URI: 
       # taz.de -- Vor den Wahlen in Honduras: Castro will den Systemwandel
       
       > In Honduras grassieren Gewalt und Korruption. Dagegen tritt die
       > linksliberale Präsidentschaftskandidatin Xiomara Castro an.
       
   IMG Bild: So etwas wie Honduras' letzte Chance: Präsidentschaftskandidatin Xiomara Castro in San Pedro Sula
       
       Hamburg taz | Jerónimo Carranza Zepada ist gerade aus dem Valle de Sula
       zurückgekehrt, der Region, in der die Hurrikane Eta und Iota im Herbst 2020
       massive Schäden hinterließen. Auch ein Jahr nach den beiden
       Überschwemmungskatastrophen ist die öffentliche Infrastruktur noch nicht
       repariert. „Hilfe hat es gegeben, ja, aber da sprechen wir von einem Beutel
       mit Lebensmitteln, vielleicht ein Bett, Kochutensilien“, schildert der
       Agrarexperte Zepada. „Doch diese Gaben wurden schon damals an Bedingungen
       geknüpft: Da musst du aber schon für mich wählen.“
       
       Das Prozedere hat sich im Wahlkampf vor den Präsidentschafts- und
       Parlamentswahlen am 28. November noch einmal potenziert, so der für das
       jesuitische Forschungszentrum Eric-SJ arbeitende Mann. „Hier werden die
       Abhängigkeiten von Menschen gnadenlos ausgenutzt, der Staat entledigt sich
       gern seiner Verpflichtungen.“
       
       In Honduras hat das eine lange Tradition und in den letzten Jahren wiesen
       die Indikatoren für Korruption und Klientelismus nach oben, die für
       Rechtsstaatlichkeit nach unten. Übergriffe der Militärpolizei, die
       [1][während der Coronapandemie] zwischenzeitlich verhängte Ausgangssperren
       überwachte, hat es zu Tausenden gegeben, kritisieren
       Menschenrechtsorganisationen wie Ciprodeh.
       
       Wie träge das Justizsystem ist, zeigt auch das Beispiel des international
       beachteten [2][Prozesses gegen die Mörder der Umweltaktivistin Berta
       Cáceres] und die Auftraggeber dahinter. „Im Juli endete der Prozess, doch
       bis heute haben wir kein Urteil“, so Víctor Fernández, Anwalt der Familie
       Cáceres und bis 2008 als Staatsanwalt aktiv. Aus Protest gegen die
       Instrumentalisierung der Justiz hat er mit seinem Bruder Martín und anderen
       Aktivist*innen die sogenannte Breite Bewegung für Menschenwürde und
       Gerechtigkeit (MADJ) gegründet, die denen Rechtsbeistand anbietet, die ihn
       sich normalerweise nicht leisten können.
       
       ## Justizsystem in der Kritik
       
       Darunter befinden sich auch etliche indigene Organisationen wie die Copinh,
       die Berta Cáceres vertrat. Dass Fernández immer noch auf das rechtskräftige
       Urteil warten muss, welches im honduranischen Justizsystem normalerweise
       ein paar Wochen nach dem Schuldspruch erfolgt, ist bezeichnend. Das sei
       Teil der Verzögerungstaktik, die Behörden und Institutionen oft in
       politisch unbequemen Prozessen anwenden, sagt Fernández.
       
       Dazu gehört auch der für den 1. Dezember anberaumte Guapinol-Prozess. Acht
       Umweltaktivist*innen, die gegen eine kontaminierende Eisenerzmine
       protestierten, sollen dort angeklagt werden. Doch am 19. November hat das
       UN-Menschenrechtsbüro die Regierung aufgefordert, die Aktivist*innen
       freizulassen. Die Anklage, so die UN-Experten, sei nicht stichhaltig.
       
       Kein Einzelfall in Honduras. In allen Wahlumfragen liegt jene Frau vorn,
       die für den Wandel im Justiz- und Gesellschaftssystem des Landes steht:
       Xiomara Castro. Die linksliberale Politikerin ist so etwas wie die letzte
       Chance auf strukturelle Reformen und ein faireres Gesellschaftsmodell.
       
       Castro ist die Ehefrau des im Jahr 2009 weggeputschten Präsidenten José
       Manuel Zelaya und kandidiert für die von Libre angeführte Parteienallianz.
       Libre heißt die 2011 gegründete Partei der Freiheit und Neugründung, die
       derzeit von der erzkonservativen Partido Nacional nach allen Regeln der
       Propagandakunst als chavistisch-kubanische Steinzeitkommunisten-Partei
       diffamiert wird. Das bleibt in den Köpfen der Menschen hängen – vor allem
       in den USA.
       
       Dort sorgt das Aufkommen linker Partei in Mittelamerika für hektischen
       Aktionismus. Dieser Reflex dürfte 2009 dafür gesorgt haben, dass der
       demokratisch legitimierte José Manuel Zelaya wegen der Ankündigung
       struktureller Sozialreformen gewaltsam aus dem Amt entfernt wurde – mit
       Billigung der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton.
       
       ## System Hernández steht erneut zur Wahl
       
       Diese historische Zäsur hat in Honduras dazu geführt, dass sich dort ein
       erzkonservatives und korruptes System unter der Regie von [3][Juan Orlando
       Hernández] etablieren konnte. Nur ein Beispiel: Der Bruder des Präsidenten,
       Antonio Hernández, sitzt in den USA wegen Drogenschmuggels und Mords
       lebenslang in Haft. Ermittelt wird auch gegen den noch amtierenden
       Präsidenten – wegen Geldwäsche, illegaler Wahlkampffinanzierung und
       Drogenschmuggels.
       
       Das System Hernández steht bei der Abstimmung am Sonntag jedoch erneut zur
       Wahl. Nasry Asfura heißt der Statthalter und Kandidat der Partido Nacional.
       „Er hat enorme Mittel in den Wahlkampf gepumpt. Für jede Stimme fließen bis
       zu 7.000 Lempiras“, so Jerónimo Carranza Zepada. Das sind umgerechnet rund
       260 Euro.
       
       Woher dieses Geld kommt, darüber kann auch Anwalt Víctor Fernández nur
       spekulieren. Von Drogenbanden, heißt es meist. Er hofft auf versierte
       Wahlbeobachter und darauf, dass viele Wähler*innen das Geld der Partido
       Nacional nehmen und trotzdem nach eigenem Gusto wählen. Das birgt jedoch
       ein hohes persönliches Risiko – Gewalt ist in Honduras omnipräsent.
       
       27 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Corona-in-der-Welt--Honduras/!5677764
   DIR [2] /5-Jahre-nach-dem-Mord-an-Berta-Caceres/!5784243
   DIR [3] /Proteste-gegen-Honduras-Regierung/!5565648
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Knut Henkel
       
       ## TAGS
       
   DIR Honduras
   DIR Präsidentschaftswahl
   DIR Parlamentswahl
   DIR Mittelamerika
   DIR Honduras
   DIR Honduras
   DIR Plastikmüll
   DIR Mexiko
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Wahlen in Honduras: Erdrutschsieg für Castro
       
       An die designierte Präsidentin von Honduras knüpft die verarmte Bevölkerung
       große Hoffnungen. Viel hängt an der Unterstützung der USA.
       
   DIR Präsidentschaftswahlen in Honduras: „Weg mit der Korruption“
       
       Als erste Frau in der Geschichte des Landes wird die Linke Xiomara Castro
       Honduras regieren. Sie fordert eine „direkte, partizipative Demokratie“.
       
   DIR 5 Jahre nach dem Mord an Berta Cáceres: Ex-Firmenchef verurteilt
       
       In Honduras wird wegen der Ermordung der indigenen Aktivistin Cáceres der
       Ex-Chef eines Energieunternehmens verurteilt. Das Urteil sei historisch.
       
   DIR Plastikrecycling in Honduras: Altplastik ist bares Geld
       
       Vor 27 Jahren ist George Gatlin ins Recyclingbusiness eingestiegen. Heute
       leitet er das größte Wertstoffunternehmen Mittelamerikas.
       
   DIR Kurswechsel in US-Migrationspolitik: Asylsuchende überqueren Grenze
       
       US-Präsident Joe Biden hat eine Regelung seines Vorgängers aufgehoben. Die
       rund 25.000 Menschen hatten monatelang in Mexiko ausgeharrt.