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       # taz.de -- Whistleblower packt aus: Bio ist gut, Kontrolle besser
       
       > Was passiert eigentlich, wenn Ökobauern gegen Ökovorschriften verstoßen?
       > Zu wenig, sagt Ex-Biokontrolleur Manfred Flegel.
       
   IMG Bild: Whistleblower Manfred Flegel fordert ernsthafte Kontrollen der Biolandwirtschaft
       
       Der Bauer war sauer, denn Kontrolleur Manfred Flegel hatte ihn erwischt.
       Auf dem Hof in Niedersachsen mussten sich Flegel zufolge 48 Rinder nur 40
       Fressplätze teilen. Obwohl der Bioverband des Betriebs einen Platz pro Tier
       verlangt, damit auch schwächere Rinder genügend Futter bekommen. Flegel
       meldete den Verstoß der Zentrale seines damaligen Arbeitgebers,
       Deutschlands größter Biokontrollstelle Abcert. Die aber habe daraufhin
       weder dem Hof noch den Tieren das Siegel entzogen, ärgert sich Flegel. Der
       Landwirt verlor allerdings Zeit, denn Flegel schrieb nach eigenen Angaben
       in mühevoller Kleinarbeit die Identifizierungsnummern auf den Ohrmarken
       aller Tiere auf. Der Bauer sah sich auch zu langen Rechtfertigungsbriefen
       an Abcert genötigt, um schmerzhafte Sanktionen abzuwenden.
       
       Deshalb rief der Betrieb laut Flegel einen Tag vor der nächsten regulären
       Kontrolle bei Abcert an. „Sie haben gesagt: ‚Den Flegel wollen wir nicht
       mehr haben. Da stimmt die Chemie wohl nicht.‘ Da haben sie dann jemand
       anderes hingeschickt“, erzählt der ehemalige Inspekteur, der von 2017 bis
       2021 bei der Kontrollstelle gearbeitet hat. „Das finde ich schon ein
       bisschen schräg, dass der Betrieb sich nicht nur die Kontrollstelle
       aussuchen kann, sondern auch den Kontrolleur.“ An den zwei Tagen, die er
       für die dann abgesagte Kontrolle eingeplant hatte, habe er stattdessen
       Urlaub nehmen müssen. „Dann ist der Kontrolleur in der Regel bemüht, lieber
       nicht so kontrovers und so kritisch zu kontrollieren, damit er nicht
       ausgeladen wird“, sagt der 63-Jährige.
       
       Abcerts Codenummer DE-ÖKO-006 steht auf vielen Biolebensmitteln. Die
       Aktiengesellschaft ist wie alle [1][19 von den Behörden zugelassenen
       Biokontrollstellen] in Deutschland ein privates Unternehmen. Bezahlt werden
       sie von denjenigen, die sie kontrollieren sollen: den Bauern und Firmen,
       die mit dem Biosiegel werben. Die Kunden dürfen ihre Kontrollstelle selbst
       auswählen – und auch wechseln. So können die Kontrollierten Druck auf die
       Inspekteure ausüben. „Abcert will keine Kunden verlieren“, sagt Flegel.
       Deshalb würden zu kritische Kontrolleure kaltgestellt, wenn sich die
       Betriebe beschweren. Außerdem bestrafe die Zentrale von den Kontrolleuren
       festgestellte Verstöße gegen das Biorecht oft zu lasch.
       
       Kritisiert wird schon lange, dass es bei Biokontrolleuren einen
       Interessenkonflikt zwischen öffentlichem Auftrag und Gewinnstreben gebe und
       sie deshalb manchmal nicht so genau hinschauten – nachweisen ließ sich das
       allerdings bisher kaum. Flegel ist der erste Whistleblower, der öffentlich
       und mit vollem Namen konkrete Missstände in einer Biokontrollstelle
       enthüllt. Manfred Flegel ist der taz zudem seit Jahren bekannt.
       
       Ein weiterer ehemaliger Abcert-Kontrolleur, der anonym bleiben möchte, hat
       gegenüber der taz bestätigt, dass die Inspektoren gewechselt werden, wenn
       die Betriebe sie ablehnen. „Ich hatte jemanden bei einem richtigen
       Anbaubetrug erwischt“, sagt der Kontrolleur. „Der hat mich vom Betrieb
       geschmissen, weil ich ihm wirklich auf die Füße getreten bin.“ Abcert habe
       dann statt ihm einen sehr jungen Inspekteur mit wenig Erfahrung beauftragt.
       „Der hat gesagt: ‚Da war nix, ich habe mich vertan.‘“ Der Ex-Kontrolleur
       ist bis heute vom Gegenteil überzeugt.
       
       Der Abcert-Vorstandsvorsitzende Friedrich Lettenmeier bestätigt auf Anfrage
       der taz, dass die Kontrollstelle tatsächlich den Inspekteur austauscht,
       wenn der Betrieb darum bittet. „Die Norm DIN/ISO 17065 sieht dies so vor“,
       behauptet Lettenmeier. Doch der Abschnitt dieser Norm für Zertifizierungen,
       den Lettenmeier als Beleg mitschickt, verlangt lediglich, dass die
       Kontrollstelle den Inspekteur zur Offenlegung persönlicher
       Interessenkonflikte verpflichtet. Er fordert nicht, auf Wunsch des Betriebs
       hartnäckige Inspekteure auszutauschen.
       
       Die Enthüllungen sind Sprengstoff für eine Branche, die maßgeblich vom
       Vertrauen der VerbraucherInnen abhängig ist. Denn viele zahlen den teils
       heftigen Aufpreis für Biolebensmittel, weil sie eben keine Pestizide im
       Essen haben wollen und etwas für die Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten
       sowie den Tierschutz tun wollen. Das soll die [2][Ökoverordnung] der
       Europäischen Union garantieren. Biobauern müssen demnach zum Beispiel auf
       chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und besonders umweltschädlichen
       Dünger verzichten. Sie sind auch dazu verpflichtet, ihren Tieren mehr Platz
       im Stall und Auslauf zu gewähren. Die Ökoverordnung schreibt daher vor,
       dass Kontrollstellen jeden Biobetrieb mindestens einmal im Jahr überprüfen
       müssen.
       
       Doch wie zuverlässig schützen diese Kontrollen vor Betrug? Flegels Berichte
       lassen in dieser Hinsicht Zweifel aufkommen. Die Zentrale der Abcert habe
       eine lasche Haltung befördert, sagt er. Ein Vorgesetzter habe ihn einmal
       sogar gefragt, warum er „so misstrauisch“ sei, erzählt Flegel. „Ich habe
       ihm geantwortet: ‚Weil ich kein Pastor bin, sondern Kontrolleur.‘“
       Friedrich Lettenmeier von Abcert schreibt dazu, keine der Führungskräfte,
       die er dazu habe befragen können, könne sich an ein derartiges Gespräch
       erinnern. Offen bleibt, welche Führungskräfte er gefragt hat.
       
       Flegel ist Agraringenieur, er hat an der Pionier-Ökofakultät der
       Universität Kassel/Witzenhausen studiert und hat selbst einen Biobetrieb
       gehabt. Er arbeite im Ökolandbau aus Überzeugung, sagt er. Flegel weiß,
       welche Schäden Überdüngung und Pestizide der konventionellen Landwirtschaft
       in der Umwelt anrichten.
       
       Er hält es für ein Problem, dass Biobetriebe „immer größer und
       profitorientierter“ würden. Das seien oft diejenigen, die das System
       missbrauchen und Regeln umgingen. So wie ein für die Region sehr großes
       Agrarunternehmen aus Niedersachsen, das eine Biogasanlage und eine
       Rindermast betreibt. Alles konventionell. Biozertifiziert seien lediglich
       die Wiesen, denn dort würden ohnehin keine Pestizide ausgebracht, sagt
       Flegel. Dafür zahlt der Staat die vergleichsweise hohen
       Ökolandbau-Subventionen. Das geschnittene Gras landet dann aber genauso wie
       die Exkremente der Rinder in der konventionellen Biogasanlage, die Strom
       erzeugt. Übrig bleibt ein Substrat, das als Dünger auf dem Biogrünland
       entsorgt wird. Als aber im Winter der Gärbehälter der Anlage voll war,
       kippte der Betrieb laut Flegel mehr nährstoffhaltiges Substrat auf die
       Wiesen, als erlaubt war. „Sie mussten den Pott halt leeren, damit sie
       weiter Strom produzieren können“, erinnert sich der ehemalige Kontrolleur.
       „So haben sie die Flächen völlig überdüngt. Das läuft dann über Gräben und
       Nebenflüsse in die Elbe, denn so viel kann der Boden überhaupt nicht
       aufnehmen. Das sollte die Landwirtschaft nicht, und die Biolandwirtschaft
       erst recht nicht.“
       
       Wegen Überdüngung habe der Betrieb schon mal eine Abmahnung bekommen. „Nach
       dem zweiten Verstoß hatte ich eigentlich damit gerechnet, dass der mit
       Pauken und Trompeten aus dem Kontrollverfahren fliegt“, so Flegel. Aber
       Abcert habe ihm nur eine weitere Abmahnung geschrieben. „Dann lernen die
       ja, dass sie eigentlich nichts beachten müssen.“ Lettenmeier bestreitet,
       dass der Betrieb das Biosiegel trotz zweier Abmahnungen wegen massiver
       Überdüngung bekommen hat. Doch biozertifiziert ist das Unternehmen bis
       heute, wie eine Abfrage auf der Internetseite von Abcert zeigt.
       
       „Oft sind die Kontrolleure auch nicht kompetent genug für den
       Betriebszweig, den sie überprüfen sollen“, sagt der ehemalige Inspektor,
       der nicht mit Namen genannt werden möchte. „Die Abcert gewährt einem auch
       nicht genug Zeit, sich einzuarbeiten.“ Teils würden Uni-Absolventen ohne
       viel Praxiserfahrung auf Kontrollen geschickt. Weil die Firma nicht genug
       zahle und der Umgang miteinander nicht gut sei, könne sie nicht genügend
       erfahrene Mitarbeiter rekrutieren. Abcert dagegen schreibt: „Aus- und
       Fortbildung des Personals ist auch ein Punkt der Überwachung durch
       Behörden.“ Die Biokontrollstellenverordnung verlange eine „mindestens
       einjährige einschlägige Berufserfahrung“.
       
       Durch die Lappen gegangen ist Abcert auch der Fall des
       [3][Bioschweinehalters aus dem Dorf Zargleben] im niedersächsischen
       Wendland, der laut Staatsanwaltschaft seinen Tieren im Ökolandbau verbotene
       Medikamente und konventionelles Futter gegeben haben soll. Der Landwirt ist
       ein Pionier der Bioschweinefleischerzeugung und war mit jährlich rund 7.000
       gemästeten Tieren ein wichtiger Player in der Branche. Allerdings
       verabreichte der Betrieb laut dem Niedersächsischen Landesamt für
       Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) Sauen Medikamente, die
       künstlich die Brunst auslösen. Dadurch warfen sie mehr oder minder
       gleichzeitig Ferkel, die Produktionsabläufe sowie die Liefermengen ließen
       sich besser planen. Solche extrem unnatürlichen Eingriffe untersagt die
       Ökoverordnung.
       
       Doch das Laves hatte nach eigenen Angaben „keine Hinweise auf
       Unregelmäßigkeiten in dem betreffenden Betrieb durch Öko-Kontrollstellen
       erhalten“, obwohl es als Aufsichtsbehörde über die niedersächsische
       Biobranche als erste hätte eingeschaltet werden müssen. Dabei habe der
       Landwirt in den „Bestandsbüchern“ dokumentiert, dass er zu „Zeitpunkten vor
       den Kontrollen“ Sauen mit „nicht zulässigen Hormonen“ behandelt habe. Die
       Kontrollstelle habe laut ihrem Bericht an das Laves den
       Medikamenteneinsatz überprüft, aber: „Abweichungen wurden nicht vermerkt.“
       Im Gegenteil: Abcert habe den Betrieb im Juli 2020 von der Risikoklasse III
       (hohes Risiko für Unregelmäßigkeiten) in die Kategorie II herabgestuft.
       Solche Betriebe werden meist seltener unangekündigt überprüft. „Unser
       Mitarbeiter hat die in der Kontrolle vorgelegten Unterlagen geprüft und
       bewertet. Daraus haben sich keine Hinweise auf Verstöße ergeben“, sagt
       Abcert-Chef Lettenmeier dazu. Allerdings gehört zu einer guten Kontrolle
       auch, durch Kombination verschiedener Informationen zu erkennen, wenn
       Unterlagen fehlen.
       
       Indes ist sogar in der Struktur der Abcert ein Interessenkonflikt angelegt.
       Alle Mitglieder ihres Aufsichtsrats sind Vertreter derjenigen, die Abcert
       kontrollieren soll: Jan Plagge ist Präsident des größten deutschen
       Ökobauernverbands, Bioland. Josef Wetzstein führt dessen bayerischen
       Landesverband. Und Aufsichtsratsvorsitzender Hubert Merz ist selbst
       Gemüsebauer. Denn Bioland gehören die Abcert-Aktien, wie dem 2018
       erschienenen Nachhaltigkeitsbericht der Kontrollstelle zu entnehmen ist.
       „Die ABCERT AG ist aufgestellt wie namhafte Überwachungseinrichtungen zum
       Beispiel im technischen Bereich“, entschuldigt Lettenmeier diese Struktur.
       Und die Behörden würden ja über die Unparteilichkeit der Abcert wachen.
       
       Von Anbauverbänden unabhängigere Kontrollstellen sind allerdings auch nicht
       unbedingt besser. Bei einem der größten Ökoskandale in Deutschland versagte
       vor allem eine damals unter dem Namen IMO firmierende Kontrollstelle: 2013
       wurde bekannt, dass über 100 vor allem niedersächsische Legehennenbetriebe
       mehr Tiere als erlaubt in ihren Ställen untergebracht hatten. Informierten
       die privaten Biokontrolleure das Laves? „Nein, von Kontrollstellen war dem
       Laves kein Hinweis auf Überbelegung von Legehennenställen zugegangen“,
       schreibt die Behörde auf Anfrage der taz. Vielmehr habe ein Richter die
       Sache bemerkt: Vor seiner Kammer stritten sich ein Landwirt und ein
       Legehennenlieferant wegen einer Rechnung für eine Lieferung Hennen. Die
       Tiere kamen zum selben Zeitpunkt an wie andere Hennen, die die zulässige
       Stallkapazität bereits ausschöpften.
       
       Der Fachverein Öko-Kontrolle, der jetzt „Fachgesellschaft“ heißt, schaffte
       es laut Landgericht Schwerin erst nach sieben Jahren, einem Bauern in
       Mecklenburg-Vorpommern auf die Spur zu kommen, der seinen Bioschweinen
       konventionelles Futter gab. Dafür bekam er im April eine Gefängnisstrafe
       von zwei Jahren und sieben Monaten wegen schweren Betruges,
       Urkundenfälschung und Subventionsbetrug. Durch den Verkauf von rund 6.500
       Schweinen nahm er knapp 900.000 Euro mehr ein, als konventionelle Schweine
       eingebracht hätten, wie das Gericht feststellte.
       
       Den Betrug mit der Zufütterung konventionellen Futters kaschierte der
       Landwirt dem Gericht zufolge bei den Kontrollen mit gefälschten
       Lieferscheinen für Biofutter. Dies habe einerseits von einer hohen
       kriminellen Energie gezeugt, sagte der Vorsitzende Richter laut
       Gerichtssprecher Detlef Baalcke. Andererseits seien die Fälschungen
       laienhaft ausgeführt worden und hätten den Kontrolleuren auffallen können,
       wenn diese tatsächlich genau geprüft hätten.
       
       Einen anderen im September vom Landgericht Schwerin verurteilten
       Biobetrüger deckte Baalcke zufolge nicht der Fachverein Öko-Kontrolle,
       sondern eine zunächst anonyme Anzeige bei der Polizei auf. Der Landwirt
       habe über zwei Jahre rund 8.500 konventionelle Schweine gekauft und sie als
       Biotiere weiterverkauft. So ergaunerte er sich nach Baalckes Angaben
       850.000 Euro. Obwohl die relevanten Unterlagen des Landwirts unvollständig
       gewesen seien, hätten die Kontrolleure nichts gemerkt.
       
       Die jetzige Leiterin der Kontrollstelle, Gerda Lichtenau, verweist darauf,
       dass ihre Kollegen damals einen der Fälle an die Aufsichtsbehörde abgegeben
       hätten, weil der Landwirt „seinen Informationspflichten nicht nachgekommen
       war“. Aber das war sehr spät.
       
       Dass das Biokontrollsystem insgesamt und nicht nur einzelne Kontrollstellen
       unter gravierenden Mängeln leiden, hat der [4][EU-Rechnungshof] belegt.
       „Viele Erzeugnisse konnten nach wie vor nicht zum landwirtschaftlichen
       Erzeuger zurückverfolgt werden“, schrieb die Behörde 2019. Wenn sich aber
       nicht herausfinden lässt, welcher Landwirt ein Produkt hergestellt hat,
       lässt sich auch nicht feststellen, ob er wirklich ein Biobauer ist. Dieses
       Problem zeigte sich bei 42 Prozent der vom Rechnungshof untersuchten
       Testprodukte mit mindestens einem Erzeuger, Verarbeiter oder Händler von
       außerhalb der EU. Wenn alle beteiligten Unternehmer aus demselben EU-Staat
       kamen, versagte das System in 17 Prozent der Fälle. Waren die Unternehmer
       aus mehreren EU-Ländern, konnten die Behörden in 29 Prozent der Tests nicht
       bis zum Erzeuger zurückverfolgen.
       
       Unter anderem deshalb lautet Flegels Fazit aus vier Jahren Biokontrolle:
       „Es funktioniert nicht!“ Er behauptet nicht, dass die meisten Ökolandwirte
       betrügen würden. „Meine Familie und ich kaufen auch immer noch überwiegend
       Biolebensmittel.“ Aber das System sei „ein zunehmender Verrat an den
       Verbrauchern, den anständigen Biobauern, den betroffenen Tieren und der
       Umwelt“.
       
       ## Es gibt durchaus Interessenkonflikte
       
       So weit gehen die meisten ExpertInnen nicht. Aber auch Achim Spiller,
       Professor für Agrarmarketing an der Universität Göttingen, sieht einen
       Interessenkonflikt darin, dass die Biokontrolleure von den Betrieben
       bezahlt und ausgesucht werden, die sie überprüfen sollen. „Diesen
       Interessenkonflikt gibt es bei allen Zertifizierungssystemen, aber auch bei
       der Wirtschaftsprüfung“, sagt Spiller. Was die Sache nicht besser macht.
       Wirtschaftsprüfer werden ebenfalls von den Firmen bezahlt, die sie
       kontrollieren sollen. So war es auch im Skandal um den
       Zahlungsdienstleister Wirecard, der jahrelang Bilanzen manipulierte, ohne
       dass die Rechnungsprüfer es bemerkten.
       
       Doch wie lassen sich der Interessenkonflikt der Kontrollstellen und die
       Abhängigkeit von ihren Kunden beheben? Antworten kann ein Blick in andere
       EU-Staaten geben: In Dänemark und den Niederlanden arbeitet jeweils nur
       eine Kontrollstelle. Die Bauern können also nicht wechseln, wenn sie sich
       zu streng überprüft fühlen. [5][In Dänemark] sind die Kontrolleure
       Mitarbeiter von Behörden, die dem Lebensmittelministerium unterstellt sind.
       Und in den Niederlanden arbeiten die entsprechenden Inspekteure bei der
       staatlichen Stiftung Skal.
       
       Die beiden Länder zeigen, dass sich die Biokontrolle auch ohne private
       Kontrollfirmen organisieren und finanzieren lässt, die von den
       kontrollierten Betrieben abhängig sind. In den Nachbarstaaten ziehen keine
       privaten Eigentümer Geld in Form von Gewinnen aus dem System. Und es gibt
       nicht so viele Kontrollstellenchefs wie in Deutschland.
       
       Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) lehnt ein staatliches
       System trotzdem ab. Wichtigstes Argument: Die Lebensmittelbehörden würden
       auch in anderen Bereichen nicht optimal arbeiten, zum Beispiel würden sie
       nur sehr selten kontrollieren, ob Bauern sich an die Regeln für das
       Spritzen von Pestiziden halten würden, sagte Peter Röhrig,
       geschäftsführendes Vorstandsmitglied des BÖLW, kürzlich dem NDR. Aber diese
       Probleme sind hauptsächlich durch mangelhafte Budgets und zu wenig Personal
       bedingt. Für Biokontrolleure dagegen gibt es schon genug Geld: Auch wenn
       sie beim Staat angestellt wären, könnten sie weiterhin aus den Gebühren der
       Betriebe bezahlt werden.
       
       Allerdings wollen die großen deutschen Parteien nicht an dieses Thema
       heran. „Wer eine Verstaatlichung der Biokontrolle fordert, hat alle Lobbys
       gegen sich“, sagt ein Brancheninsider. Die traditionell mit dem
       Bauernverband verbündete CDU hat kein Interesse an strengeren Kontrollen,
       weil sie mehr Aufwand für die Landwirte bedeuten. Nordrhein-Westfalens
       CDU-Agrarministerin Ursula Heinen-Esser etwa schreibt der taz auf Anfrage,
       zu einer Reform der privaten Öko-Kontrolle „besteht aus meiner Sicht kein
       Anlass“. Aber auch bei den Grünen findet sich fast niemand, der eine
       radikale Reform der Öko-Kontrolle fordert. Denn die Grünen stehen den
       Verbänden der Biobranche nahe, die ebenfalls kein staatliches System
       wollen. Berlins grüner Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt antwortete
       auf die Frage der taz nach einer Reform des Kontrollsystems, die privaten
       Inspekteure würden doch „staatlich überwacht“.
       
       Tatsächlich begleiten Beschäftigte der Länderbehörden regelmäßig einen
       kleinen Teil der privaten Kontrollen. Aber in der Praxis gibt es oft ein
       Kompetenzwirrwarr zwischen Ämtern und Kontrollstellen, das Betrügern nützt.
       [6][Der Bioschweinepionier aus dem Wendland etwa konnte auch dann noch
       weiter Ware mit dem EU-Biosiegel verkaufen], als ihn Bioland schon wegen
       der schwerwiegenden Vorwürfe gegen ihn ausgeschlossen hatte. Das Laves
       erklärte, die privaten Kontrollstellen „können und müssen“ das Zertifikat
       aussetzen, wenn die Verstöße das angemessen erscheinen ließen. Doch die
       Kontrollstellen fürchten oft Schadenersatzforderungen, wenn nicht das
       zuständige Amt gleichzeitig den Entzug des Zertifikats anordnet. Ergebnis:
       Oft handelt niemand, weil alle immer auf den anderen warten.
       
       Kontrolleur Flegel hat dieses System so frustriert, dass er seinen Job
       kündigte. „Am Ende“, sagt Flegel, „war es irgendwie egal, ob ich die
       Landwirte kontrolliere oder nur mit ihnen Kaffee trinke.“
       
       4 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/Landwirtschaft/Oekologischer-Landbau/ListeKontrollstellen.pdf;jsessionid=2226E6979F3A3EE74B982FED670CC393.1_cid335?__blob=publicationFile&v=18
   DIR [2] https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/oekologischer-landbau/eg-oeko-verordnung-folgerecht.html
   DIR [3] https://www.bioland.de/verband/landesverbaende/niedersachsen/bremen/pressemitteilungen-detail?tx_news_news%5Baction%5D=detail&tx_news_news%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=5686&useCacheHash=1&cHash=caeeecc39351ede88fec9c07145b8173
   DIR [4] /EU-Rechnungshof-kritisiert-Oekokontrolle/!5580535
   DIR [5] https://www.foedevarestyrelsen.dk/english/Food/Organic_food/Pages/default.aspx
   DIR [6] /Vorwuerfe-gegen-Schweinehalter/!5792577
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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