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       # taz.de -- Chinesischer Kriegsfilm: Nationalistische Stimmungsmache
       
       > Die Schlacht vom Chosin-Reservoir ist in China verfilmt worden. Der
       > Streifen spielt Höchstgewinne ein. Und er soll das Volk patriotischer
       > stimmen.
       
   IMG Bild: Werbung für den Kassenschlager an einem Kino in Shanghai
       
       Wenn man den Titel des neuen [1][Spielfilms „Die Schlacht um den
       Changjin-Stausee“] (auch als „Schlacht vom Chosin-Reservoir“ bekannt), im
       Original: changjinghu, eingibt, dann zeigt die chinesische Suchmaschine
       Baidu „5,5 Mrd. Yuan Erlös in 40 Tagen“. Der Film ist „einer der Top Ten
       aller Kassenschlager der Welt“. Unerwähnt bleibt, dass viele Chinesen
       „eingeladen“ waren, sich den Film auf Firmenkosten anzuschauen – und zwar
       während der Arbeitszeit.
       
       Patriotische Erziehung, die zu Zeiten der Sino-US-Konfrontation nottut.
       Unerwähnt auch, dass von Kinobesuchern Jubelkommentare für Chinas großen
       Sieg im Koreakrieg (1950–1953) erwartet werden. Und die kamen zahlreich.
       Damit wäre die Geschichte für die volkserziehende KP Chinas perfekt. Aber
       dann kam es unerwartet anders. Eifrig und minutiös recherchierten
       patriotische Jubelnde, worum es eigentlich ging:
       
       Am 24. November 1950 überraschte Chinas 9. Armeegruppe mit 130.000 Mann die
       1. US-Marinedivision mit 12.000 Mann. Bei Temperaturen um –15 Grad kämpften
       die beiden Seiten vier Tage lang. Nach der Schlacht zogen sich die
       amerikanisch geführten UN-Truppen hinter den 38. Breitengrad zurück, von wo
       aus Nordkorea im Juni des gleichen Jahres seinen Angriff auf den Süden
       gestartet hatte. Als das Zahlenverhältnis zwischen den beiden Armeen, 10:1,
       auffiel, klangen die Kommentare zögerlich:
       
       War das ein so großer Sieg? Der Ton wurde noch zögerlicher, als herauskam,
       dass die Verlustbilanz zwischen China und den USA bei 4:1 lag. Bei keiner
       anderen Schlacht erlitt die chinesische Armee einen derart schweren
       Verlust. Zu guter Letzt postete noch jemand in den sozialen Netzwerken:
       Zwei Drittel der umzingelten amerikanischen 1. Marinedivision entkamen.
       Indes habe die 13. Armeegruppe Chinas 30.000 Erfrorene zu beklagen. Ab
       diesem Punkt setzte die Zensur ein.
       
       ## Leichen in Kampfpose
       
       Unliebsame Details durften fortan nicht mehr erscheinen. Allerdings nur für
       wenige Tage. Zwei Wochen nach der Uraufführung Ende September nehmen
       patriotische Kommentare eine tragisch-heroische Richtung, diesmal
       toleriert, gar gefördert: Ja, unser Verlust war schwer. Ja, unser Opfer
       blutig, ja, die Amis waren uns überlegen. Aber: Wir haben sie
       zurückgeworfen. Das ist der Sieg. Was die Erfrorenen angeht: Der Film zeigt
       am Ende 129 chinesische Soldaten, die auf Amis lauerten.
       
       Als ihre Feinde kommen, entdecken sie nur ihre Leichen, in Kampfposen
       verewigt; da merkten die Patrioten an: „Wie viele von uns sind zu Tränen
       gerührt! So sind unsre Soldaten. Sie erkämpfen den Sieg um jeden Preis.“
       Nunmehr erscheinen online keine unliebsamen Details mehr. Umso ironischer
       assoziiert sich der Webrausch jedoch mit der Realität: In China werden
       immer mehr Menschen arbeitslos. [2][Die Wirtschaft schwächelt], die Preise
       explodieren.
       
       Vor allem aber droht wegen [3][Stromknappheit] vielen in Nordchina die
       Eiseskälte im einsetzenden Winter. Böse Zungen der Diaspora, die zahlreiche
       Kommentare ins chinesische Internet einschleusen, appellieren zynisch:
       „Leute, vergesst nicht: Ihr seid nicht der Sieg.“ Peilt die patriotische
       Erziehung der Partei etwa darauf, das Volk durch den Film auf unvermeidbare
       Not vorzubereiten? Nur ein Chinese gibt sich nicht zufrieden.
       
       Der liberale Journalist [4][Luo Changpin], der die erfrorenen Soldaten
       statt mit „bingdiaolian“ – die Kompanie aus Eisskulpturen – mit dem Namen
       „shadiaolian“ – Kompanie aus Sandskuplturen betitelte. Es ist ein Wortspiel
       und gleichlautend mit: „dumm, bis ihnen alle Ketten ausfallen“. Jetzt muss
       sich Luo vor Gericht verantworten: Heldenbeleidigung, so lautet die
       Anklage.
       
       17 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=F2JcFRY_yC0
   DIR [2] /Stillstand-bei-Chinas-Wirtschaft/!5808366
   DIR [3] /Stromausfall-in-China/!5800371
   DIR [4] https://chinadigitaltimes.net/2021/10/former-journalist-luo-changping-detained-for-defaming-heroes-and-martyrs/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ming Shi
       
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