# taz.de -- Gerichtsentscheidung zum Vorkaufsrecht: Gegen die Mieter in Berlin
> Das Bundesverwaltungsgericht erschwert den Kauf von Häusern in
> Milieuschutzgebieten. Berlins Bausenator Scheel spricht von einer
> „Katastrophe“.
IMG Bild: Mehr Schutz für Mieter*innen, nicht weniger: Protest im Januar vor dem Bundestag
Berlin dpa/taz | Das Bundesverwaltungsgericht hat die in Berlin übliche
Vorkaufsrechtspraxis von Grundstücken aus Gründen des Milieuschutzes in
Teilen gekippt. Ein solches Vorkaufsrecht dürfe nicht auf Basis der Annahme
ausgeübt werden, dass der andere Käufer die Mieter in der Zukunft
mutmaßlich aus dem Gebiet verdrängen könnte, entschied das Gericht am
Dienstag in Leipzig (Az.: BVerwG 4 C 1.20). Es hob damit das Urteil des
Oberverwaltungsgerichts Berlin von 2019 auf und gab einer klagenden
Immobiliengesellschaft recht.
Berlins Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, Sebastian Scheel (Linke),
nannte die Entscheidung eine „Katastrophe“ für die Mieterinnen und Mieter
in Berlin und bundesweit. „Die heutige Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts lässt mich fassungslos zurück“, teilte er mit.
Das Gericht nehme den Kommunen fast gänzlich die Möglichkeit, das
[1][Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten auszuüben]. Der Bundestag müsse
hier zügig klarstellend eingreifen. Sein Haus werde umgehend einen
Vorschlag für eine Bundesratsinitiative erarbeiten, sagte Scheel.
Die Entscheidung ist bereits der zweite harte Schlag gegen die Interessen
von Mieter*innen in Berlin. Im Frühjahr hatte das
Bundesverfassungsgericht den [2][vom Land beschlossenen Mietendeckel
gekippt] mit der Begründung, die Länder hätten in diesem Bereich keine
Gesetzgebungskompetenz. Der Deckel hatte unter anderem die Mieten für einen
großen Teil der rund 1,6 Millionen Berliner Mietwohnungen für fünf Jahre
eingefroren.
In der Begründung des Gerichts hieß es, das Vorkaufsrecht sei
ausgeschlossen, wenn das Grundstück entsprechend den Zielen oder Zwecken
der städtebaulichen Maßnahmen bebaut ist und genutzt wird und ein auf ihm
errichtetes Gebäude keine Mängel aufweist. Diese Voraussetzungen lägen in
dem Fall vor. Der Einschätzung der Vorinstanz, wonach auch zu erwartende
Nutzungen zu berücksichtigen seien, folgte das Bundesverwaltungsgericht
nicht.
Die klagende Immobiliengesellschaft hatte ein Grundstück mit 20
Mietwohnungen und 2 Gewerbeeinheiten im Berliner Bezirk
Friedrichshain-Kreuzberg erworben. Da sich das Grundstück in einem
Milieuschutzgebiet befand, übte der Bezirk das Vorkaufsrecht zugunsten
einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft aus. Damit habe der Gefahr
begegnet werden sollen, dass ein Teil der Wohnbevölkerung durch
Mieterhöhungen oder Umwandlungen in Eigentumswohnungen verdrängt werden
könne. Die Gesellschaft klagte dagegen.
## Senat und Bezirke wollen Urteil prüfen
Der [3][zuständige Bezirksstadtrat Florian Schmidt] (Grüne) teilte zu dem
Urteil am Dienstag mit: „Die heutige Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts ist ein herber Schlag im Kampf gegen die
Spekulation mit Wohnraum und gegen die Verdrängung von Menschen aus ihrer
Nachbarschaft – nicht nur in Berlin, sondern auch in allen anderen
Städten.“ Das Bezirksamt werde in den kommenden Tagen gemeinsam mit dem
Berliner Senat die Auswirkungen des Urteils prüfen.
Auch der Berliner Mieterverein sprach von einer bitteren Entscheidung. „Der
Stärkung des Gemeinwohls durch das Vorkaufsrecht der Bezirke wird damit ein
herber Schlag versetzt“, meinte Geschäftsführer Reiner Wild.
Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Kai Wegner,
kritisierte vor allem den Senat. „Nach dem Mietendeckeldesaster ist der
Paukenschlag aus Leipzig die nächste Totalblamage für Rot-Rot-Grün. Wer so
vorgeht, schadet Mietern, anstatt sie zu unterstützen. SPD, Linke und Grüne
haben jede Glaubwürdigkeit in der Mietenpolitik verloren.“
Die staatlichen Immobilienkäufe insbesondere im Bezirk
Friedrichshain-Kreuzberg haben in Berlin für viele Diskussionen und
deutliche Kritik vor allem der Oppositionsparteien gesorgt. Schmidt hatte
die Ausübung des Vorkaufsrechts immer wieder als Maßnahme zum Mieterschutz
in Berlin verteidigt, wo die Mieten in den vergangenen Jahren deutlich
gestiegen sind.
10 Nov 2021
## LINKS
DIR [1] /Gericht-bestaetigt-Milieuschutzgebiet/!5784357
DIR [2] /Experten-ueber-bundesweiten-Mietendeckel/!5802352
DIR [3] /Florian-Schmidt-ueber-Gentrifizierung/!5798269
## TAGS
DIR Florian Schmidt
DIR Vorkaufsrecht
DIR Mieten
DIR Bundesverwaltungsgericht
DIR Vorkaufsrecht
DIR Vorkaufsrecht
DIR Mieten
DIR Florian Schmidt
DIR Schwerpunkt Wahlen in Berlin
DIR Mieten
DIR Vorkaufsrecht
DIR Florian Schmidt
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Schutz gegen Verdrängung: Vorkaufsrecht soll wieder her
Bausenator Andreas Geisel (SPD) hofft darauf, das gekippte Instrument zum
Mieterschutz mit der Bundesbauministerin wiederzubeleben.
DIR Mietenkrise und Verdrängung: Liberale Blockade
Bauministerin Klara Geywitz will das Vorkaufsrecht der Kommunen neu regeln,
um den Mieterschutz zu stärken. Doch die FDP will lieber weiter prüfen.
DIR Gekipptes Vorkaufsrecht bei Immobilien: Schmerzhafte Schelle
Das Bundesverwaltungsgericht hat das kommunale Vorkaufsrecht für Immobilien
in Innenstadtlagen gekippt – und damit Mieter*innen weiter geschwächt.
DIR Kreuzberger Stadtrat zu Vorkaufsrecht: „Den Menschen nicht vermittelbar“
Baustadtrat Florian Schmidt kritisiert die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts scharf. Er betont aber: Sie ließe sich leicht
korrigieren.
DIR Grüne in Friedrichshain-Kreuzberg: „Initiativen sollen uns treiben“
Clara Herrmann soll die neue grüne Bürgermeisterin für
Friedrichshain-Kreuzberg werden. Sie will mehr Kiezblocks und
„Pakettermine“ in Bürgerämtern.
DIR Deutsche Wohnen & Co enteignen: Wenn nichts anderes mehr hilft
In Berlin hat eine Mehrheit der Bevölkerung für die Vergesellschaftung von
Wohnungen großer Unternehmen gestimmt. Wie sieht es in anderen Städten aus?
DIR Mietenwahnsinn geht weiter: Ein Hai frisst den anderen
Akelius verkauft alle Wohnungen an den schwedischen Immobilienkonzern
Heimstaden. Mieter:innen fordern die Vergesellschaftung beider Konzerne.
DIR Florian Schmidt über Gentrifizierung: „Mehr Druck von der Straße nötig“
In den Altbauquartieren Berlins droht eine riesige Welle von
Eigenbedarfskündigungen, warnt der grüne Stadtrat von
Friedrichshain-Kreuzberg.