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       # taz.de -- Coronaschutz an Schulen: Luftfilter? Och nee …
       
       > Vor vier Monaten stellte der Bund 200 Millionen Euro für Luftfilter zur
       > Verfügung. Eine taz-Umfrage zeigt: Das Interesse daran ist mäßig.
       
   IMG Bild: Hier gibt es ihn schon: ein Luftfilter in der Realschule am Hemberg in Nordrhein-Westfalen
       
       Berlin taz | Wenn es draußen wieder kälter wird, erklärte
       CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier im Hochsommer, sollte der
       Präsenzunterricht „so sicher wie möglich“ sein – unter anderem dank mobiler
       Luftfilter an Kitas und Grundschulen. Deshalb stelle der Bund den Ländern
       200 Millionen Euro für die Anschaffung mobiler Luftfiltergeräte zur
       Verfügung. Für Klassenzimmer, die nicht ausreichend belüftet werden können.
       Das war Mitte Juli.
       
       Eine Anfrage der taz zeigt nun: Vier Monate später haben die Länder noch
       keinen Cent der Fördergelder abgerufen. „Ausgezahlte Mittel der Länder gibt
       es aktuell noch nicht“, teilte eine Sprecherin des zuständigen
       Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) mit.
       
       Dabei haben die Länder im August die entsprechende Verwaltungsvereinbarung
       mit dem Bund unterzeichnet, können also die Förderung abrufen – zumindest
       in der Theorie. Damit Kita- und Schulträger das Geld beantragen können,
       müssen die Länder bereits bestehende Förderrichtlinien anpassen oder ein
       neues Förderprogramm beschließen. Schließlich bekommen sie die Bundesgelder
       nur, wenn sie sich an den Luftfilterkosten beteiligen.
       
       Regeln für die Co-Finanzierung und Antragstellung mussten die Länder erst
       intern und dann in Rücksprache mit den kommunalen Spitzenverbänden
       aufstellen. „Damit liegt die schnelle Umsetzung der Förderung mobiler
       Luftreiniger für Einrichtungen für Kinder unter 12 Jahren im
       Verantwortungsbereich der Länder“, so die BMWi-Sprecherin.
       
       ## Erst anschaffen, dann Antrag stellen
       
       Schnell ging es in den meisten Ministerien nicht. In Bayern etwa können
       Kommunen seit Oktober die Bundesmittel beantragen, in Niedersachsen,
       Brandenburg oder Sachsen sogar erst seit November. Allerdings, teilen die
       Ministerien mit, konnten die Schulträger bereits vorher Geräte anschaffen
       und die Erstattung später beim Land beantragen, sogar rückwirkend bis
       Anfang Mai. Die Länder wiederum holen sich das Geld erst zu einem viel
       späteren Zeitpunkt vom Bund zurück. Erstattungsprinzip heißt das im
       Verwaltungssprech.
       
       In Hessen habe man die Kommunen schon Ende August über das Prozedere
       informiert, teilt ein Sprecher aus dem Kultusministerium mit. In
       Sachsen-Anhalt, wo die Landesregierung die Förderdetails erst vor wenigen
       Tagen veröffentlicht hat, wüssten die Schulträger seit September über den
       Ablauf Bescheid. Dass beim Bund noch kein Geld abgerufen wurde, liege am
       Verfahren und bedeute mitnichten, dass noch keine Luftfilter beschafft
       worden seien. Bis Jahresende müssen die Länder dem Bund melden, wie viele
       Mittel sie bewilligt haben. Die Auszahlung erfolgt dann im neuen Jahr.
       
       Für manche Schulträger ist das jedoch ein Problem. So berichtet etwa der
       MDR Sachsen-Anhalt, dass der Landkreis Anhalt-Bitterfeld die benötigten
       Luftfilter erst im kommenden Jahr anschaffen könne. Eine Finanzierung vorab
       aus eigenen Mitteln sei nicht möglich. Wie viele Kommunen aus finanziellen
       Gründen nicht in Vorleistung gehen können, ist in den Ministerien nicht
       bekannt.
       
       Anhand der Zwischenstände aus den Ländern lässt sich aber jetzt schon
       sagen, dass das Interesse an dem Luftfilterprogramm mäßig ausfällt. In
       Nordrhein-Westfalen, dem für Luftfilter rund 42 Millionen Euro vom Bund
       zustehen, sind nach Angaben des zuständigen Bauministeriums bislang weniger
       als 6 Millionen Euro beantragt worden. In Sachsen, das vom Bund knapp 10
       Millionen Euro erhalten kann, sind insgesamt erst 185 mobile Luftfilter
       beantragt worden.
       
       ## Kritik am Programm
       
       In Niedersachsen, das gut 18 Millionen Euro vom Bund ausgeben darf, wurden
       bislang Anträge über 2,6 Millionen Euro gestellt. Baden-Württemberg meldet,
       nach jetzigem Stand gut 63 Prozent der Bundesmittel (maximal 26 Millionen
       Euro) auszuschöpfen. Und der Hamburger Senat, der selbst Schulträger ist,
       prüft derzeit, „wie und für welche Räume ggf. Anträge gestellt werden
       können“, teilt ein Sprecher der Schulbehörde mit. Andere Länder machten
       keine Angabe zur Höhe der bisherigen Anträge.
       
       Das verhaltene Interesse an den Bundesmillionen erklären die Länder mit den
       engen Programmbedingungen. Gefördert werden nämlich nur Räume mit
       eingeschränkter Lüftungsmöglichkeit. Nach den Kriterien des
       Umweltbundesamtes (UBA) dürfen Fenster „nur kippbar und/oder nur
       Lüftungsklappen mit minimalem Querschnitt vorhanden“ sein. Das UBA geht
       davon aus, dass 15 bis 25 Prozent aller Klassenräume in Deutschland in
       diese Kategorie fallen. Kommunen und Ministerien schätzen den Anteil eher
       auf 10 Prozent.
       
       Dazu kommt, dass nur Räume in Einrichtungen mit Kindern unter 12 Jahren
       gefördert werden, in der Regel also Kitas und Grundschulen. Begründung: Für
       Schüler:innen ab 12 Jahren ist bereits ein Covid-Impfstoff zugelassen.
       Vor allem Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) hat das Förderprogramm in
       der Vergangenheit als unzureichend kritisiert. Auch Lehrerverbandschef
       Heinz-Peter Meidinger äußerte Unverständnis, dass nur ein kleiner Teil der
       bundesweit rund 650.000 Klassenräume mit dem Bundesprogramm ausgestattet
       werden sollen.
       
       Ob ein Luftfiltergerät in jedem Klassenzimmer stehen sollte, ist
       umstritten. Vor allem Eltern-, Schüler:innen- und
       Lehrer:innenverbände fordern eine flächendeckende Ausstattung. Im
       Netz gibt es – pünktlich zur kalten Jahreszeit – diverse [1][Petitionen]
       mit Zehntausenden Unterschriften, unter anderem auch an
       Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). In letzterer heißt es: „Es ist
       eine Schande, dass die Politik auch nach all dieser Zeit noch keine
       Lösungen hat. Anstatt schon vor einem Jahr alles dranzusetzen, einen
       geregelten Schulbetrieb sicherzustellen, wurde bis heute nichts getan.“
       
       ## Länder uneins
       
       Befürworter von mobilen Luftfiltern berufen sich unter anderem auf Studien
       der Bundeswehruniversität München oder auch der Universität Frankfurt.
       Beide empfehlen den Einsatz im Klassenzimmer, weil die Geräte unter
       bestimmten Bedingungen die Luft zuverlässig von Aerosolen befreien.
       
       Das Umweltbundesamt hingegen empfiehlt sie nur als ergänzende
       Schutzmaßnahme. Die wirksamste Maßnahme sei das Lüften. Aus diesem Grund
       fördern die meisten Länder auch nur Geräte, die in schlecht belüftbaren
       Räumen stehen (auch in eigenen Landesprogrammen). Eine im Juli
       veröffentlichte Studie der Universität Stuttgart bekräftigt die
       Einschätzung und spricht sich gegen den flächendeckenden Einsatz von
       Luftreinigungsgeräten aus. In einzelnen Klassenräumen, die zu kleine oder
       zu wenige Fenster haben, sollte aber der Einsatz mobiler Geräte oder der
       Einbau stationärer Filter geplant werden.
       
       Entsprechend unterschiedlich agieren die Länder. Besonders ambitioniert
       sind [2][Hamburg], Bremen, Berlin und Bayern. Diese vier Länder haben sich
       zum Ziel gesetzt, möglichst alle Klassenräume mit mobilen Luftfiltern
       auszustatten. In Hamburg sind nach Angaben des Senats 18.800 Geräte
       ausgeliefert und installiert – 2.000 Geräte fehlen demnach noch, weil
       einige Gerätehersteller die Lieferzusagen nicht eingehalten haben.
       
       In Bremen steht nach Aussagen des Senats mittlerweile in jedem
       Klassenzimmer ein Luftfilter. In Bayern hatte Bayerns Ministerpräsident
       Markus Söder (CSU) sogar versprochen, bis September alle 75.000
       Klassenräume im Freistaat auszustatten. Bislang wurden Förderanträge für
       32.000 Räume gestellt, teilt das Kultusministerium mit. Auch in Berlin hat
       sich die Ausstattung verzögert.
       
       ## Kommunen sind skeptisch
       
       Teils bremsen wie in Bayern auch die Schulträger. So hatte Bayerns
       Gemeindetagspräsident Uwe Brandl (CSU) mehrfach Zweifel geäußert, dass
       Luftfilter einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der Virenlast leisten
       könnten. Auch andere kommunale Spitzenverbände äußerten sich skeptisch.
       
       Offene Fragen gebe es bei vielen Geräten auch hinsichtlich der
       Lärmbelastung und der Wartungsintensität. Zwar beinhaltet die Förderung
       durch das Bund-Länder-Programm eine Pauschale für die Inbetriebnahme des
       Gerätes. In Sachsen-Anhalt beispielsweise beträgt die 2.000 Euro pro Gerät.
       Die Schulträger befürchten dennoch, mittelfristig auf hohen Wartungskosten
       sitzen zu bleiben.
       
       Günther Fuchs von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Brandenburg
       stellt fest, dass bei den Luftfiltern viele Fragen nicht zu Ende gedacht
       seien. An Schulen in Brandenburg gebe es bislang auch nur in sehr wenigen
       Räumen mobile Luftfilter. „Das kommt alles viel zu spät“, sagt Fuchs der
       taz. Bei der Frage, ob wirklich in jedem Zimmer ein Luftfilter stehen muss,
       ist der GEW-Landesvorsitzende eher auf Seiten der Skeptiker.
       
       Die Luftfilter, so Fuchs, sind nicht die Lösung der Pandemie. Er fordert
       neben täglichen Tests vor allem kleinere Klassen – was de facto auf
       Wechselunterricht hinauslaufen würde. Das jedoch wollen die Ministerien
       unbedingt vermeiden.
       
       ## Wer hat nicht unterzeichnet?
       
       Die Debatte, welche Rolle mobile Luftfilter für die Sicherheit an Schulen
       spielen können, wird jetzt im Winter sicher erneut hochkochen. So wie die
       Forderung, der Bund müsse sich stärker an der Finanzierung beteiligen.
       Manchmal, so scheint es, können sich Bund und Länder jedoch nicht mal auf
       Grundlegendes verständigen.
       
       So teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit, dass ein Bundesland bis
       heute nicht die Verwaltungsvereinbarung für das Luftfilterprogramm
       unterzeichnet habe: Thüringen. Aus Erfurt hingegen heißt es,
       Bildungsminister Helmut Holter (Linke) habe sehr wohl die Vereinbarung mit
       dem Bund unterschrieben. „Insofern liegen hier unterschiedliche
       Informationsstände vor.“
       
       23 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.change.org/p/herr-spahn-luftfilter-in-die-schulen-jetzt
   DIR [2] /Hamburg-besorgt-Luftfilter-fuer-Schulen/!5781416
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Pauli
       
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