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       # taz.de -- Bund-Länder-Beschluss zu Corona: Ein irreführender Indikator
       
       > Bund und Länder machen die Hospitalisierungsrate zum bundesweit
       > einheitlichen Corona-Indikator. Leider ist sie schlecht berechnet und
       > unbrauchbar.
       
   IMG Bild: Eine Oberärztin mit einem Coronapatienten in einer Intensivstation in Thüringen, November 2021
       
       Man muss auch mal loben können. Und deswegen gleich vorab: Ja, es ist
       richtig gut, dass sich die Minsterpräsident:innen mit den
       Vertreter:innen der Bundesregierung [1][endlich zusammengesetzt haben.]
       Nach wochenlangem Zögern zwar erst, was angesichts der rasant ansteigenden
       Corona-Zahlen fatal ist – [2][für viele sogar letal]. Aber immerhin haben
       sie sich nun ohne allzugroßen Radau auf bundesweit geltende Maßnahmen
       geeinigt. Das war mehr als überfällig.
       
       Richtig und wichtig ist auch, dass sie dem noch relativ neuen Warnwert,
       [3][der Hospitalisierungsrate,] landeseinheitliche Schwellenwerte gegeben
       haben, die nun in allen Bundesländern die gleichen Konsequenzen nach sich
       ziehen. Das macht das Handeln der Regierenden erklärbar, ein Fakt, der
       angesichts der verständlicherweise noch immer großen Verunsicherung durch
       die Coronapandemie nicht zu unterschätzen ist.
       
       Dumm nur, dass sich die Ministerpräsidentenkonferenz mit der
       Hospitalisierungsrate den am schlechtesten berechneten Warnwert gewählt
       hat. Da nutzen auch die neu eingeführten Schwellenwerte 3, 6 und 9 nichts
       mehr. Sie gaukeln Klarheit vor, wo doch nur Tapsen im Nebel möglich ist.
       
       Dabei könnte die Hospitalisierungsrate eigentlich ein klug gewählter
       Wegweiser sein. Sie gibt an, wie viele Menschen pro 100.000
       Einwohner:innen in den letzten 7 Tagen wegen einer Covid-19-Erkrankung
       in eine Klinik aufgenommen wurden.
       
       ## Leicht erkrankte Infizierte fallen raus
       
       Anders als bei der 7-Tage-Inzidenz, die die Entwicklung aller neu
       registrierten Infizierten beschreibt, konzentriert sich die
       Hospitalisierungsrate nur auf diejenigen, die so schwer erkrankten, dass
       sie in Kliniken behandelt werden müssen. Infizierte ohne Symptome und auch
       nur leicht Erkrankte fallen raus. Sie misst damit den Stand der Pandemie
       tatsächlich an einem Punkt, an dem es heikel wird: in den Krankenhäusern.
       
       Das heißt, sie würde ihn messen, wenn es denn geeignete Daten gäbe. Die
       aber fehlen. Zwar veröffentlicht das Robert-Koch-Institut (RKI) seit Mitte
       Juli fast täglich die Hospitalisierungsrate. Aber zwischen dem Beginn des
       Krankenhausaufenthalts eines Covid-19-Falls und dem Zeitpunkt, an dem diese
       Information am RKI eingeht, entsteht ein zeitlicher Verzug. Und der beträgt
       teilweise mehrere Wochen.
       
       Daher muss der Tageswert der Hospitalisierungsrate stets im Nachhinein nach
       oben korrigiert werden. Nicht um ein paar zu vernachlässigende Stellen
       hinter dem Komma, sondern meist um 80, manchmal sogar um 100 Prozent. Mit
       anderen Worten: Die tatsächliche Hospitalisierungsrate ist fast doppelt so
       hoch wie angegeben. Den exakten Wert kennt man erst Wochen später. Als
       aktueller Warnindikator ist die Hospitalisierungsrate somit schlichtweg
       unbrauchbar.
       
       Am Montag vergangener Woche meldete das RKI zum Beispiel eine
       Hospitalisierungsrate von 3,93, mittlerweile wurde sie um 85 Prozent auf
       7,26 korrigiert. Das RKI kennt und benennt das Problem in seinen
       Wochenberichten. Dort veröffenticht es mittlerweile regelmäßig eine Kurve
       mit der sogenannten „adjustierten Hospitalisierungsinzidenz“, die den
       erwarteten Wert hochrechnet.
       
       In der jüngsten Ausgabe von Donnerstagabend ist [4][die bundesweite
       Hospitalisierungsinzidenz schon auf 10 gestiegen] – und zwar am vergangenen
       Samstag. Daten für die letzten Tage zeigt die Kurve nicht. Zudem kann man
       nicht einmal ausrechnen, wie sehr dieser Samstagswert angestiegen ist. Denn
       am Wochenende berechnet das RKI die Rate nicht, was sie nochmals
       unbrauchbarer macht.
       
       Noch verwirrender ist, dass das RKI auf seiner Homepage eine Kurve der
       „7-Tage-Inzidenz Hospitalisierungen“ zeigt, die am Ende stets fällt. Sie
       erweckt also den Anschein, dass die Belastung der Krankenhäuser sinkt.
       Dabei fehlen bei den jüngsten Werten schlichtweg nur die Nachmeldungen.
       Eine irreführende Grafik, die schon zu zahlreichen Missverständnissen
       geführt hat – selbst in der Berichterstattung über die Pandemie.
       
       So ist in vielen Medienberichten immer wieder zu lesen oder zu hören, dass
       die aktuelle Hospitalisierungsrate mit dem bisherigen Allzeithoch
       verglichen wird. Die 7-Tage-Inzidenz-Hospitalisierungen lag an Weihnachten
       letztes Jahr bei fast 16. Der am Donnerstag gemeldete Tageswert von 5,3
       hörte sich da noch vergleichsweise harmlos an. Wenn man aber davon ausgehen
       muss, dass die Rate längst über 10 liegt und stetig steigt, sieht es schon
       ganz anders aus.
       
       Ein Warnwert, der die Lage verharmlost. Geht es noch absurder? Leider ja.
       Denn nun soll dieser Wert bundesweit Orientierung geben. Legt man die vom
       RKI zuletzt veröffentlichten Hospitalisierungsraten der Länder zugrunde,
       dann würde in Hessen derzeit der Schwellenwert 1 überschritten. Geht man
       aber davon aus, dass der tatsächliche Wert mindestens 80 Prozent höher
       liegt, würde in Hessen Warnstufe 2 gelten.
       
       Und rechnet man damit, dass sich die Rate sogar noch verdoppelt, würde
       sogar der Schwellenwert 3 überschritten und damit die höchste Warnstufe
       erreicht werden. In mindestens 13 der 16 Bundesländer sind wegen des
       Datenverzugs die Coronawarnstufen zu niedrig und damit die Gegenmaßnahmen
       unangemessen lau. Die Zahl der Infektionen wird unzureichend gebremst. Und
       am Ende sterben mehr Menschen als bei einem wirksamen Warnsystem. Könnte
       man da nicht einfacher Lotto spielen?
       
       Oder die Coronamaßnahmen aus dem Kaffeesatz des Bundeskanzleramts
       herauslesen? Ganz so schlimm ist es nicht. Schließlich lässt sich aus den
       Änderungen der Hospitalisierungsrate noch immer eine Tendenz herauslesen.
       Dass aber die verantwortlichen Politiker:innen glauben, aus einem
       äußerst wackeligen Wert konkrete Schlüsse ziehen zu können, ist alles
       andere als beruhigend.
       
       19 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bund-Laender-Treffen-zur-Coronalage/!5812582
   DIR [2] /Coronalage-in-Deutschland/!5816509
   DIR [3] /Debatte-um-Coronamesswerte/!5806454
   DIR [4] https://twitter.com/ECMOKaragianni1/status/1461404581070577666
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gereon Asmuth
       
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