auch der respektlose und
       missbräuchliche Umgang mit Models“ gewesen. Und weiter: „Meine Aussage
       bezüglich der Sünde in der Modewelt war im Kontext deplatziert.“
       
       Und hier ist dann doch ein Unterschied zwischen heute und den guten alten
       Zeiten von damals, denen Joop hinterhertrauert. Denn natürlich kann noch
       immer alles gesagt werden, doch auch der Widerspruch gegen dieses Gesagte
       ist mittlerweile normalisiert. Gibt jemand öffentlich Misogynes von sich,
       bleibt ein Aufschrei nicht aus. Aber Aufschreie und Entschuldigungen werden
       nicht reichen, wenn wir wirklichen gesellschaftlichen Fortschritt wollen.
       Ein erster Schritt wäre jetzt, die Fälle von damals aufzuarbeiten: Die
       Models, über die Joop im Interview spricht, leben vermutlich alle noch.
       Spätestens jetzt also wäre es an der Zeit, die Täter zu ermitteln und zur
       Rechenschaft zu ziehen – Zeug:innen gibt es scheinbar genug.
       
       15 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Modedesigner-Wolfgang-Joop/!5628230
   DIR [2] https://www.spiegel.de/wirtschaft/wolfgang-joop-der-modeschoepfer-ueber-robert-habeck-und-karl-lagerfeld-a-f602a559-d3b4-427b-a34d-1c3ce8fea5b9
   DIR [3] /Machtmissbrauch-in-der-Modebranche/!5691001
   DIR [4] https://www.nytimes.com/2020/02/01/business/victorias-secret-razek-harassment.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carolina Schwarz
       
       ## TAGS
       
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