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       # taz.de -- Pressefreiheit in Belarus: Bürokratische Unterdrückung
       
       > Der belarussische Machthaber Lukaschenko geht immer härter gegen
       > Journalist:innen vor – mit Gewalt und Gesetzen.
       
   IMG Bild: „Meine Stimme wurde mir gestohlen“ – Maske eines Unterstützers der Opposition in Belarus
       
       Im Mai 2021 wurde für die Welt deutlich, was in Belarus schon lange Alltag
       ist: die gezielte Überwachung und Unterdrückung von Journalist:innen. Eine
       angebliche Bombendrohung zwang ein Ryanair-Flugzeug auf dem Weg von Athen
       nach Vilnius zur Zwischenlandung in Minsk. An Bord: der [1][Journalist und
       Oppositionelle Roman Protassewitsch], der nach der Landung in Minsk
       festgenommen wurde. Die EU verhängte daraufhin Wirtschaftssanktionen gegen
       mittlerweile 166 Personen und 15 Staatsunternehmen in Belarus.
       
       Die reichten nicht aus, meint Stanislau Ivashkevich. Der belarussische
       Investigativjournalist sprach am Dienstagabend bei einem vom International
       Press Institute organisierten Panel zu Medienfreiheit in Belarus. 882
       politische Gefangene sind derzeit in Haft, darunter 29 Journalist:innen.
       Ivashkevich wurde selbst schon festgenommen und ist sich sicher: [2][Die
       Sanktionen] erfüllen ihren Zweck nicht. „Sie existieren nur auf dem
       Papier“, erklärte er. Ein Beispiel: Die EU-Sanktionen sollten auch die
       belarussische Tabakindustrie treffen. Die ist bekannt dafür, ihre Produkte
       in die EU zu schmuggeln. Aliaksei Aleksin, Tabak-Tycoon und Freund des
       Machthabers Lukaschenko, steht zwar auf der Sanktionsliste der EU, vermeide
       diese dadurch, dass er seine Geschäfte auf Strohmänner übertrage – eine
       einfache Umgehung des Problems.
       
       Die bürokratischen Maßnahmen gegen das Regime sind also wenig effektiv, das
       Bruttoinlandsprodukt von Belarus ist 2021 sogar gewachsen. Ein Grund:
       höhere Ausfuhren in EU-Länder. Die bürokratischen Maßnahmen, die das Land
       gegen seine Medienschaffenden verhängt, sind umso effektiver. Joanna
       Szymanska arbeitet für Article 19, eine Organisation, die sich für
       Meinungs- und Informationsfreiheit einsetzt. „Die belarussischen Behörden
       missbrauchen seit Jahren Gesetze, die sich eigentlich gegen Extremismus und
       Terrorismus richten sollten“, erklärte sie. Eines solches sei 2007 in Kraft
       getreten, bereits 2008 seien die ersten Medienprodukte als „extremistisch“
       eingestuft worden.
       
       Immer wieder werden Journalist:innen auf dieser Grundlage verurteilt,
       oft zu 15 Tagen Haft. Doch nicht nur sie lassen sich so bestrafen, sondern
       alle, die einen solchen Beitrag öffentlich teilen. Das Gesetz lässt sich
       auch rückwirkend anwenden. „Niemand kann garantieren, dass ein Medium nicht
       morgen auf die ‚Liste der extremistischen Medien‘ gesetzt wird“, sagte sie.
       Es sei also egal, wann man etwas geteilt habe, bevor oder nachdem es als
       extremistisch eingestuft wurde. Beliebte Medien wie Belsat TV oder der
       Telegram-Kanal Nexta stehen auf der dieser Liste. „Die Menschen entfolgen
       ihnen, aus Angst vor einer möglichen Verfolgung“, erklärte Szymanska.
       
       ## Unterstützung aus dem Ausland
       
       Es gebe eine weitere bürokratische Maßnahme, die Medien ihre Arbeit
       deutlich erschweren solle, sagt Miklós Haraszti, ehemaliger
       UN-Sonderberichterstatter über Belarus. Er nennt sie
       „Ausländische-Agenten-Gesetze“ und „eine sehr spezielle
       Lukaschenko-Erfindung“. Zusammenarbeit mit und Arbeit von ausländischen
       Medien sind an eine Genehmigung gebunden, die kaum zu bekommen sei. Wer
       keine hat, ist eben ein:e Kriminelle:r. Lukaschenko gehe seit Jahren so
       vor. Die OSCE hat deswegen den Moskau-Mechanismus genutzt, der es
       OSCE-Mitgliedsstaaten erlaubt, andere Mitglieder zu ihrer
       Menschenrechtssituation zu befragen und Empfehlungen auszusprechen.
       
       An die halte sich das Regime aber nicht, sagte Hanna Liubakova, freie
       Journalistin aus Belarus. Wie man ihren Kolleg:innen dennoch helfen
       könnte? Man müsse die vielfältige Medienlandschaft unterstützen,
       finanzielle Mittel, Wissen und Equipment teilen, mit Medienschaffenden in
       Belarus und im Exil. „Sie werden den belarussischen Journalismus neu
       erfinden, sobald das Land befreit ist“, ist sie sicher. Bis dahin müssen
       sie überleben.
       
       24 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Lisa Schneider
       
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