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       # taz.de -- Enissa Amani will ins Gefängnis: Keine gute Idee
       
       > Comedienne Enissa Amani überlegt, für eine Beleidigung in den Knast zu
       > gehen – weil ein AfD-Politiker mit Rassismus durchkam. Das ist der
       > falsche Weg.
       
   IMG Bild: Vom Roten Teppich in den Knast? Enissa Amani beim Deutschen Radiopreis 2021 in Hamburg
       
       Das Wichtigste vorweg: Natürlich hat die Künstlerin Enissa Amani vollkommen
       recht, wenn sie sich darüber ärgert, dass der bayerische
       AfD-Landtagsabgeordnete Andreas Winhart mit seinem Rassismus durchkommt.
       Durchaus nachvollziehbar ist auch, wenn insbesondere von Rassismus
       betroffene Personen ihn beschimpfen wollen. Explizite Beleidigungen sparen
       wir uns an dieser Stelle, aber zumindest sei erwähnt, dass Amani,
       Stand-Upperin mit Netflix-Special, ihn wegen diverser rassistischer
       Ausfälle 2019 als „Idiot“ und „Bastard“ bezeichnet hat.
       
       Deswegen hat sie nun ihrerseits nach eigenen Angaben einen Haftbefehl
       bekommen, nachdem sie sich aus Prinzip weigerte, 1.800 Euro Geldstrafe zu
       zahlen. Derzeit überlegt sie sogar, ins Gefängnis zu gehen, um die
       Rechtslage zu problematisieren, laut der der AfD-Politiker straffrei
       rassistisch hetzen durfte. Sie sei zwar „absolut der Meinung, dass meine
       Beleidigungen geahndet werden müssen …, aber möchte wissen, warum so eine
       Volksverhetzung komplett ungeahndet davon kommt.“ Amanis Mut und
       Entschlossenheit in allen Ehren: Das ist der falsche Weg. Amani sollte
       stolz auf ihre Haltung sein, das Geld zahlen und sich weiter für ihre Sache
       engagieren. Dafür muss man nicht in den Knast.
       
       Doch der Reihe nach: Wütend war Amani vor allem deswegen, weil [1][Winhart
       straffrei mit üblen rassistischen Aussagen] davon gekommen ist. Zuvor hatte
       der mittlerweile zum parlamentarischen Geschäftsführer aufgestiegene
       AfD-Politiker auf einer Wahlkampfveranstaltung 2018 Schwarze mit dem N-Wort
       beschimpft und pauschal suggeriert, dass diese Krankheiten in sich trügen.
       Ein paar Sätze später unterstellte Winhart dann noch generell
       Albaner*innen, dass sie klauen würden, verbreitete [2][antisemitische
       Stereotype und versprach, mit der AfD „die Soros-Flotte mit den ganzen
       Rettungsbooten im Mittelmeer zu versenken“].
       
       Offen zur Schau getragener Rassismus und Antisemitismus – und trotzdem kein
       Grund für die zuständige Staatsanwaltschaft Traunstein, Winhart mit einem
       Strafantrag oder einer Anklage zu überziehen – obwohl dies zunächst recht
       eindeutig dem Wortlaut des [3][Staftatbestandes §130 der Volksverhetzung]
       entspricht: in dem er „…die Menschenwürde von Personen oder
       Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft, böswillig
       verächtlich gemacht oder verleumdet werden …“, wie es im Strafgesetzbuch
       heißt.
       
       ## „Recht auf polemische Zuspitzung“
       
       Die oberbayerische Staatsanwaltschaft Traunstein hingegen befand sinngemäß:
       ja mei, das bisschen Volksverhetzung. Äußerungen im politischen
       Meinungskampf genießen laut Staatsanwaltschaft unter Berufung auf
       verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit „einen
       besonderen Schutz“, wie es auch in der [4][Pressemitteilung zur Einstellung
       des Verfahrens] heißt.
       
       Demnach stünden Winharts Aussagen in Bezug auf „auf schwarzafrikanische
       Flüchtlinge“ im Zusammenhang mit Gesundheitspolitik, so die
       Staatsanwaltschaft. Dass die Strafverfolgungsbehörde mit dem Begriff
       „schwarzafrikanisch“ selbst rassistisches und kolonialistisches Vokabular
       benutzt, macht die verharmlosende Tendenz auch im Rest der Pressemitteilung
       nicht besser.
       
       So heißt es: Albanische und kosovarische Personen seien nicht ausdrücklich
       genug als Straftäter bezeichnet worden – Subtext: Hey, war doch Wahlkampf
       und da muss ein bisschen Rassismus doch drin sein. Der öffentliche Frieden
       sei auch durch die Androhung, Flüchtlingsboote zu versenken, nicht gestört
       worden. Jedenfalls nicht in Traunstein. Denn man hätte die Passage mit der
       angeblich vom jüdischen Milliardär George Soros finanzierten
       Flüchtlingsbooten ja auch als „Aufruf zur Änderung der Flüchtlingspolitik“
       interpretieren können, so die Staatsanwaltschaft. Und überhaupt bestünde im
       politischen Meinungskampf das Recht „auf polemische Zuspitzung und zur
       bewussten Provokation“.
       
       Komisch nur, dass sich das bei Amani ganz anders verhält: Die nämlich soll
       für ihre Beleidigungen gegenüber Winhart nun eine Geldstrafe zahlen oder
       sogar ins Gefängnis gehen. Obwohl Amani ihn erst nach Beendigung des
       staatsanwaltlichen Verfahren beschimpft hatte und genau diese
       Nicht-Befassung problematisierte. Amani allerdings stand man in dieser
       politischen Auseinandersetzung nicht das Recht „auf polemische Zuspitzung
       und bewusste Provokation“ zu.
       
       Denn Winharts Strafanzeige war erfolgreich: Amani wurde nach eigenen
       Angaben mittlerweile mit einem Haftbefehl für 40 Tage Gefängnis belegt,
       weil sie sich weigerte, 1.800 Euro Geldstrafe zu bezahlen. Die
       Entertainerin überlegt nun, ob sie die Sache einfach auf sich beruhen
       lassen will und die Strafe zahlt oder ob sie vorsätzlich die
       Ersatzfreiheitsstrafe antritt, um noch mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu
       schaffen.
       
       ## Keine Genugtuung der AfD
       
       Sie neigt laut jüngstem [5][Instagram-Video] und [6][Tweets] sogar dazu,
       aus Prinzip ins Gefängnis zu gehen, um darauf aufmerksam zu machen, dass es
       im 21. Jahrhundert nicht mehr okay sein sollte, ganze Bevölkerungsgruppen
       rassistisch zu diskriminieren. Sie fragt aber auch, wohl auch, weil es in
       ihrem Umfeld nicht ganz unrecht Bedenken zu einer Haftstrafe gibt, wie ihre
       Follower und andere Menschen das sehen.
       
       Ihr Mut, notfalls für ihre Haltung in den Bau zu gehen, ist zwar konsequent
       und zu einem gewissen Grad nachvollziehbar – allerdings nützt es niemanden.
       Noch schlimmer: Andreas Winhart und die AfD würden sich sicher freuen, wenn
       Amani in den Knast gehen müsste. Diese Genugtuung sollte man ihnen nicht
       geben.
       
       Amani sollte das Geld zahlen und weiter machen. Auch so hat sie für das
       Thema aufgrund ihrer breiten Followerschaft eine große Öffentlichkeit
       geschaffen – Medien haben den Konflikt länglich begleitet. Und für
       Öffentlichkeit kann sie auch ohne Knastzeit weiterhin sorgen: Wenn sie
       tatsächlich einen Strafbefehl hat, kann sie juristisch dagegen vorgehen und
       in einer Hauptverhandlung noch mehr Öffentlichkeit für diesen Fall
       schaffen. Vielleicht führen wir im Zuge dessen ja auch eine Debatte, dass
       [7][zu große Teile der Strafverfolgungsbehörden und auch der Justiz] von
       AfD-nahen Polizist*innen, Staatsanwält*innen, Richter*innen und
       Schöf*innen durchzogen sind.
       
       Und noch eine Idee: Statt 40 Tagen Knast könnte Amani in der selben Zeit
       Aufklärungsarbeit leisten. Warum nicht symbolisch den Instagram-Account mit
       einer Million Follower 40 Tage lang von verschiedenen antifaschistischen
       Initiativen bestücken lassen? Amanis Zeit und offenbar unbegrenzte Energie
       wären auf diese Weise bestimmt sinnvoller eingesetzt als im Gefängnis. Und
       die AfD dürfte davon deutlich mehr als ohnehin schon genervt sein von
       Amanis striktem Konfrontationskurs.
       
       17 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.instagram.com/p/BvMvEIllrPt/?utm_source=ig_embed
   DIR [2] /AfD-Landtagsfraktion-in-Bayern/!5544143
   DIR [3] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__130.html
   DIR [4] https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/staatsanwaltschaft/traunstein/presse/2019/1.php
   DIR [5] https://www.instagram.com/p/CWTxDnkFWSI/
   DIR [6] https://twitter.com/enissaamani/status/1460252031013244932
   DIR [7] /Jurist-ueber-Rechte-im-Justizwesen/!5805513
       
       ## AUTOREN
       
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