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       # taz.de -- Die These: Wider die Transfeindlichkeit
       
       > Es ist nicht gut, wenn ausgerechnet Feministinnen anzweifeln, ob trans
       > Frauen auch Frauen sind. Feminismus ist für alle da – sonst ist er
       > keiner.
       
   IMG Bild: Berlin 2020: Demo für ein Selbstbestimmungsrecht in Bezug auf Personenstand/Geschlecht
       
       Es ging ums große Ganze: um Mann und Frau. Als die Grünen gegen Ende der
       vergangenen Legislatur einen Gesetzentwurf vorlegten, um das
       Transsexuellengesetz abzuschaffen, sah die FAZ das „körperliche Geschlecht“
       in Auflösung. Der Stein des Anstoßes: Künftig, so die Grünen, solle trans
       Personen in Deutschland der Wechsel des Geschlechtseintrags ohne externe
       Gutachten und auf Basis der Selbstauskunft erlaubt sein. Die [1][Emma ]
       warnte vor einer sich „anbahnenden Katastrophe“, die SZ beschrieb, warum:
       Am Horizont stehe das „Verschwinden der Frauen“.
       
       Auch international führt die Frage, wer Geschlecht eigentlich wie definiert
       und was das in puncto trans bedeutet, derzeit zu aufgeheizten
       Auseinandersetzungen. Zuletzt trat die britische Philosophin [2][Kathleen
       Stock], die trans Frauen als Männer bezeichnet, nach massivem öffentlichen
       Druck von ihrem Posten zurück. Ein Geschlechterkampf bricht sich Bahn,
       vorwiegend zwischen cis und trans Frauen – also zwischen Frauen, denen bei
       Geburt das Geschlecht „weiblich“ zugewiesen wurde und die sich damit
       identifizieren, und zwischen Personen, denen bei Geburt das Geschlecht
       „männlich“ zugewiesen wurde und die sich damit nicht identifizieren. Die
       zentrale Frage dabei: Sind trans Frauen Frauen?
       
       Dass diese Frage jetzt relevant wird, liegt daran, dass trans Personen als
       sichtbare Gruppe auf der Bildfläche des Mainstreams erscheinen. Sie haben
       Rechte erkämpft, das Klima gegenüber LGBTI hat sich verändert. Die
       Gefahren, die trans Personen – trans Frauen, trans Männer, nichtbinäre
       Personen – durch Angriffe oder Ausgrenzung drohen, nehmen langsam, ganz
       langsam ab. Derzeit geht man von einer knappen halben Million trans
       Personen in Deutschland aus, noch längst nicht alle davon leben offen.
       
       Das biologische Geschlecht scheint dabei zentral, weil die meisten
       überzeugt sind, mit Ja oder Nein beantworten zu können, ob es bei der
       Definition von Geschlecht nun eben zählt oder nicht. Ich zum Beispiel finde
       hinlänglich belegt, dass biologisches Geschlecht und Geschlechtsidentität
       keineswegs gekoppelt sein müssen und dass nur eine Person selbst darüber
       Auskunft geben kann, ob sie Frau ist oder nicht. Eine einhellige Meinung
       dazu gibt es aber nicht, und jede Seite beansprucht Wissenschaftlichkeit
       für sich.
       
       Zielführender, als sich über Biologismen zu zerstreiten, könnte also sein,
       die Frage politisch zu stellen. Warum wehren sich manche cis Frauen mit
       Händen, Füßen und teils mit Hetze dagegen, trans Frauen als Frauen zu
       akzeptieren? Anders gefragt: Angenommen, trans Frauen sind Frauen – was
       hieße das für feministische Kämpfe, für Gemeinsamkeiten, Bruchlinien und
       Solidarität?
       
       Geschlechterkämpfe sind im Kern Anerkennungs- und Verteilungskämpfe, ganz
       gleich, wer da gerade mit wem streitet. Frauen gegen Männer, Schwule gegen
       Lesben, cis Frauen gegen trans Frauen: Immer geht es um Rechte,
       Repräsentation und Ressourcen, immer geht es um das Wesen von Teilhabe. Die
       ist in einer patriarchalen Welt auch für cis Frauen längst nicht gesichert.
       
       Im konkreten Fall einiger cis Frauen – nicht der Mehrheit – gegen trans
       Frauen geht es zum Beispiel um Räume, reale und metaphorische. Um
       Umkleiden, Kneipen, Partys, Schutzräume, Gefängnisse, Praxen von
       Ärzt:innen, den politischen Raum mitsamt seiner Quoten oder den
       gesellschaftlichen Diskursraum. Der Vorwurf einiger cis Frauen: Trans
       Frauen – in der Lesart einiger also Männer – beanspruchen Raum, der Frauen
       gehört, obwohl sie keine sind. Durch die Möglichkeit, den
       Geschlechtseintrag rein auf Basis der Selbstauskunft zu ändern, könnten
       etwa in Frauenumkleiden cis Frauen belästigt werden, die lange darum
       gerungen haben, genau davor geschützt zu sein.
       
       Befürchtungen wie diese lassen sich faktisch widerlegen. In europäischen
       Ländern, in denen vereinfachte Geschlechtseinträge möglich sind, darunter
       Dänemark, Irland und Portugal, sind Fälle von Missbrauch nicht bekannt.
       Andersherum aber ist leicht vorstellbar, wie gefährlich es ist, angesichts
       der derzeit herrschenden Form von Männlichkeit als offen trans lebende Frau
       etwa Männerumkleiden zu nutzen. Der Gedenktag für die Opfer von
       Transfeindlichkeit an diesem Samstag macht darauf aufmerksam, welche oft
       tödlichen Gefahren trans Personen drohen.
       
       Dass sich Minderheiten gegenseitig Räume und Ressourcen streitig machen,
       liegt an Raumknappheit. Diejenigen auszuschließen oder gar zu bekämpfen,
       die aufgrund von Diskriminierung noch weniger Raum haben als man selbst,
       scheint für manche naheliegend. Sinnvoll ist es keineswegs. Das Ziel kann
       nicht sein, sich gegenseitig in Grabenkämpfen um die eigenen Räume zu
       verbarrikadieren. Das Ziel muss sein: genug Raum für alle.
       
       ## Worum soll überhaupt gekämpft werden?
       
       Gestritten wird auch darüber, worum überhaupt gekämpft werden soll. Haben
       die Kämpfe um Rechte von cis und trans Frauen dieselbe Stoßrichtung?
       Möglich, dass die Relevanz einzelner, aber zentraler Aspekte verschieden
       bewertet wird: Legaler Schwangerschaftsabbruch etwa könnte für cis Frauen,
       die Abschaffung des Transsexuellengesetzes für trans Frauen wichtiger sein.
       Aber die zugrunde liegenden Werte und Rechte – Gewaltfreiheit,
       Gleichstellung, sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive Gerechtigkeit –
       liegen in den Interessen aller Frauen. Weit zielführender wäre also, die
       Kräfte zu bündeln und die gemeinsame Sache groß zu machen.
       
       Profitieren werden sonst diejenigen, gegen die es tatsächlich geht – und
       das sind noch immer die Vertreter des Patriarchats, also diejenigen, denen
       Geschlechterhierarchien nutzen, die anti-egalitäre und
       anti-emanzipatorische Strukturen pflegen. Wahrscheinlich also, dass die
       eigenen Energien gewinnbringender eingesetzt sind, wenn cis Frauen und
       trans Personen zusammen den Gegner in den Blick nehmen. Und Vorsicht vor
       falschen Freunden: Wer gegen die Rechte von trans Personen kämpft, macht
       sich mit denen gemein, die auch sonst gegen Gleichstellung mobilmachen –
       auch die von cis Frauen, versteht sich.
       
       In der Tendenz sind übrigens die, die sich derzeit so heftig wehren, trans
       Frauen als Frauen zu akzeptieren, cis Frauen einer nicht mehr ganz jungen
       Generation, die die Erfahrung ihrer eigenen Diskriminierung und
       Unterdrückung einbringen. Aber es gibt kein Copyright auf
       Diskriminierungserfahrung, und diese gegeneinander aufzurechnen war noch
       nie produktiv. Im Gegenteil: Die Erfahrung muss die gemeinsame Klammer sein
       und das gemeinsame Ziel – das, was politisch verbindet, nicht das
       biologische Geschlecht.
       
       Es ist ein Erfolg feministischer Debatten, sich zu hinterfragen, über
       eigene Leerstellen klar zu werden und den Blick zu weiten. Bildet Banden,
       keine neuen Fronten! Feminismus ist für alle da, für trans Personen, cis
       Frauen und Queers. Sonst ist es kein Feminismus.
       
       20 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.emma.de/artikel/ist-emma-transphob-337429
   DIR [2] https://www.independent.co.uk/news/world/americas/kathleen-stock-transphobia-university-austin-b1954486.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patricia Hecht
       
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