# taz.de -- Krieg in Äthiopien: Nobelpreisträger kämpft selbst
> Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed soll die Hauptstadt verlassen
> haben und an die Kriegsfront gegen die Tigray-Rebellen gereist sein.
IMG Bild: 1.200 neue Rekruten für Äthiopiens Armee bei ihrer Verabschiedungsfeier in Addis Abeba am Mittwoch
Berlin taz | Nach mehreren Wochen internationaler [1][Reisediplomatie], um
eine Feuerpause und Verhandlungen zwischen Äthiopiens Regierung und den
Tigray-Rebellen der TPLF ([2][Tigray-Volksbefreiungsfront]) samt ihren
Verbündeten herbeizuführen, stehen die Zeichen in Äthiopien wieder auf
Sturm. Wie die Regierung in der Hauptstadt Addis Abeba am Mittwoch
bestätigte, befindet sich Ministerpräsident [3][Abiy Ahmed] nicht mehr in
der Hauptstadt, sondern an der Kriegsfront. Abiy „steht seit gestern der
Streitkräfteführung an der Front zur Verfügung“, sagte Regierungssprecher
Legesse Tulu. Außenminister Demeke Mekonnen übernimmt in seiner Funktion
als Vizepremier die laufenden Regierungsgeschäfte.
Dass Abiy Ahmed an die Front gegen die „Terroristen“ geht, hatte er selbst
bereits am Montagabend angekündigt,. Am Dienstag kursierten Fotos von ihm
in Militäruniform. Patriotische äthiopische Kreise verglichen den
Friedensnobelpreisträger 2019 umgehend mit Julius Caesar, Alexander dem
Großen und früheren äthiopischen Kaisern. Verschiedene Prominente sollen
zugesagt haben, seinem Beispiel zu folgen.
Die Rebellen stehen der Regierung propagandistisch nicht nach. Während die
Regierungsseite Fotos von Abiy Ahmed an der Front verbreitet,
veröffentlichte die TPLF Aufnahmen von Tausenden Kriegsgefangenen, die in
Reih und Glied auf einem offenen Feld sitzen, und erinnerte damit an ihre
militärische Überlegenheit. Sie ist nach eigenen Angaben „weniger als 136
Meilen“ von Abiy Ahmeds Regierungssitz entfernt, also knapp 200 Kilometer
von Addis Abeba.
Unabhängige Beobachter meldeten in den vergangenen Tagen Kämpfe nordöstlich
von Debre Sina, dem geografisch höchstgelegenen Ort entlang der Straße, die
von Tigrays Hauptstadt Mekelle 800 Kilometer nach Süden bis Addis Abeba
führt. Ein TPLF-Durchbruch hier wäre von erheblicher strategischer
Bedeutung.
## Feldzug geht schneller voran als Vermittlungen
Abiy Ahmeds Reise an die Front bedeutet zunächst, dass er nicht mehr für
politische Gespräche in Addis Abeba zur Verfügung steht. Die Bemühungen der
Sonderbeauftragten von USA und Afrikanischer Union, zumindest eine
Feuerpause auszuhandeln, erleiden damit zumindest vorerst einen erheblichen
Rückschlag.
Die Tigray-Rebellen lehnten zuletzt ein Ende ihres Vormarsches ab unter dem
Hinweis, dass im von regierungstreuen Milizen kontrollierten Westen Tigrays
Massaker im Gange seien. Äthiopiens Regierung hat ein Nachgeben gegenüber
der TPLF immer ausgeschlossen.
Der US-Sonderbeauftragte Jeffrey Feltman erklärte am Dienstag in Washington
nach seiner Rückkehr aus Addis Abeba, es habe zwar „beginnende
Fortschritte“ in seinen Vermittlungsbemühungen gegeben, aber „die
alarmierenden Entwicklungen im Feld kommen schneller voran als diese
fragilen Fortschritte“ und „jedes Lager scheint vom eigenen unmittelbar
bevorstehenden Sieg überzeugt zu sein“.
In Reaktion auf die neue Entwicklung riefen Frankreich und Deutschland am
Dienstagabend ihre Staatsbürger in Äthiopien zum sofortigen Verlassen des
Landes auf, am Mittwoch auch Großbritannien. UN-Vertretungen in der
äthiopischen Hauptstadt, wo unter anderem die UN-Wirtschaftskommission für
Afrika ihren Sitz hat, wollen bis Donnerstag sämtliche Familienangehörige
ihres internationalen Personals ausfliegen.
Diese Meldungen ärgern Äthiopiens Regierung: Ausländische Botschaften
wollten psychologischen Druck ausüben, aber das Volk solle sich auf das
Überleben konzentrieren, sagte der Regierungssprecher. Am Mittwoch wurden
vier der sechs Diplomaten der irischen Botschaft aus Äthiopien ausgewiesen.
24 Nov 2021
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## AUTOREN
DIR Dominic Johnson
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