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       # taz.de -- „Wellenbrecher“ ist Wort des Jahres: Der Gewalt Herr werden
       
       > Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat „Wellenbrecher“ zum Wort des
       > Jahres gewählt. Eine Glosse zu den Assoziationen über Corona hinaus.
       
   IMG Bild: Eine gebrochene Welle in Spanien
       
       Bei einem in Küstennähe sozialisierten Menschen löst das Wort
       „Wellenbrecher“ sofort Assoziationen aus, ja, auch gleich körperliche
       Reaktionen: Man stemmt die Füße fest und leicht hintereinander versetzt auf
       die Erde, lehnt sich leicht nach vorn und spannt heroisch die
       Haltungsmuskulatur an. Nicht immer nämlich wirken die Wellen so entspannt,
       wie [1][Uwe Johnson] sie am Anfang seiner „Jahrestage“ beschrieb: „Lange
       Wellen treiben schräge gegen den Strand, wölben Buckel mit Muskelsträngen,
       heben zitternde Kämme, die im grünsten Stand kippen.“
       
       Da hat man auch schon ganz andere Wellen gesehen, solche, wie Joseph Conrad
       sie schildert, etwa in „Der Niemand von der Narzissus“: „Eine mächtige,
       schaumbedeckte See kam aus dem Dunst auf sie zu und stürzte sich wild
       aufheulend auf das Schiff.“
       
       Es sind solche Bilder von Unausweichlichkeit und Überwältigung, die die
       einschlägigen Leute vielleicht auch im Hinterkopf hatten, als sie sich
       entschieden, den Anstieg von Coronafällen in der Wellen-Semantik zu
       beschreiben. Als die vierte Welle sich in den Grafiken vor einem aufbäumte,
       zog man tatsächlich unwillkürlich den Kopf ein.
       
       Zum Thema „Wellenbrecher“ wäre noch zu sagen, dass sich an der deutschen
       Nordseeküste die zentralen Konzepte längst grundlegend gewandelt haben.
       Unsereiner hat noch in den Höhlen gespielt, die den Dünen Sylts
       vorgelagerte Tetrapoden gebildet haben. Mächtige vierfüßige Betonklötze
       waren das, an den Strand gekippt in der Hoffnung, damit der Gewalt der
       Wellen ein für allemal Herr zu werden und [2][die Küste somit schützen] zu
       können.
       
       Was nicht funktionierte. Weshalb man es nun anders macht. Jährlich wird
       wieder Sand an den Strand gespült und gebaggert, längst hat er die
       Tetrapoden unter sich begraben, und der in den Winterstürmen vom Meer
       abgetragene Sand wird im Sommer erneuert, sodass er sich erneut als Schutz
       vor die Insel legt.
       
       Nicht harter Beton, sondern flüchtiger Sand ist der beste Wellenbrecher –
       was zum Coronakomplex gut passt: Nur die Summe vieler teilweise winzig
       kleiner individueller Einzelmaßnahmen von Kontaktvermeidungen über
       Impfentschlüsse bis hin zur Maskendisziplin – jedes für sich nur ein
       Sandkörnchen – kann die Welle brechen. Soviel auch zur Meldung, dass die
       Gesellschaft für deutsche Sprache „Wellenbrecher“ gerade zum Wort des
       Jahres gewählt hat.
       
       3 Dec 2021
       
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