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       # taz.de -- Spähsoftware gegen NGOs in Palästina: Erst ausspioniert, dann verboten
       
       > Die Pegasus-Spähsoftware soll gegen palästinensische NGOs mit
       > Terrorverbindungen eingesetzt worden sein. In Europa wartet man aber noch
       > auf Beweise.
       
   IMG Bild: Shawan Jabarin, Leiter der NGO Al-Haq, die von Ausspähung und Verbot betroffen ist
       
       Berlin taz | Pegasus lässt grüßen, diesmal aus Nahost: Die
       [1][Spionage-Software, die im Juli weltweit für Furore sorgte], soll auch
       gegen palästinensische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eingesetzt
       worden sein, die maßgeblich aus Europa finanziert werden. Diese stehen
       aktuell ohnehin im Zentrum einer internationalen Debatte, da Israel ihnen
       Terrorverbindungen vorwirft.
       
       [2][Einem Bericht] der in Irland ansässigen Menschenrechtsorganisation
       Front Line Defenders (FLD) zufolge haben Expert*innen insgesamt 75
       iPhones von Mitarbeiter*innen palästinensischer Organisationen
       untersucht. Dabei wurden sie bei sechs Geräten fündig. Das Citizen Lab der
       Universität Toronto sowie Amnesty International [3][bestätigten] die Funde
       nach eigenen Untersuchungen.
       
       FDL hat keine Hinweise darauf, welche Regierung hinter dem Pegasus-Einsatz
       steht, doch verdächtigt die Organisation Israel. Denn pikanterweise sind
       dem Bericht zufolge drei Organisationen von der Spionage betroffen, die
       [4][vom israelischen Verteidigungsministerium erst im Oktober zu
       Terrororganisationen erklärt] wurden.
       
       Der Schritt wurde von internationalen Menschenrechtsorganisationen sowie
       von westlichen Regierungen kritisiert. Viele sehen darin ein gezieltes
       Vorgehen gegen die palästinensische Zivilgesellschaft, die sich gegen die
       israelische Militärbesatzung des Westjordanlands engagiert. Auch die
       deutsche Bundesregierung hat sich „sehr besorgt“ gezeigt.
       
       Von dem nun bekannt gewordenen Pegasus-Einsatz sollen unter anderem
       Mitarbeiter der Organisation Bisan Center, der Menschenrechtsgruppe Al-Haq
       sowie vom Verein Addameer betroffen sein, der Rechtsbeistand leistet für
       Gefangene. Letztere NGOs wurden in der Vergangenheit mittelbar auch von der
       Bundesregierung finanziell unterstützt und arbeiten mit politischen
       Stiftungen und Vereinen in Deutschland teilweise eng zusammen.
       
       ## Streit um Beweislage
       
       Brisant ist der Pegasus-Fund deshalb, weil die israelische Regierung bisher
       noch keine stichfesten Beweise vorgelegt hat für ihren folgenreichen
       Vorwurf, dass die sechs palästinensischen NGOs Verbindungen zur Volksfront
       zur Befreiung Palästinas (PFLP) haben. Die PFLP ist in Israel, aber auch in
       Europa und den USA, offiziell als Terrororganisation gelistet.
       
       Vergangene Woche hatten Medien über ein 75-seitiges Dossier von Israels
       Inlandsgeheimdienst Shin Bet berichtet, das seit Mai an europäische
       Regierungen ging und Verbindungen zwischen den betroffenen NGOs und der
       PFLP beweisen soll. Die Faktenlage in den Dokumenten ist allerdings sehr
       dünn: „Israelisches Geheimdokument bringt keine Beweise, um das Terrorlabel
       für palästinensische Organisationen zu rechtfertigen“, [5][titelte] die
       Investigativ-Webseite The Intercept.
       
       Die israelische Regierung widersprach den Berichten. Am Montag hieß es,
       Ermittlungen hätten eine „exzellente Akte“ ergeben, die Beweise dafür
       enthalte, dass die sechs NGOs PFLP-Verbindungen hätten. „Die Annahme, dass
       das Dossier vom Mai alles ist, was wir haben, ist schlicht falsch“, sagte
       ein Regierungsvertreter bei dem Briefing.
       
       Die Beweise hat man in den europäischen Hauptstädten, aus denen ein
       Großteil des Budgets der NGOs kommt, aber noch nicht gesehen. Aus dem
       Auswärtigen Amt in Berlin hieß es auf taz-Nachfrage, man habe habe zunächst
       „Informationen zur Listung der genannten Nichtregierungsorganisationen (als
       Terrororganisationen) erbeten.“ Ähnlich äußerten sich am Montag Estland,
       Frankreich, Irland, Norwegen und Albanien nach einer Sitzung des
       UN-Sicherheitsrats in New York.
       
       ## Kommt es jetzt zu Razzien?
       
       Die sechs gelisteten NGOs liefern wichtige Quellen hinsichtlich möglicher
       Menschenrechtsverstöße im von Israel militärisch besetzten Westjordanland.
       In der Vergangenheit hat es einzelne Fälle gegeben, in denen
       Mitarbeiter*innen von palästinensischen NGOs konkret Verbindungen zur
       PFLP und eine Verstrickung in terroristische Aktivitäten vorgeworfen
       wurden. Mindestens einer der nun ausspionierten NGO-Mitarbeiter saß deshalb
       früher auch im Gefängnis.
       
       Dass es weitere Verbindungen gibt, ist nicht ausgeschlossen, zumal das
       Westjordanland klein ist und man sich im linken Umfeld, dem auch die PFLP
       zuzurechnen ist, kennt. Letztendlich ist die Frage aber: Inwieweit gibt es
       nachweisbare organisatorische Verbindungen zwischen einzelnen NGOs und der
       PFLP? Sowie: Inwieweit können einzelnen Mitarbeiter*innen strafbare
       Aktivitäten für die PFLP nachgewiesen werden und wie reagieren die NGOs als
       Arbeitgeber darauf?
       
       Unterdessen ist die Lage für die betroffenen NGOs ernst geworden:
       [6][Zunächst hatten sie ihre Arbeit wie gewohnt fortsetzen können], da sie
       im Westjordanland aufgrund der Rechtslage weiterhin legal waren. Am Sonntag
       aber unterzeichnete das Zentralkommando des israelischen Militärs, das für
       das besetzte Westjordanland zuständig ist, eine entsprechenden Anordnung,
       womit die betroffenen NGOs nun auch im Westjordanland illegal sind.
       
       Damit dürfen sie nicht weiter arbeiten; die Büros können jederzeit
       geschlossen und Computer beschlagnahmt werden. Auch drohen den
       Mitarbeiter*innen Strafprozesse. „Al-Haq drückt seine tiefste
       Besorgnis über die Sicherheit seiner Mitarbeiter im Westjordanland,
       einschließlich Jerusalems, aus“, teilte die Organisation mit. Zu Razzien
       kam es bislang jedoch noch nicht.
       
       9 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Fragen-und-Antworten-zur-Pegasus-Affaere/!5787113
   DIR [2] https://www.frontlinedefenders.org/press-release-front-line-defenders-investigation-finds-pegasus-spyware-6-palestinian-hrd-phones
   DIR [3] https://www.amnesty.org/en/latest/research/2021/11/devices-of-palestinian-human-rights-defenders-hacked-with-nso-groups-pegasus-spyware-2/
   DIR [4] /Israels-Vorstoss-gegen-NGOs-in-Palaestina/!5806472
   DIR [5] https://theintercept.com/2021/11/04/secret-israel-dossier-palestinian-rights-terrorist/
   DIR [6] /NGO-Mitarbeiterin-in-der-Westbank/!5813238
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Hagmann
       
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