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       # taz.de -- Bundeswehr-Dirigent über Zapfenstreich: „Da spielt Tuba statt E-Bass“
       
       > Reinhard Kiauka dirigiert beim Abschied von Angela Merkel das
       > Blasorchester. Mit ihren Musikwünschen hat ihm die Kanzlerin Probleme
       > bereitet.
       
   IMG Bild: Zapfenstreich zum Ende des Afghanistan-Einsatzes im Oktober
       
       Am Donnerstagabend verabschiedet die Bundeswehr Angela Merkel mit einem
       Großen Zapfenstreich. Traditionell durfte sich die Kanzlerin für die
       Zeremonie drei Musikstücke wünschen. Das Stabsmusikkorps wird für sie „Du
       hast den Farbfilm vergessen“, „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ und den
       Choral „Großer Gott, wir loben dich“ spielen. 
       
       taz: Herr Kiauka, für den Großen Zapfenstreich am Donnerstagabend wünscht
       sich die Kanzlerin von Ihrem Stabsmusikkorps unter anderem Stücke von Nina
       Hagen und Hildegard Knef. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie davon
       erfahren haben? 
       
       Reinhard Kiauka: Die Wünsche kamen spät und haben mich überrascht: Die
       beiden Songs sind in unserem Notenarchiv nicht vorhanden.
       
       Wie kurzfristig war es denn? 
       
       Der Wunsch kam letzte Woche Dienstag. Wir hatten neun Tage Vorlauf. Das ist
       sportlich.
       
       Wie lange hat es gedauert, bis Sie die Noten hatten? 
       
       Der Titel von Nina Hagen musste erst mal neu für Sinfonisches Blasorchester
       arrangiert werden. Zum Glück haben wir im Kreis der Militärmusik
       entsprechend kompetente Kameraden. Stabsfeldwebel Guido Rennert,
       Klarinettist im Musikkorps der Bundeswehr in Siegburg, hat uns schnell ein
       Spezial-Arrangement geschrieben. Er hat das binnen zwei Tagen angefertigt,
       was fantastisch ist, weil ich es so schon am Freitag in der Probe
       ausprobieren konnte.
       
       Moment, was bedeutet arrangieren? 
       
       Wenn Titel aus dem Genre der Unterhaltungsmusik gewünscht werden, ist das
       eine besondere Herausforderung, weil diese Titel meist für eine Band
       gesetzt sind – mit E-Bass, E-Gitarre, Keyboard und Drumset. Im Konzert auf
       der Bühne ist das für uns kein Problem, da spielen wir auch mit diesen
       Instrumenten. Aber beim Großen Zapfenstreich sind wir in der
       Marschformation mit den traditionellen Instrumenten. Da spielt Tuba statt
       E-Bass und das Gitarrensolo muss zum Beispiel das Saxophon übernehmen. Das
       muss alles herübergesetzt beziehungsweise arrangiert werden.
       
       Mit der E-Gitarre kann man nicht marschieren? 
       
       Die gehört nicht zum Instrumentarium bei der Marschmusik.
       
       Welche Instrumente werden am Donnerstag die Stimme von Nina Hagen ersetzen? 
       
       Sie ist in mehreren Registern zu hören, weil wir einen möglichst satten
       Sound auf den Platz bringen wollen. Hauptsächlich in den Flügelhörnen und
       den Hörnern, dann wird es aber auch von den Klarinetten und Tenorhörnern
       übernommen und später im Tutti.
       
       Und wie läuft es mit Hildegard Knef? 
       
       Der Song lag immerhin bei einem Verlag vor, musste aber erst bestellt,
       gedruckt und geliefert werden, sodass ich das erst ab Montag einstudieren
       konnte. Aber immerhin lässt sich auch hier der Sologesang in den
       Blasinstrumenten gut abbilden. Stilistisch können wir in diesem Arrangement
       variieren. Der Titel erscheint mal als langsamer Walzer, dann als flotter
       Jazzwalzer. Das dritte Stück war das einzige, welches direkt vorlag und wo
       ich sagen konnte: Jawohl, der Choral ist auch kurzfristig kein Problem. Der
       musste nur noch mal einstudiert und aufgefrischt werden.
       
       Sind Sie zuversichtlich, dass am Donnerstag trotz der kurzen Vorbereitung
       alles klappt? 
       
       Im Konzertsaal ist es warm und trocken. Draußen wird es höchstens 2 Grad
       plus haben. Das sind widrige Rahmenbedingungen, aber alle meine
       Musikerinnen und Musiker werden sich dem höchst professionell stellen. Weil
       das ZDF live überträgt, gab es schon am Mittwochabend eine Probe gemeinsam
       mit dem Wachbataillon am Originalplatz. Da wurden auch die Kameras und der
       Ton eingerichtet, damit am Donnerstag alles wie am Schnürchen läuft.
       
       Dass sich Politiker*innen zu ihrem Abschied aus Spitzenämtern
       ausgefallene Titel wünschen, ist ein neuer Trend. Früher waren häufiger
       Märsche oder Kirchenmusik zu hören. Wann hat sich das geändert? 
       
       Ich glaube, dass das immer salonfähiger wurde, nachdem sich Karl-Theodor zu
       Guttenberg „Smoke on the Water“ von Deep Purple gewünscht hatte.
       
       Was ist Ihnen lieber? Das klassische Repertoire oder ausgefallene Stücke? 
       
       Das Schöne an unserer Militärmusik ist ja, dass wir ein abwechslungsreiches
       Repertoire präsentieren. Wir spielen im Konzertprogramm alles von der
       klassischen Opernouvertüre über originale symphonische Blasmusikliteratur
       bis zu Rock und Pop. Da ist für jeden Geschmack etwas dabei. Beim
       Zapfenstreich sind wir wie gesagt in der Instrumentierung festgelegt und
       das entsprechende Arrangieren moderner Titel ist eine hohe Kunst. Aber
       dadurch entsteht oft eine ganz eigene Version und das kann auch seinen Reiz
       haben.
       
       Was war Ihr Highlight der letzten Jahre? 
       
       Bei der Serenade für Staatssekretär Dr. Tauber [1][war natürlich das
       Star-Wars-Medley auffallend], das wir mit einer Licht-Performance
       dargeboten haben. Die Spielmannstrommler hatten leuchtende Trommelstöcke
       und ich habe mit einem Laserschwert dirigiert.
       
       Das ging auch auf Social Media gut herum. 
       
       Ja, aber das war wie gesagt eine Serenade und da ist man ein bisschen
       freier als beim Großen Zapfenstreich. Ansonsten erinnere ich mich natürlich
       an [2][den Abschied von Ursula von der Leyen mit „Wind of Change“], wo man
       schauen musste: Wer spielt das solistische Pfeifen? Wie ist das nachher mit
       dem Solo? Da hatten wir vorne die Solotrompete und dann das Solosaxofon,
       das den rockigen Part übernahm. So entstehen dann ganz eigene Kreationen,
       die auch in der Öffentlichkeit in Erinnerung bleiben.
       
       Solche Stücke machen die Zeremonien vielleicht auch zugänglicher für
       Zivilisten – anders als kürzlich beim [3][Zapfenstreich zum Ende des
       Afghanistaneinsatzes] mit klassischem Repertoire. Der wirkte auf viele
       Menschen befremdlich. 
       
       Es weckt ein gewisses Interesse. Viele haben ja einfach die Meinung:
       Militärmusik gleich Marschmusik. Natürlich ist das ein Markenzeichen. Aber
       Militärmusik hat schon immer auch Unterhaltungsmusik gemacht. Sie hat schon
       Opernmelodien populär gemacht, auch da wurden spezielle Arrangements
       angefertigt und dadurch erhielten diese Titel ihren Bekanntheitsgrad. Das
       hat sich die ganze Zeit so fortgesetzt, war in den Konzerten immer präsent
       und hält jetzt auch immer mehr Einzug in die Serenaden.
       
       Ich habe vorhin schon nach Ihren Highlights gefragt. Gibt es auch einen
       Musikwunsch, der Ihnen besonders negativ in Erinnerung geblieben ist? 
       
       Da Sie das noch mal ansprechen: Besonders gut fand ich [4][bei
       Bundespräsident Gauck „Über sieben Brücken musst du gehen“]. Dieser Titel,
       auch aus der Osthistorie, hat eine ganz besondere Ausstrahlung. Er passte
       zur Person. Man hat an dem Abend schon auf dem Platz gemerkt, wie sich das
       auf das Publikum überträgt. Das ist dann ein ganz besonderes Erlebnis. Aber
       ein besonders schlechter Titel? Da fällt mir keiner ein.
       
       Thomas de Maizière [5][hatte sich „Live is life“ von Opus gewünscht]. Da
       hat das Trommelintro ziemlich gerumpelt. 
       
       Dazu kann ich nichts sagen, das war vor meiner Zeit.
       
       Setzen Sie alle Wünsche um, oder gibt es Songs, bei denen Sie ein Veto
       einlegen würden? 
       
       Das kann vorkommen, wenn ein Titel gar nicht mit einem großen Sinfonischen
       Blasorchester abbildbar ist. Schwierig wäre vielleicht ein Song, bei dem
       jemand nur akustische Gitarre spielt und dazu singt.
       
       So manches von Bob Dylan scheidet also aus. 
       
       Der hat natürlich einen speziellen Sound. Es würde zumindest ganz anders
       klingen als im Original.
       
       Welche Stücke würden Sie sich wünschen, wenn es einen Zapfenstreich für Sie
       gäbe? 
       
       Das liegt mir wirklich fern. Ich bin der, der das alles realisiert und
       präsentiert und diese Musik mit größter Freude macht. Ich dirigiere lieber,
       als auf dem Podest zu stehen und spielen zu lassen. Damit habe ich im
       Moment auch genug zu tun: Wir wollen die Musik so aufpolieren, dass sie am
       Donnerstagabend richtig schön klingt und sich die Frau Bundeskanzlerin an
       ihren Wünschen auch wirklich erfreuen kann.
       
       2 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=RVL4kzaeefk
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=5S3xnCqc7Js
   DIR [3] /Zapfenstreich-in-Berlin/!5804160
   DIR [4] https://youtu.be/lNaiMRXyExs?t=170
   DIR [5] https://youtu.be/Fkcxa66NjKQ?t=625
       
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