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       # taz.de -- Brauchtum in Seuchenzeiten: Zombies vor dem Tor
       
       > Quarantäne wird nicht einfacher, wenn die Außenwelt zum Spuken vorbei
       > kommt. Bleibt nur, die eingeübte Isolation auf die Spitze zu treiben.
       
   IMG Bild: Voll süß – aber zumindest an dieser Tür hier auch echt in Gefahr!
       
       Es war wohl doch ein Fehler, das gefühlte Ende von Corona so zu beschreien.
       Nicht weil ich sonderlich abergläubisch wäre, sondern weil sich die
       Retourkutsche hier nun nicht mehr verschweigen lässt: Am letzten Schultag
       vor den Herbstferien wird das erste Kind krank, ein paar Tage später steckt
       es das andere an und setzt die zweiwöchige Quarantäneuhr erneut auf null.
       Dass so was belastend ist, dürfte niemanden überraschen, dass die
       verordnete „Absonderung“ mitunter auch ganz lustig sein kann, wohl auch
       nicht.
       
       Was also tun, wenn man vom Schreiben über erlebtes Leben lebt, sich aber
       partout kein Geschehen einstellen will – und das auch von Amts wegen gar
       nicht dürfte? Reflexion einschieben, sich an irgendwas erinnern: Das geht
       zwar, nur verhält es sich mit dem Gehalt dann doch immer ein bisschen wie
       mit dem Baum und seinem Fallgeräusch, wenn niemand da ist, der oder die das
       hört.
       
       Gegeben hat es solche Fällaktionen hier draußen im Speckgürtel allerdings
       durchaus. Ich weiß das, weil die Einschläge bisweilen gefährlich nahekamen.
       Halloween zum Beispiel: ein Dauerbrenner der gelebten Kleinstadtdebatte, an
       der ich zwischen Kita und Kaufmannsladen traditionell auch teilnehme. Ob
       man da etwa mitmache, fragt üblicherweise spätestens in der Vorwoche
       irgendwer mit halbherziger Entrüstung – bei diesem importierten Brauch, der
       so fies konsumistisch sei und auch noch aus Amerika stamme?
       
       „Ich find’s gut“, sag ich dann erst mal so lapidar wie möglich, „macht doch
       Spaß.“ Und dann lege ich manchmal ein bisschen nach, erzähle irgendwas
       Beknacktes über Selbstermächtigung der Kinder und eingeübte Rebellion gegen
       die ja nun auch nicht gerade konsumbefreite Erwachsenenwelt. „Trick or
       treat“, habe ich mich in so einem Moment mal in Rage reden hören, „ist doch
       viel eher Keim der Negation falscher Ordnung und als spielerische
       Erpressung mindestens ein seichtes Gegengift zum elenden Weltspartag, bei
       dem hier ja nun auch alle mitmachen, oder etwa nicht?“ Dieser zuverlässig
       lustige Streit fiel nun aus.
       
       ## Klingeln am Seuchenherd
       
       Die traurige Pointe der Geschichte ist übrigens, dass meine eigenen Kinder
       noch nie beim „Halloween-Laufen“ waren, weil sie uns dafür erstens noch zu
       klein schienen – und sie von Negation zweitens eh schon viel mehr wissen,
       als gut für sie ist. Sie haben es mit Fassung getragen, dass aus „aber
       nächstes Jahr ganz bestimmt“ wegen der Quarantäne doch wieder nichts wurde.
       Dumm ist nur, dass die anderen Gespenster ja trotzdem umgehen und plötzlich
       eins als Sensenmann verkleidet am heimischen Seuchenherd klingelte.
       
       Was tun? Ein Schild rausstellen? „Hier nicht! Bin auf eurer Seite, aber
       hinter dieser Tür lauert wirklich der Tod!“
       
       Keine Ahnung, ob ich’s in der dauerwitzigen Großstadt getan hätte, aber
       hier ganz sicher nicht. Stattdessen gingen dann vorn die Rollläden runter,
       auf dass die Spuknacht ohne weitere Heimsuchung vorüberziehe.
       
       Wie genau ausgerechnet meine ehrliche Sorge ums Wohlergehen der Nachbarn in
       Geheimniskrämerei und maximal unfreundliche Abschottung umschlagen konnte,
       ist mir bis heute ein Rätsel geblieben. Doch diese von Halloween und Corona
       ins Extrem getriebene Strategie zieht sich tatsächlich schon länger durchs
       Landleben. Die übers Haus gestreuten Bücherwände habe ich etwa direkt nach
       dem ersten Kinderelternbesuch bereinigt: [1][Marquis de Sade] ging damals
       ins Arbeitszimmer und die gesammelten [2][APPD-Schriften] verschwanden vom
       Klo.
       
       Die Grenzen zwischen den Welten werden dünner: nicht an Halloween, sondern
       im Alltag. Wenigstens das habe ich in der Quarantäne gelernt.
       
       15 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Marquis_de_Sade#Prim%C3%A4rliteratur
   DIR [2] https://appd.at/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan-Paul Koopmann
       
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