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       # taz.de -- Die Wahrheit: Murmel, murmel
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (134): Murmeltiere sind
       > vielseitig verwendbar. Sie dienen sogar als Öllieferanten.
       
   IMG Bild: Murmeltiere am Großglockner
       
       Unlängst bekam ich ein Glas „Alpen Murmeltier Salbe“ geschenkt:
       Sportlersalbe auf ökologischer Basis, nämlich aus dem flüssigen Fett (Öl)
       von Murmeltieren, die sich vegan ernährt haben (mit Blüten), denn sie
       halten bis zu 8 Monate Winterschlaf und müssen sich im Herbst einen
       Fettvorrat anfressen. Dann liefern sie auch viel Öl. Dies geschieht jedoch
       nicht freiwillig: Der Jäger muss dazu den ersten Schritt, Schuss, tun. Dem
       stehen heute aber oft die Jagdgesetze entgegen: In der Schweiz sind die
       Murmeltierabschüsse quotiert, zwischen 1995 und 2005 waren es jährlich
       zwischen 4.000 und 6.000 – für die Bergbewohner zu wenig: „Sie kommen bis
       ins Haus!“
       
       Früher wurden sie auch noch von jungen Leuten mit Fallen gefangen (was
       heute verboten ist). Sie brachten ihnen Kunststücke bei und traten damit
       auf. Im Allgäu wimmelt es heute in den Höhenlagen von Murmeltieren. „Ich
       sehe jeden Tag Murmele. Sie sind uns Älplern eine echte Plage“, klagte ein
       Allgäuer der Welt. Die Bergbauern wären froh, „wenn sie wie ihre Kollegen
       im benachbarten Österreich die Murmeltiere zumindest in Hüttennähe jagen
       dürften. Doch für die Nager besteht in Deutschland eine ganzjährige
       Schonzeit.“
       
       Die hiesigen Jäger wissen sich aber zu helfen. Das Lebensministerium
       schreibt: „Die Alpenmurmeltiere wurden Ende des 19. Jahrhunderts, weil
       zuvor ausgerottet, wieder neu angesiedelt. Sie gediehen gut und haben
       unglücklicherweise, wegen der alltäglichen Konfrontation mit den Menschen,
       in einigen Revieren jegliche Scheu verloren. Sie nähern sich den Wanderern
       arglos, um von ihnen Futter anzunehmen. Dies nutzen einige Leute aus, um
       die Tiere zu fangen oder zu erlegen, denn ausgestopfte Murmeltiere bringen
       viel Geld ein. Auch werben einige geschäftstüchtige Österreicher, vor allem
       in deutschen Zeitschriften, mit geführten Murmeltierjagden und garantieren
       dabei dem Jagdgast, dass er sicher zum Schuss kommen werde.“
       
       Reiche Jäger fliegen in die Mongolei, um Murmeltiere zu jagen. Dort sind
       die Steppen und Hochsteppen, ebenso wie im Himalaja, voll mit ihren
       Kolonien. Sie haben Wächter, die vor Feinden warnen, indem sie sich auf die
       Hinterbeine stellen, um über die Gräser blicken zu können. Wenn sich ihnen
       ein Safariauto nähert, pfeifen sie, und alle verschwinden in Erdhöhlen,
       ihre Tunnel sind bis zu 100 Meter lang. Ein Jäger braucht viel Geduld,
       manche graben im Winter die Höhlen auf und erschlagen die darin
       Schlafenden. Das Fett der Murmeltiere gehörte zu den wichtigen Exportgütern
       der Mongolei, auch ihr grauweißes oder graubraunes Fell ist wertvoll. Die
       einheimischen Hirten reiben sich mit dem Fett im Winter das Gesicht ein: Es
       schützt vor Erfrierungen und bleibt auch bei 30 Grad unter null flüssig.
       Außerdem essen sie gebratene Murmeltiere. In Europa gilt das Murmeltierfett
       als ein Allheilmittel – vor allem gegen Rheuma und Gicht.
       
       ## EE = Echte Eichhörnchen
       
       Die zu den Echten Erdhörnchen gehörenden Nager ähneln den Meerschweinchen,
       sind jedoch viel größer. Im Gegensatz zu den Feldhamstern zum Beispiel
       legen sie keine Vorräte an, sie schleppen nur Heu in ihre Höhlen, um sie
       auszupolstern. Da sie im Winter nicht wirklich schlafen, also nicht träumen
       (was sie später nachholen müssen), und einmal im Monat „aufwachen“, um Darm
       und Blase zu entleeren, sprechen Winterschlafforscher wie Lisa Warnecke von
       „Torpor“. Die ideale Temperatur in der Höhle der Murmeltiere beträgt 4,5
       Grad. Dann schlägt ihr Herz nur noch dreimal pro Minute. Sinkt die
       Temperatur auf 3 Grad herab, erwachen die Tiere und heizen ihre Körper auf
       etwa 30 Grad Celsius auf. Mit ihrer Körperwärme steigern sie die Temperatur
       in ihrem Bau. Erst wenn diese auf 9 Grad angestiegen ist, beenden sie die
       eigene Wärmeerzeugung, die bei der Verbrennung des körpereigenen Fetts
       entsteht, und fallen wieder in den Torpor, wobei sich die ganze Familie
       gegenseitig wärmt.
       
       Das Max-Planck-Institut von Konrad Lorenz fand heraus, nur die Mutter
       bekommt Nachwuchs, alle anderen Weibchen werden auf noch unbekannte Weise
       daran gehindert. Die Söhne müssen dem Vater den Vortritt lassen, dürfen
       sich nach ihm aber auch mit der Mutter paaren. Das könnte ein
       „Zugeständnis“ von ihm sein, vermutet der Biologe Lutz Dröscher.
       
       Die Winterschlafexpertin Warnecke forscht vor allem in Australien, weswegen
       sie in ihrem Buch „Das Geheimnis der Winterschläfer“ (2017) die
       Alpenmurmeltiere nur kurz erwähnt. Das „Fettpolsteranfressen“ ebenso wie
       das „Vorratskammernanlegen“ stellt „Strategien“ dar, um sich an einen
       „saisonalen Lebensraum“ anzupassen, was eine „wochenlange Planung“
       voraussetzt. Man kennt das vielleicht noch von seinen Großeltern, wenn die
       im Herbst wochenlang ihre Obst- und Gemüseernte verarbeiteten. Für die
       Murmeltiere gilt jedoch nicht, dass sie „gut haushalten müssen, damit sie
       es bis zum Frühjahr schaffen“. Lisa Warnecke tötet ihre Tiere nicht, sie
       fängt sie in Fallen, befestigt einen winzigen Sender an ihnen und lässt sie
       wieder frei – unter anderen den Bleichbeutler, der dem Murmeltier ähnelt,
       insofern er sich auch Fettpolster anfrisst – allerdings mit Insekten.
       
       ## Aufwärmkostenträger
       
       Der Sender misst die Körpertemperatur. Die Torporphase der Bleichbeutler
       beginnt täglich um 20 Uhr und endet am nächsten Tag um 11, dann nimmt
       dieses kleine nachtaktive Tier zur Überraschung von Warnecke erst einmal
       ein Sonnenbad, um sich aufzuwärmen. Im Käfig verhält es sich ähnlich, indem
       es seinen Torpor im Schatten verbringt und in seiner „Aufwärmphase“ unter
       eine Wärmelampe läuft, wodurch es seine „Aufwärmkosten“ um ein Drittel
       reduziert (die anderen zwei Drittel übernimmt das
       Winterschlafforschungsinstitut als Stromkosten – dafür, dass es mit dem
       Bleichbeutler im Labor herumexperimentiert und die Doktoranden mit seinen
       Daten möglicherweise Karriere machen).
       
       In Colorado gibt es eine Murmeltierkolonie, die bereits seit 30 Jahren
       erforscht wird – zuletzt von einer Arbeitsgruppe des Londoner Imperial
       College. Sie fängt die Tiere in Fallen und misst ihr Gewicht. Heraus kam,
       dass die Tiere infolge der Klimaerwärmung ihren Torpor verkürzen und immer
       dicker werden, was ihre Überlebenschancen verbessert, sodass es dort immer
       mehr Murmeltiere gibt.
       
       Kürzlich bahnte sich auch bei mir eine Murmeltierforschung an, denn ein
       über die Alpen-Salbe informierter Freund aus Ulaanbaatar schrieb mir: „Ich
       habe den Verdacht, dass das Zeug aus der Mongolei kommt – habe gegoogelt:
       In den Alpen darf man nur ganz wenige Murmeltiere jagen, zu wenig für eine
       industrielle Nutzung.“ Ich mailte zurück: „Vielleicht werden auch nur ganz
       wenige Salbengläschen verkauft. Außerdem macht der Anteil an Murmeltieröl
       darin nur einen kleinen Teil aus.“ Mein Freund erwiderte: „Was meinst du,
       wie viele Leute sich mit der Salbe einreiben … Unser Handelsministerium hat
       genaue Zahlen.“ Noch stutziger machte mich, dass der (italienische)
       Anbieter der Salbe „La Pro-Fit“ heißt. Näheres erhoffte ich mir dann von
       Ulrich Bechers Roman „Murmeljagd“, aber den darin vorkommenden
       Murmeltierjägern geht es um was ganz anderes.
       
       22 Nov 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
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