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       # taz.de -- Südafrika und Omikron: Die Strafe der Welt
       
       > Dass die Omikron-Variante in Südafrika entdeckt wurde, liegt auch am
       > hohen Niveau der medizinischen Forschung dort.
       
   IMG Bild: Die Fallzahlen steigen, wie hier in einem Krankenhaus bei Johannesburg
       
       Kapstadt taz | Noch ist vieles unbekannt über die neue
       [1][Coronavirusvariante Omikron]. Weltweit wird unter Hochdruck geforscht,
       ob sie ansteckender ist und wie gut die vorhandenen Impfstoffe vor ihr
       schützen. Sicher ist hingegen, von wem die Welt über Omikron informiert
       wurde: Entdeckt hat die Variante das Viruswarnsystem von Südafrika. Doch es
       liegen inzwischen mehrere Hinweise vor, dass es Omikron bereits vor seiner
       Entdeckung gab: in Europa.
       
       Seitdem lobten viele – von US-Präsident Joe Biden bis hin zum scheidenden
       deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn – die „vorbildliche Transparenz“
       und das „Weltklasseniveau“ der medizinischen Forschung in Südafrika – um
       dann aber umgehend strenge [2][Flugverbote] gegen Südafrika und seine
       Nachbarländer zu verhängen.
       
       Die Weltgesundheitsorganisation warnte davor, „mit Reiseverboten die neue
       Variante zu bekämpfen“, während noch viel zu wenig bekannt sei über deren
       Wirkung und Verbreitung. Auch südafrikanische Wissenschaftler*innen
       argumentierten von Beginn an dagegen, weil gerade jetzt Austausch und
       Kommunikation auf Augenhöhe nötig seien. Glenda Gray, Präsidentin des
       Südafrikanischen Medizinischen Forschungsrates sagt: „Omikron wurde so
       schnell entdeckt bei uns, weil bei ersten noch undeutlichen Abweichungen
       von Testergebnissen in einem privaten Labor sofort spezialisierte
       Virolog*innen an mehreren Universitäten informiert wurden.“
       
       Südafrikas Regierung beschwerte sich ebenfalls darüber, dass das Land dafür
       bestraft werde, dass es als erstes die neue Variante erkannt hätte.
       Präsident Cyril Ramaphosa erklärte: „Wir sind zutiefst enttäuscht über die
       Entscheidung mehrerer Länder, ein Reiseverbot zu uns und unseren
       Nachbarländern zu verhängen.“ Dies stehe im Widerspruch zu den Zusagen, die
       viele dieser Länder auf dem G20-Treffen im Oktober gegeben hätten.
       
       ## Einbußen beim Tourismus
       
       „Das einzige, was hierdurch erreicht wird, ist weiterer Schaden für unsere
       Wirtschaft und das Leben unserer Menschen, die gerade begonnen haben, sich
       mit viel Mühe von den Folgen der Pandemie zu erholen“, sagte Ramaphosa.
       Allein im für Südafrika so wichtigen Tourismus kam es zu mehr als 80
       Prozent Absagen für die bevorstehende Sommersaison im Dezember und Januar.
       
       Die stellvertretende Vorsitzende der Allianz für Impfstoffentwicklung der
       Afrikanischen Union, Ayoade Alakija, erklärte: „Wenn das erste Coronavirus
       statt in China in Afrika entdeckt worden wäre, bin ich sicher, dass die
       Menschen auf dem afrikanischen Kontinent als erste Reaktion isoliert, de
       facto also eingesperrt, worden wären.“ Anschließend wäre, so Alakija, der
       Schlüssel zu jeder Heilung weggeworfen worden: „In medizinische Forschung
       wurde bislang immer nur global investiert, wenn auch reiche Länder
       unmittelbar betroffen sind. Da brauchen wir nur an Malaria oder die Anfänge
       von Aids zu denken.“
       
       Weltweit waren Südafrika und Großbritannien die ersten Länder, die in der
       globalen Coronakrise sogenannte genomische Überwachungsysteme aufbauten,
       bereits ab April 2020 wurde damit begonnen.
       
       „Südafrika verfügt inzwischen über ein Monitor- und Warnsystem, das
       landesweit oft besser funktioniert als in vielen Ländern Europas“, sagt
       Glenda Gray. Im Kern geht es bei diesem Warnsystem um die Sequenzierung des
       Virus und seiner möglichen Mutationen, also einer sorgfältigen Erforschung
       der Reihenfolge von Virusentwicklungen.
       
       Um neue Varianten aufspüren zu können, müssen verschiedene Instanzen
       zusammenarbeiten: Die staatlichen und privaten Testzentren als erste
       Anlaufstellen melden jede Auffälligkeit den Virusexpert*innen der
       Universitäten, die über den nationalen Gesundheitslabordienst sowie die
       Gesundheitsdatazentren in allen neun Provinzen gut miteinander vernetzt
       sind.
       
       Die Impfquote in Südafrika liegt heute nach Angaben internationaler
       Organisationen bei 24,4 Prozent, die Regierung gibt 35,6 Prozent an. Das
       ist noch immer weit entfernt vom Ziel, mindestens 67 Prozent bis Jahresende
       zu impfen. Aber viel besser als in vielen ärmeren Ländern Afrikas mit nur
       bis zu 3 Prozent.
       
       In Südafrika gibt es jetzt erstmals mehr Impfstoff als Menschen, die zum
       Impfen bereit sind. Umgehend kamen im Zusammenhang mit Omikron Vorwürfe
       westlicher Regierungen, dass es zuerst an den sich verweigernden
       Afrikaner*innen liegen würde, wenn die Impfquoten so niedrig seien.
       
       „Es ist Unsinn, wenn jetzt in Großbritannien gesagt wird, dass das Problem
       zuerst das Zögern der Menschen in Afrika ist, sich impfen zu lassen“, sagt
       der südafrikanischen Genetikprofessor Tulio de Oliveira. In Großbritannien
       gebe es gehorteten Impfstoff für die nächsten anderthalb Jahre, „Und jetzt
       wollen sie uns Impfstoffverweigerung in Afrika vorwerfen?“, so de Oliveira.
       Die Menschen in Südafrika zögerten beim Impfen auch, weil es ein Misstrauen
       gegenüber den entwickelten Ländern im Norden gebe.
       
       Dieses Misstrauen rührt auch von bisher gemachten Erfahrungen. So sagte
       kürzlich Gordon Brown, der frühere britische Premier und heutige
       UNO-Botschafter für globale Gesundheitsfinanzierung, dass zwar inzwischen
       „genug Impfstoff produziert wurde, um die gesamte Weltbevölkerung zu
       impfen“, aber „wenige reiche Länder das meiste weiter für sich horten“. Von
       den bislang gemachten Zusagen hätte die „EU nur 19 Prozent wahrgemacht,
       Großbritannien sogar nur 11 Prozent“.
       
       Die Lage in Südafrika ist schwierig. Doch es gibt auch erste Erfolge, etwa
       aus dem Ostkap, einer der ärmsten überwiegend ländlichen Provinzen, wo es
       lange Zeit die höchsten Todesfälle durch Corona gab. Seitdem dort durch
       Hausbesuche und ambulante Impfstationen mehr als eine Million Menschen
       vollständig geimpft sind, gehen die Zahlen von schweren Krankheitsverläufen
       und Todesfällen deutlich zurück.
       
       Inzwischen wird mit vorsichtiger Erleichterung festgestellt, dass die neue
       Omikron-Variante in Südafrika zwar mehr jüngere Leute betrifft, aber die
       Verläufe bisher weniger ernst sind. Eine Entwicklung ist dennoch
       beunruhigend: Seit Mitte November haben sich die täglichen Infektionszahlen
       in Südafrika stark erhöht, von unter 250 auf am Donnerstag 11.535 neue
       Fälle. Davon entfallen 80 Prozent auf die Omikron-Variante.
       
       4 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Lutz van Dijk
       
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