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       # taz.de -- Coronapolitik und Vertrauen: Verantwortungslos auf allen Ebenen
       
       > Die aktuelle Pandemie-Entwicklung entspricht exakt den Prognosen vom
       > Sommer, die Politik unterließ dennoch vorausschauendes Handeln. So geht
       > Vertrauen verloren.
       
   IMG Bild: Du bist schuld! Nein, du!
       
       Das derzeitige Versagen in der deutschen Coronapolitik ist umfassend. Und
       der Umgang damit ist so dreist, dass es auch langjährigen
       Politikbeobachtern den Atem verschlägt. [1][50.000 Neuinfektionen] werden
       täglich gemeldet, mehr als jemals zuvor in dieser Pandemie. In Kliniken
       kämpft das Pflegepersonal gegen die völlige Überlastung und muss vielerorts
       bereits Patient*innen abweisen.
       
       200 Menschen starben zuletzt täglich im Zusammenhang mit der Infektion. Es
       steht bereits jetzt fest, dass sich dieser Wert in den nächsten Wochen
       mindestens verdoppeln wird. Und nichts davon kommt überraschend. Seit dem
       Sommer lagen Szenarien vom Robert-Koch-Institut und anderen Institutionen
       vor, die vorhergesagt haben, welche Inzidenz und welche Zahl von
       Intensivpatient*innen im Herbst bei der aktuellen Impfquote zu
       erwarten sein wird.
       
       Doch das wollte in der Politik fast niemand zur Kenntnis nehmen. Wer auf
       die drohende vierte Welle im Herbst hinwies, galt als Panikmacher. Statt
       die Warnungen der Expert*innen ernst zu nehmen, hörten viele
       Entscheidungsträger*innen lieber auf realitätsferne
       Optimist*innen und starteten einen Wettstreit um [2][möglichst
       weitgehende Lockerungen] und den Termin für einen möglichen „Freedom Day“.
       
       Dieses Versagen ist schlimm, doch der Umgang damit macht es noch schlimmer.
       Statt Fehler einzugestehen und Verantwortung zu übernehmen, versuchen alle
       Beteiligten verzweifelt, die Schuld auf andere zu schieben. Die alte
       Regierung, die immer noch geschäftsführend im Amt ist, hat die Arbeit
       vollständig eingestellt. Die Bundesländer, die durchgesetzt haben, dass sie
       die Hauptverantwortung für die Krisenbewältigung behalten, blieben
       ebenfalls weitgehend untätig oder lockerten die Maßnahmen, anstatt sie zu
       verschärfen.
       
       ## Die Verantwortung trägt jetzt die Ampel
       
       Dass Union und Länder die Verantwortung für die aktuelle Katastrophe der
       künftigen Ampel-Koalition zuschieben wollen, ist eine Dreistigkeit, die
       ihresgleichen sucht. Doch für das, was ab jetzt passiert, tragen SPD, Grüne
       und FDP tatsächlich die Verantwortung. Und leider deutet bisher wenig
       darauf hin, dass sie diese besser wahrnehmen als die alte Regierung.
       
       Die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ ausgerechnet jetzt auslaufen zu
       lassen, ist ein falsches Signal und schränkt die Handlungsmöglichkeiten der
       Länder ohne Not ein. Und die Art, wie Olaf Scholz nach dem jüngsten
       Bund-Länder-Treffen die Situation schönzureden versuchte, erweckt – gerade
       im Gegensatz zur verzweifelt wirkenden Noch-Kanzlerin – nicht den Eindruck,
       dass ihr wahrscheinlicher Nachfolger den Ernst der Lage wirklich erfasst
       hat.
       
       Auch sonst gib es derzeit leider kaum Hoffnung, dass sich die Situation
       schnell bessert, denn die Politik hat wenig aus den Fehlern der
       Vergangenheit gelernt. Die Booster-Impfungen kommen nur langsam voran, weil
       vielerorts die Impfzentren geschlossen wurden. Die Kinderimpfung wird trotz
       Zulassung im November erst im nächsten Jahr so richtig anlaufen, weil erst
       jetzt die Vorbereitungen dafür beginnen.
       
       Die 3G- und 2G-Regeln sind weiterhin wenig wirkungsvoll, weil die Politik
       die Kritik an deren völlig mangelhafter Kontrolle lange komplett ignoriert
       hat. Mit der Hospitalisierungsinzidenz ist künftig ein Indikator
       entscheidend, [3][der erst mit deutlicher Verzögerung und zudem
       unvollständig anzeigt], wie sich die Lage entwickelt. Und in den Schulen
       läuft der Unterricht trotz fehlender Schutzmaßnahmen und Rekordinzidenzen
       im Normalbetrieb weiter.
       
       Bei allen Menschen, die die Bedrohung durch Corona ernst nehmen – und das
       ist die breite Mehrheit im Land –, sorgt dieses Versagen für Wut und
       Verzweiflung. Und es besteht die Gefahr, dass das Vertrauen in den Staat
       dauerhaften Schaden nimmt. Verhindern lässt sich das – wenn überhaupt –
       nur, indem jetzt endlich auf jene Expert*innen gehört wird, die in der
       Krise bisher fast immer richtig lagen.
       
       Ein erster Schritt sollte dabei sein, [4][Karl Lauterbach] zum
       Gesundheitsminister zu machen. Wenn die SPD diesen Fachmann, der die Krise
       so gut versteht und erklären kann wie kaum ein anderer, bei der
       Regierungsbildung übergeht, wäre das ein weiterer schwerer Fehler.
       
       19 Nov 2021
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Malte Kreutzfeldt
       
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