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       # taz.de -- BGH verhandelt über NSU-Urteil: „Widersprüchlich und lückenhaft“
       
       > Der BGH verhandelt über das milde Urteil gegen NSU-Unterstützer André
       > Eminger. Die Bundesanwaltschaft will es kippen, aber die Hürden sind
       > hoch.
       
   IMG Bild: Proteste gegen die milden NSU-Urteile im Jahr 2018
       
       Karlsruhe taz | Der Bundesgerichtshof (BGH) soll den Teilfreispruch für den
       engen [1][NSU-Helfer André Eminger] aufheben. Das forderte die
       Bundesanwaltschaft am Donnerstag in der ersten und einzigen
       Revisionsverhandlung zum NSU-Komplex. Das milde Urteil für Eminger sei
       „widersprüchlich und lückenhaft“, gegen ihn müsse neu verhandelt werden.
       
       Die rechtsextreme Terrorgruppe NSU hatte ab 2000 neun Migranten und eine
       Polizistin ermordet, wozu sich die Gruppe aber erst 2011 bekannte. 2018
       verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) München Beate Zschäpe zu
       lebenslanger Haft. Die anderen NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt
       sind schon seit 2011 tot. Mit Zschäpe standen daher nur Helfer wie Eminger
       vor Gericht.
       
       ## Überraschend niedriges Strafmaß
       
       Eminger hatte zwischen 2000 und 2003 drei Mal ein Wohnmobil für das
       NSU-Trio gemietet. Die Terroristen nutzten die Fahrzeuge für zwei
       Raubüberfälle in Chemnitz und einen Sprengstoffanschlag in Köln. Außerdem
       unterstützte er den NSU, indem er Zschäpe 2007 bei der Polizei als seine
       Ehefrau Susan ausgab und indem er 2009 für Zschäpe und Böhnhardt Bahncards
       besorgte. Die Bundesanwaltschaft hatte vor dem OLG [2][eine 12-jährige
       Freiheitsstrafe] für Eminger gefordert.
       
       Das OLG verurteilte den überzeugten Nazi Eminger aber überraschend nur zu
       zweieinhalb Jahren Gefängnis. In die NSU-Morde sei er erst 2007 eingeweiht
       worden, so das Gericht. Deshalb habe Eminger nur wegen der
       Bahncard-Beschaffung 2009 verurteilt werden können. Bis 2006 habe Eminger
       wohl geglaubt, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nur deshalb im
       Untergrund lebten, weil sie wegen Sprengstoffbesitzes von der Polizei
       gesucht wurden.
       
       Gegen dieses Urteil hatte nicht nur Eminger Revision eingelegt, sondern
       auch die Bundesanwaltschaft. Deshalb wurde hierzu mündlich verhandelt,
       während der BGH die Revision von Zschäpe schon im August per Beschluss als
       offensichtlich unbegründet verwarf.
       
       Eminger war am Donnerstag nicht nach Karlsruhe gekommen. Auch seine
       Revision hat keinerlei Aussicht auf Erfolg. Im Prozess ging es fast nur um
       die Revision der Bundesanwaltschaft, die indes auch einen schweren Stand
       hatte. Denn vor dem BGH können nur Rechtsfehler gerügt werden – die
       Beweiswürdigung des OLG ist grundsätzlich zu akzeptieren.
       
       Das OLG-Urteil sei „widersprüchlich und lückenhaft“, argumentierte
       Bundesanwalt Jochen Weingarten. So habe das OLG die engen Kontakte des
       Trios zu Eminger in der frühen Untergrundphase bis 2002 als „sporadisch“
       bezeichnet und daraus geschlossen, dass Eminger keinen Einblick in die
       Lebensverhältnisse des Trios hatte. Dagegen wertete das OLG eine ab 2006
       bestehende ähnlich enge Konstellation ganz anders: Nun habe sich für
       Eminger der Gedanke aufdrängen müssen, dass die Untergetauchten ihren
       Lebensunterhalt mit Überfällen finanzieren.
       
       ## Nebenklage kritisiert Urteil als „weltfremd“
       
       Außerdem hätte Eminger durchaus auch auf die Idee kommen können, dass seine
       Freunde Sprengstoffanschläge begehen, so Weingarten. Schließlich sei seit
       1998 in der rechten Szene bekannt gewesen, dass das untergetauchte Trio in
       der Lage war, Sprengstoff zu beschaffen. Doch auch damit habe sich das OLG
       nicht auseinandergesetzt.
       
       Auch Nebenkläger-Anwältin Edith Lunnebach kritisierte das OLG-Urteil als
       „weltfremd“. Das Münchener Gericht habe sich zu sehr auf die Schilderungen
       von Zschäpe verlassen, die aber offensichtlich Eminger in Schutz nehmen
       wollte. Lunnebach vertrat die deutsch-iranische Familie, der der Kölner
       Sprengstoffanschlag galt. Andere Nebenkläger waren nicht zugelassen.
       
       Nur Emingers Anwalt Herbert Hedrich verteidigte das OLG-Urteil als
       plausibel. Da Eminger – anders als das NSU-Trio – nicht aus Jena stammte,
       sei er anfangs für die Untergetauchten nicht so vertrauenswürdig gewesen.
       Der 3. BGH-Strafsenat wird sein Urteil am 15. Dezember verkünden. Der
       Vorsitzende BGH-Richter Jürgen Schäfer betonte mehrfach, sein Senat sei
       noch nicht festgelegt.
       
       2 Dec 2021
       
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   DIR Christian Rath
       
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