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       # taz.de -- Russische-belarussische Beziehungen: Krim 2.0
       
       > Putin und Lukaschenko unterzeichnen einen Fahrplan zum Zusammenschluss
       > ihrer Staaten. Was anderes bleibt dem belarussischen Diktator auch nicht
       > übrig.
       
   IMG Bild: Ziemlich beste Freunde: Alexander Lukaschenko (l.) und Wladimir Putin
       
       Berlin taz | Belarus ist seinem Verschwinden von der Landkarte einen großen
       Schritt näher gekommen. Bei einem virtuellen Treffen unterzeichneten die
       Staatschefs von Russland und Belarus, Wladimir Putin und Alexander
       Lukaschenko am Donnerstag einen Fahrplan mit 28 Programmpunkten. Dieser
       soll, zunächst bis 2023, den Weg [1][zu einer Vereinigung der beiden
       Staaten] ebnen.
       
       „Wir beabsichtigen, uns gemeinsam jedem Versuch einer Einmischung in die
       inneren Angelegenheiten unserer souveränen Staaten entgegen zu stellen.
       Russland wird dem belarussischen Brudervolk natürlich weiterhin Hilfe
       leisten. Daran kann es keine Zweifel geben“, sagte Putin laut der
       russischen Nachrichtenagentur Interfax.
       
       Sein Amtskollege Alexander Lukaschenko bedankte sich mit warmen Worten. Der
       beispiellose äußere Druck sei zu einem ernsthaften Test der Stärke in den
       Beziehungen beider Länder geworden. Aber man könne feststellen, dass dieser
       Test bestanden worden sei, sagte Lukaschenko.
       
       Der Fahrplan sieht vor allem Maßnahmen im makroökonomischen Bereich vor.
       Dazu gehören eine gemeinsame Währungs-, Geld- und Steuerpolitik, eine
       Harmonisierung der Renten- und Sozialpolitik sowie die Schaffung eines
       Marktes für Öl, Gas und andere Ressourcen. Neben einer Militärdoktrin soll
       es auch eine Konzeption für eine gemeinsame Migrationspolitik geben, im
       Rahmen derer die Tätigkeit von Innenministerien, Sicherheits- und
       Grenzschutzorganen sowie Migrationsbehörden aufeinander abgestimmt werden
       sollen.
       
       ## Erfolgreicher Schleuser
       
       Besonders in letzterem Bereich [2][tut sich Lukaschenko seit Monaten als
       erfolgreicher Schleuser hervor], indem er tausende Migrant*innen nach
       Belarus einreisen und dann, mit dem Ziel einer illegalen Einreise in die
       Europäische Union (EU), unter Polizeischutz an die Grenzen zu Polen und
       Litauen bringen lässt.
       
       Damit will sich der autokratische Langzeitherrscher für Sanktionen rächen.
       Diese hatte Brüssel als Antwort auf die massiven Menschenrechtsverletzungen
       gegen belarussische Oppositionelle seit den gefälschten Präsidentenwahlen
       am 9. August 2020 gegen Minsk verhängt.
       
       Russlands Umarmung seines Nachbarn geht auf das Jahr 1999 zurück. Am 9.
       Dezember besiegelten der damalige russische Präsident Boris Jelzin und sein
       Amtskollege Lukaschenko die Gründung eines Unionsstaates. Vorgesehen waren
       unter anderem ein Zweikammerparlament, eine gemeinsame Verfassung sowie
       Gerichte, ein Rechnungshof und eine Zentralbank. Das Projekt verschwand
       jedoch alsbald in der Versenkung. Belarus profitierte jedoch weiterhin von
       vorteilhaften wirtschaftlichen Sonderkonditionen, die Russland dem „Bruder“
       gewährte.
       
       Ab 2018 versuchte versuchte Russland unter dem damaligen
       Ministerpräsidenten Dmitri Medwedjew der „Unionsleiche“ neues Leben
       einzuhauchen. Dem Ansinnen Lukaschenkos, Gas zu denselben Bedingungen wie
       die westrussische Oblast (Verwaltungsbezirk) Smolensk zu beziehen und
       direkten Zugang für belarussische Waren zum russischen Markt zu erhalten,
       setzte er ein Ultimatum entgegen: Über diese Frage könne erst auf einer
       höheren Stufe der Integration im Rahmen des Vertrages über die Union
       entschieden werden.
       
       ## Heilige Unabhängigkeit
       
       Doch Lukaschenko bewegte sich nicht. Stattdessen sprach er von Erpressung.
       Für den Bezug von russischem Gas solle sein Land zerstört werden und sich
       Russland anschließen. Doch das werde er nicht tun, die Unabhängigkeit von
       Belarus sei etwas Heiliges, zitierte ihn damals das russische
       Nachrichtenportal Meduza.
       
       2019 fanden in dieser Angelegenheit mehrere bilaterale Treffen statt, doch
       sie blieben ergebnislos. Der belarussische Politikwissenschaftler Aleksandr
       Klaskowski befand damals: „Die belarussische Wirtschaft ist wie eine
       Drogenabhängige. Ohne regelmäßige Dosis beginnt der Verfall.“ Daher müsse
       sich Lukaschenko auf diese politischen Spielchen einlassen. Damit waren die
       Verhandlungen gemeint.
       
       Doch jetzt hat Lukaschenko ausgespielt. Seit der gefälschten
       Präsidentschaftswahl 2020, die eine beispiellose Protestbewegung
       hervorbrachte, ist er innenpolitisch angezählt. Außenpolitisch ist er wegen
       schwerster Menschenrechtsverletzungen gegenüber Oppositionellen vom Westen
       mittlerweile total isoliert.
       
       Derzeit sind bei der belarussische Menschenrechtsorganisation Wjasna
       (Frühling) 834 politische Gefangene gelistet (Stand: 5. November). Kurzum:
       Lukaschenko bleiben keine Optionen mehr – außer Russland.
       
       ## Tief gesunken
       
       Wie tief Lukaschenko mittlerweile gesunken ist und vor dem Kreml zu Kreuze
       kriecht, zeigt auch ein weiterer Kommentar während des jüngsten Treffens
       mit Putin. Leider habe Russlands Präsident ihn bislang nicht auf die Krim
       einladen können, sagte Lukaschenko, da die Ukraine den Luftraum gesperrt
       habe (Reaktion auf die erzwungene Landung eines Flugzeuges mit einem
       Oppositionellen an Bord in Minsk am 23. Mai 2021, Anm. d. Red.)
       
       Mit der Äußerung erkennt Lukaschenko auch gleich direkt an, dass die Krim
       russisches Territorium ist. 2014 hatte Moskau die ukrainische Halbinsel
       völkerrechtswidrig annektierte. Bislang hatte sich Lukaschenko in dieser
       Frage vornehm zurück gehalten.
       
       Das Schicksal der Krim steht auch belarussischen Oppositionellen als
       Schreckensszenario vor Augen. „Für uns ist die Unterzeichnung des
       Fahrplanes mit den 28 Punkten gleichbedeutend mit einer Annexion“, sagt die
       belarussische Menschenrechtsaktivistin Olga Karatsch. „Wladimir Putin setzt
       dreist das Drehbuch Krim 2.0 um. Der nächste Schritt dazu ist ein
       Referendum, das im Februar 2022 stattfinden soll.“
       
       6 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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