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       # taz.de -- Besonderheiten des American Football: Zur Theorie des Punters
       
       > Bislang galten die Spieler, die den Ball nach vorne schlagen, als
       > langweiliges Beiwerk des American Football. Bald könnte sich das ändern.
       
   IMG Bild: Matt Araiza (l.) erzielt ein Fieldgoal
       
       Im Football sind die Rollen klar verteilt. Der Star der Mannschaft ist
       immer (um das noch einmal klarzustellen: immer!) der Quarterback. Die
       schnellen Passempfänger und einen besonders gefährlichen Verteidiger, der
       den Quarterback des Gegners auf den Rücken legt, kennt man vielleicht noch
       mit Namen. Aber wenn der Punter aufs Spielfeld trottet, dann geht der
       Fernsehzuschauer aufs Klo und der Stadionbesucher holt sich noch ein Bier.
       
       Das ist seit neuestem anders, zumindest im Dignity Health Sports Park, wo
       die San Diego State Aztecs spielen. Wenn deren Punter [1][Matt Araiza] zur
       Erledigung seines Job schreitet, dann bleibt der Bierstand verwaist. In den
       sozialen Medien entwickeln sich die kurzen Filmchen, in denen er einen
       Football in die Luft kickt, zu Klickmonstern. Selbst Matt Araiza, der neue
       Star des College Football, ist davon überrascht: „Ich hätte nie gedacht,
       dass man so viel Aufmerksamkeit für das Treten eines Footballs bekommen
       kann.“
       
       Kurze Erklärung: Punten ist immer dann nötig, wenn die Angriffsbemühungen
       eines Teams zu nichts führen. Dann soll der Punter den Ball per Fuß
       möglichst weit in des Gegners Hälfte befördern, um der anderen Mannschaft
       den Weg zum Touchdown möglichst lang zu machen. Ein Punter soll den
       Football aber nicht nur weit kicken, sondern auch hoch, damit seine
       Kollegen aus dem Punt-Team die Möglichkeit haben, unter dem Ball
       mitzulaufen und den Versuch des Gegners, den Ball zurückzutragen, schon im
       Keim zu ersticken. Doch damit sind wir schon mittendrin in den technischen
       Details, die den gemeinen Fan ungefähr so interessieren wie einen
       Fußball-Ultra ein Einwurf an der Mittellinie.
       
       Dass der Punter immer dann zum Einsatz kommt, wenn im eigenen Angriff
       nichts geht, macht ihn zum Symbol für Erfolglosigkeit. Dazu kommt noch,
       dass so ein Punt an Slapstick erinnert: Ein Punter wirkt immer wie jemand,
       dem man eine heiße Kartoffel zugeworfen hat, die er nun versucht, irgendwie
       loszuwerden. Ein Punter ist niemand, über den sein Trainer das sagt, was
       Aztecs-Coach Brady Hoke am jüngst über Araiza sagte: „Matt ist unsere beste
       Waffe.“
       
       ## Warum ein Punter entscheidend sein kann
       
       Football-Trainer gehörten bislang zu den wenigen Menschen, die Punter
       tatsächlich zu schätzen wussten. Denn der Erfolg eines Teams hängt zu einem
       nicht unerheblichen Teil von den gerne vernachlässigten Special Teams ab,
       die beim Kickoff, bei Fieldgoals oder eben beim Punt ins Spiel kommen. Und
       ein guter Punter ist entscheidend, wenn es um die sogenannte Feldposition
       geht. Ob eine Offensive ihren Versuch, einen Touchdown zu erzielen, an der
       eigenen Mittellinie beginnt oder kurz vor der eigenen Endzone mit dem
       Rücken an der Wand steht, kann spielentscheidend sein. Wenn der Punter den
       Ball von der eigenen Endzone bis kurz vor die generische treten kann, dann
       verwandelt er mit einem einzigen Kick eine miese Feldposition in eine gute
       – und verändert die ganze Taktik und Psychologie des Spiels.
       
       Genau so ein [2][Punter ist Matt Araiza]. Der 21-Jährige, der das Kicken
       beim Fußball-Training lernte und in der Highschool auch als Sprinter
       reüssierte, hat ein dermaßen kräftiges linkes Bein, dass seine Punts
       regelmäßig über die Köpfe verdutzter Kick-Returner hinwegsegeln. Aber nicht
       nur gegnerische Spieler sind überrascht, auch Kameraleute verlieren immer
       wieder seine Kicks, die regelmäßig über 70 Yards weit fliegen, aus dem
       Bild. In diesem Jahr hat Araiza bereits zwei Punts über 80 Yards weit
       getreten, einer flog sogar 90 Yards weit – zum Vergleich: In der NFL gab es
       in den vergangenen acht Jahren insgesamt zwei Punts, die so weit flogen.
       Auch als Kicker ist Araiza nicht schlecht und versenkt relativ sicher
       Fieldgoals aus mehr als 50 Yards Entfernung.
       
       Bei vielem NFL-Teams wird nun hinter den Kulissen bereits diskutiert, ob
       man sich beim kommenden Draft im nächsten Frühjahr die Rechte an Araiza
       sichern sollte – und vor allem: wann. Denn zwar sind sich alle Experten
       einig, wie wertvoll ein herausragender Punter sein kann, aber trotzdem
       scheuen sich die Manager, für einen Kick-Spezialisten einen frühen
       Draft-Pick zu benutzen. Die sind Quarterbacks oder anderen Spielern
       vorbehalten, die sich zum Star einer Mannschaft entwickeln können. Ein
       Punter aber war noch nie der Star eines Teams in der hundertjährigen
       Geschichte der NFL. „Ich würde mich freuen, wenn ich einen kleinen Beitrag
       leisten könnte, dieses Narrativ zu verändern“, sagt Matt Araiza. Wenn einer
       das Potenzial dazu hat, dann er.
       
       18 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.espn.com/college-football/player/_/id/4361496/matt-araiza
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=GfIFFqKfN-M
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Winkler
       
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