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       # taz.de -- Dichte Bebauung in Städten: Immer höher hinaus
       
       > Wenn Städte wachsen, kann der Königsweg nicht darin bestehen,
       > Reihenhaussiedlungen auf dem Land zu bauen. Von den Vorteilen dichter
       > Bebauung.
       
   IMG Bild: Wie soll man in Zukunft bauen in Stadt und auf dem Land – so!? Hochhaussiedlung in Berlin-Buch
       
       Hamburg taz | Die großen Städte können sich vor Zuzug kaum retten. In
       Hamburg und Berlin werden deshalb jedes Jahr Tausende Wohnungen gebaut.
       Baulücken werden geschlossen, Dachgeschosse ausgebaut, flache
       Nachkriegsgebäude geschleift, Innenhöfe, Industriebrachen und Gleisgelände
       überplant – aber auch die eine oder andere Freifläche am Stadtrand. Viele
       dieser Projekte sehen kompakte Neubauten und sogar ganze Quartiere mit
       neuen Wohnblöcken vor, was bei den Anwohnern regelmäßig auf Widerstand
       stößt. Dabei werden die Vorteile dicht bebauter Quartiere unterschätzt.
       
       So wird sich in der Hamburger [1][Hochhaussiedlung Steilshoop] mit knapp
       20.000 Einwohnern gegen den Bau von 470 neuen Wohnungen auf einem
       ehemaligen Schulgelände gewehrt. In [2][Hamburg-Oberbillwerder] soll ein
       nachhaltiges Stadtviertel entstehen: 7.000 Wohnungen, 5.000 Arbeitsplätze
       und 14 Kitas auf 124 Hektar, dazu Parks, Spielplätze sowie ein Schwimmbad.
       In Berlin-Buch sollen es knapp 2.600 Wohnungen für bis zu 9.000 Bewohner
       werden.
       
       Diese Projekte eint, dass sie am Stadtrand entstehen und dass sie
       Freiflächen vernichten. Dabei stehen die Stadtregierungen vor dem Dilemma,
       dass sie sich zwar des Problems der Flächenversiegelung bewusst sind, sich
       aber zunehmend schwertun, innerhalb der Stadt noch Möglichkeiten zum Bauen
       aufzutun.
       
       In diesen neuen Stadtteilen sollen vor allem vier bis sechsstöckige
       Geschosswohnungen und zum Teil einzelne Hochhäuser gebaut werden – zum Teil
       im geförderten Wohnungsbau, was in den Nachbarschaften die Befürchtung
       hervorruft, hier könnten die Gettos von morgen entstehen. Doch was wäre die
       Alternative? Einfamilienhaussiedlungen?
       
       ## Kompakte Bauweise hat Vorteile
       
       Klar ist, dass eine kompakte Bauweise vielerlei Vorteile mit sich bringt:
       Sie verbraucht weniger Grundfläche pro Kopf; die Infrastruktur – Wasser,
       Abwasser, Strom, Telekommunikation – wird intensiver genutzt. Und dann
       lohnt es auch, fußläufige Schulen zu bauen. Wahrscheinlich trägt sich auch
       eine Apotheke und womöglich sogar eine Kneipe.
       
       Nach Ansicht von [3][Paolo Fusi, Professor für städtebaulichen Entwurf an
       der Hafencity-Universität Hamburg (HCU)], sind kompakte Quartiere in der
       Peripherie einem urban sprawl, dem Ausufern der Einfamilienhaussiedlungen
       ins Umland, vorzuziehen. „Es gibt Städte mit extremer Dichte und trotzdem
       viel Lebensqualität“, sagt Fusi und nennt als Beispiel Venedig.
       
       Die historische, kompakte Stadt habe zu Unrecht einen schlechten Ruf
       genossen, [4][schreibt der Architekturtheoretiker Vittorio Magnano
       Lampugnani]. Die mittelalterliche Stadt galt als unpraktisch und schwer
       kontrollierbar. Selbst die heute so beliebten Gründerzeitviertel wurden
       nach dem Krieg teilweise plattgemacht. Dabei sei es gerade ihre Dichte, die
       die historische Stadt so attraktiv mache. So gibt es alles in geringer
       Entfernung, die Wege sind interessant, gesäumt von Cafés, Restaurants und
       kleinen Läden.
       
       Das Labyrinthische der historischen Stadtzentren schaffe „zahllose
       Gelegenheiten der geplanten und ungeplanten Begegnungen und damit des
       zwischenmenschlichen Austauschs“, schreibt Lampugnani – etwas, das moderne
       Institutionen mit viel Aufwand herzustellen versuchten. Darüber hinaus
       erlaube sie „Lernen und Erinnern und damit gemeinsame Identifikationen
       jenseits aller Ungleichheit“.
       
       ## Das passt in die Gegenwart
       
       Dicht bebaute Quartiere passten in die Gegenwart, weil sie es einer
       komplexer werdenden Gesellschaft ermöglichten, ihre verschiedenen
       Lebensentwürfe zu verwirklichen, findet auch Paolo Fusi. Das müsse sich in
       unterschiedlichen Gebäudetypen abbilden, aber auch in bewusst gestalteten
       öffentlichen Räumen, in denen sich Menschen begegnen können. Die Grenzen
       zwischen Wohnen und Arbeiten lösten sich auf, sagt Fusi.
       
       Auch im ländlichen Raum dicht und hoch zu bauen, hält er nicht für an sich
       falsch. „Die Idee einer klaren Differenzierung zwischen
       Verdichtungsgebieten und Natur finde ich interessanter als die Auflösung
       der Stadt“, sagt er.
       
       Der Architekt Thomas Sieverts verdeutlicht das an historischen Bildern: Auf
       den Kupferstichen Matthäus Merians aus dem 17. Jahrhundert erscheinen die
       Städte als klar von der umgebenden Landschaft geschiedene Gebilde. Sieverts
       hat das schon vor 20 Jahren als überholt bezeichnet und den Begriff der
       Zwischenstadt geprägt. Zentrale Einrichtungen seien in die Region
       abgewandert, „eine Rückkehr zur kompakten Stadt unmöglich“. Das liege an
       den Flächen- und Qualitätsansprüchen für Wohnen, Arbeiten und Freizeit, den
       Möglichkeiten freier zu arbeiten und den Bodenpreisen in den Städten.
       Sieverts schwebt ein Kontinuum unterschiedlich stark von Technik
       durchdrungener und vom Menschen gestalteter Räume vor. Das müsse aber
       realisiert werden, „ohne die erwünschten Gestaltungskontraste zu
       verwischen“, ohne dass ein gleichartiger Mischmasch entstehe.
       
       Dazu könnte Lampugnanis Forderung passen, „neue Verdichtungsstrategien zu
       entwickeln, die den besonderen Bedingungen und dem besonderen Charakter der
       Vorstadt gerecht werden“. Dabei könne die Architektur der Dichte überall
       anders sein: flächendeckend oder aufgetürmt, einheitlich oder gegliedert,
       geometrisch oder diffus. Entscheidend sei, dass Städte das blieben, was sie
       immer gewesen seien: „Orte der Vielfalt, der Unterschiedlichkeit und der
       Überraschung“.
       
       21 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bauprojekt-Streit-in-Hamburg-Steilshoop/!5812258
   DIR [2] /Neuer-Stadtteil-Oberbillwerder/!5695815
   DIR [3] https://www.hcu-hamburg.de/bachelor/stadtplanung/arbeitsgebiete-professuren/paolo-fusi/
   DIR [4] http://www.stadtbaukunst.org/cms/upload/texte_zur_stadtbaukunst/Lampugnani_Die_Architektur_der_staedtischen_Dichte.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
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