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       # taz.de -- Ampel-Verhandlungen: Vergesst das Tempolimit
       
       > Der Erfolg der Grünen misst sich nicht am Tempolimit oder der Zahl der
       > Windräder. Sondern daran, ob es gelingt, Klimaschutz zu entpolitisieren.
       
   IMG Bild: Die Zahl der Windräder ist nicht allein entscheidend für den Erfolg von Klimapolitik
       
       Das Wort [1][Klimaschutz] müsste man eigentlich abschaffen. Das Klima wird
       immer noch Klima sein, selbst wenn die Temperaturen um zwei, drei oder vier
       Grad ansteigen und es kein Zurück mehr gibt. Doch es wird dann kein Klima
       mehr sein, in dem Menschen ohne Weiteres überleben können. Richtiger wäre
       es deshalb, von Menschheitsschutz zu sprechen. So hat es der grüne
       Co-Vorsitzende Robert Habeck gelegentlich auf Wahlkampfveranstaltungen
       ausgedrückt.
       
       Doch was vor der Wahl gesagt wird, wird bekanntlich nach der Wahl in die
       Kreislaufwirtschaft der Reden entsorgt und in vier Jahren als recyceltes
       Produkt wieder auf den Markt gebracht. Am Montag jedenfalls, wenn die
       [2][Ampel-Parteien] in Berlin wieder zu Verhandlungen zusammenkommen, wird
       es erneut darum gehen, wer wem etwas abringt, wer wem nachgibt und wer auf
       wessen Kosten am Ende der Verhandlungen als Gewinner oder Verlierer
       dasteht. Wieso ist das Tempolimit vom Tisch? Warum ist der Kohleausstieg
       nicht verbindlich terminiert? Lassen sich die Grünen etwa das
       Finanzministerium nehmen?
       
       Tatsächlich jedoch wird der Erfolg der Grünen nicht an der Zahl der
       [3][Windräder] oder der Dichte von Ladestationen für Elektroautos gemessen.
       Entscheidend ist vielmehr, ob es ihnen gelingt, den Kampf gegen den
       Klimawandel zu entpolitisieren. Denn wenn Klimaschutz in Wahrheit
       Menschheitsschutz ist, dann kann er keine Frage der politischen Ansicht und
       schon gar nicht eine der diesbezüglichen Polarisierung sein. Es würde
       schließlich auch keiner eine politische Debatte darüber führen, ob die
       Feuerwehr kommen sollte, wenn es brennt.
       
       Diese Entpolitisierung ist auch deshalb von so großer Bedeutung, weil es
       den Grünen mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock nicht gelungen ist, zu
       einer dritten Volkspartei aufzusteigen. Für den klimabedingten
       Menschheitsschutz sind dringender denn je gesellschaftliche und politische
       Mehrheiten nötig, die die Grünen bisher aber nicht für sich gewinnen
       konnten – ganz egal, wie oft im grünen Wahlkampf „Die Menschen in unserem
       Land wollen…“ gerufen wurde. Die Umweltverbände um Unterstützung zu bitten,
       wie die Grünen-Spitze es jetzt in einem Brandbrief getan hat, ist deshalb
       der falsche Weg. Er führt in eine Sackgasse.
       
       Die politische Kunst besteht darin, eine Regierung zu bauen, die den Kampf
       gegen die Erderwärmung als gemeinsames Projekt annimmt. Davon müssen die
       Grünen ihre künftigen Koalitionspartner überzeugen. Noch immer aber geriert
       sich das grüne Führungspersonal so, als hinge die Zukunft des Klimawandels
       allein von ihr ab.
       
       Kein Wunder also, dass nicht nur SPD und FDP jeden Schritt in Richtung
       CO2-Neutralität als Punkt für die Grünen verbuchen – diese tun das ja auch.
       Eine gemeinsame Aufgabe aller Parteien kann es nur dann werden, wenn die
       Grünen ihren Alleinvertretungsanspruch in Klimafragen aufgeben. Denn man
       kann nicht einerseits darüber jammern, dass die anderen Verhandlungspartner
       auf der Bremse stehen, und sich andererseits jeden Beschluss in diesem
       Themenfeld wie einen Orden anheften.
       
       8 Nov 2021
       
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