# taz.de -- Kanzlerin geht, Probleme bleiben: Die NSU-Akte der Angela M.
> Seit Monaten wird Angela Merkels Regierungszeit kritisch gewürdigt. Doch
> ein wesentlicher Aspekt kommt viel zu kurz.
IMG Bild: Demo zum 10. Jahrestag der Enttarnung der Terrorgruppe NSU am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg
Wenn alles nach Plan läuft, wird in der kommenden Woche der Vizekanzler
Kanzler und die Kanzlerin passé sein. Ein Hamburger tritt an, eine
Uckermärkerin tritt ab.
Seit dem Spätsommer wird Angela Merkels Regierungszeit allenthalben
kritisch gewürdigt. Ein wesentlicher Aspekt kommt leider viel zu kurz,
obwohl er das Leben von Millionen Menschen in Deutschland betrifft: Für
politische Kräfte am rechten Rand waren die anderthalb Jahrzehnte der
Rauten-Regentschaft in weiten Teilen ein einziger Traum. Mit ihrem Postulat
der Alternativlosigkeit ihrer Politik wurde Merkel indirekt zur
Namensgeberin der Alternative für Deutschland. Vor allem aber gab es eine
Konstante, die sie während ihrer Amtszeit nicht mehr loswurde: [1][den
NSU].
Als der im Herbst 2011 aufflog, hatte Merkel noch zwei Drittel ihrer
Amtszeit vor sich. Auf der zentralen Gedenkfeier für die Opfer des rechten
Terrors gab sie, noch sichtlich geschockt vom Ausmaß des Terrors und dem,
ööhm, sagen wir mal, dilettantischen Vorgehen der Sicherheitsbehörden, ein
Versprechen ab: „Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die
Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten
Strafe zuzuführen. […]“ Das allein reiche aber nicht, „denn es geht auch
darum, alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende zu tun,
damit sich so etwas nie wiederholen kann.“
Symbolträchtigen Auftritten und aufrichtigen Worten wie diesen folgten
leider selten nachhaltige Handlungen. Nicht nur blieben Behörden dem
Narrativ des allein agierenden Trios um Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt
verhaftet, nicht nur starben zentnerweise Akten den Schreddertod …
## Versprochen, gebrochen!
Merkel schaute außerdem zu, wie ihre Innenminister den institutionellen
Rassismus ihrer Behörden ignorierten, Studien verhinderten oder aber mit
Hinweis auf das föderale System Verantwortung von sich schoben. Trotz sage
und schreibe 13 Untersuchungsausschüssen und eines mehrjährigen
Strafprozesses ist es nach einem Jahrzehnt nicht gelungen, umfangreich
Licht ins braune und behördliche Dunkel zu bringen. Zehn Jahre später
lautet das Urteil also: Versprochen, gebrochen!
Vielleicht ist der Fortschritt in Deutschland, wie in so vielen Bereichen,
auch hier nur eine besonders träge Schnecke und Merkel hätte vor diesem
Hintergrund mit ihren Gesten und Worten dann doch ganz schön viel gerissen
(ich sage nur: Helmut Kohl + Solingen).
Nur: Das allein reicht nicht! Damit sich Millionen Menschen, die
institutionellem Rassismus ausgesetzt sind, die als Opferangehörige zu
Opfern falscher Anschuldigungen von Behörden werden, nicht weiterhin als
Bürger:innen zweiter Klasse fühlen und annehmen müssen, für sie gelte
der Rechtsstaat nur in Teilen, braucht es endlich mehr Taten statt nur
warmer Worte (siehe Hanau).
Wenn der Ampel nicht zu früh der Strom ausgehen sollte, müsste sie gerade
hier eines tun: Mehr Fortschritt wagen!
6 Dec 2021
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DIR Bobby Rafiq
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