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       # taz.de -- „Eiskönigin“ als Musical in Hamburg: In der Illusionsmaschine
       
       > Der Disney-Stoff von der Liebe zweier Schwestern kommt beim Publikum gut
       > an. Die Frage ist nur: warum?
       
   IMG Bild: Zu schön, um wahr zu sein: Eiskönigin Elsa und ihre Schwester Anna auf der Hamburger Musical-Bühne
       
       Bei Thomas Gottschalk war’s, beim [1][„Wetten, dass…“-Comeback]
       Samstagabend im ZDF, als es dann auch die Letzten erfuhren. „Wir machen
       euch jetzt eine Freude“, wandte sich der Talkmaster vertraulich ans
       Publikum, Millionen Menschen hätten ja „Frozen“ gesehen, „diesen Disneyfilm
       mit den beiden Prinzessinnen Anna und Elsa“ – Gottschalk setzte ein Lächeln
       auf und tat, als ob er entzückte Rufe aus dem Saal imitieren würde: „Oooh,
       aaah!“ Lächeln aus. „Ab übermorgen gibt es das als Musical in Hamburg“, und
       man kann das dann sogar „in 3D“ sehen, „das bedeutet, es ist alles echt.“
       
       Und dann sind sie tatsächlich wie durch ein Wunder alle da auf der „Wetten,
       dass…“-Bühne, das ganze Ensemble der „Eiskönigin“ mit Elsa und Anna, aber
       ihr Auftritt ist kein Wunder, sondern ein PR-Coup. Gezeigt werden die
       Highlights aus dem Musical, die Szene, als sich die Türen des Palastes zur
       Krönungsfeier öffnen, die Szene, in der die Eiskönigin ihr
       Eisköniginnenlied singt, und der Applaus in der „Wetten, dass…“-Halle in
       Nürnberg ist groß und echt.
       
       ## Übertritt ins Märchenreich
       
       Für den Auftritt bei „Wetten, dass…“ wurde die Hamburger Premiere sogar um
       einen Tag geschoben, teilt die Stage Entertainment in Hamburg mit, die das
       Musical unter Disney-Lizenz produziert. Der Film „Frozen“, auf deutsch „Die
       Eiskönigin – völlig unverfroren“, lief 2013 an und spielte seither über
       eine Milliarde Dollar ein, im Disney-Universum nur getoppt von [2][„Die
       Eiskönigin 2“] von 2019. Seit 2018 wird am Broadway das Musical gegeben,
       Hamburg gehört mit Melbourne, London und Tokio zu den Städten im Ausland,
       in denen es ab diesem Jahr ebenfalls zu sehen ist.
       
       Ein paar Tage nach der Hamburger Premiere, an einem diesigen Novemberabend,
       liegt die Fähre schon bereit, die das Publikum von den Landungsbrücken
       hinüber auf die andere Elbseite bringen soll. Vielleicht ist es die letzte
       Fähre für diese Vorstellung? „Entschuldigen Sie“, fragt eine ältere Dame
       den Mann, der die Leute an Bord winkt, „fahren die Schiffe im
       Zehnminutentakt? Wir würden gerne noch was essen“, die Antwort geht im
       Lärm der anfahrenden Motoren unter.
       
       Mit der Fahrt in die Dämmerung der dunstigen Elbe beginnt der Übertritt ins
       Märchenreich. Aus der Hafencity dringen die Lichter der Elbphilharmonie
       herüber, vorne kommen aus der Dunkelheit die Musicalhallen auf der anderen
       Elbseite näher.
       
       Auf dem Schiff befinden sich fast ausschließlich junge Paare, zwischendrin
       auch Freundinnen, aber vor allem junge Paare. Als das Ufer näher kommt,
       machen sie Selfies vor den immer größer werdenden, leuchtenden
       Musicalhallen. Es sind Beweisfotos: Wir sind wirklich da, bei der
       Eiskönigin! Sie wird in der linken Halle gegeben werden, der Schriftzug auf
       der eisblauen Außenhülle verrät es. Rechts spielt der „König der Löwen“,
       und zwischen beiden Hallen, in der Mitte, geht eine Art Laufsteg hoch,
       „Musical Boulevard Hamburg“ steht darüber.
       
       Das Innere der Musicalhalle erinnert an ein Spielcasino. Im Foyer dämpft
       dicker roter Teppichboden die Geräusche, das männliche Personal trägt rote
       Hosenträger über weißem Hemd. Menschen sitzen in kleinen Gruppen auf
       Sitzbänken, stehen mit ihren Getränken an Stehtischen, etwas abseits ist
       eine Fotowand platziert mit den Schwestern Anna und Elsa im Zentrum,
       genauer: ihren beiden Darstellerinnen, die hier gleich auftreten werden.
       Eine Schulklasse kommt zur Fotowand, die Lehrerinnen fotografieren mit den
       Handys, die Masken dürfen für das Foto ab.
       
       Drinnen im Saal pulsen bereits Polarlichter über den Vorhang, der irgendwie
       durchlässig zu sein scheint, eine Stimme aus dem Off kündigt die
       Vorstellung an, samt Dirigent und den unsichtbaren Musikern im
       Orchestergraben. Die Musik kommt dann aber doch irgendwie aus den
       gigantischen Lautsprechertürmen, die rechts und links von der Bühne
       aufgebaut sind.
       
       Die Vorstellung selbst ist ein Spektakel aus Bewegung, Lichteffekten und
       Gesang, Menschenmassen wirbeln über die Bühne, Fenster öffnen sich zu einer
       Außenwelt, aus der bemooste, magische Wesen dringen, und später erhebt sich
       in der Mitte der Palast der Eiskönigin, glitzernd und kalt, und sie singt,
       einsam in der Kälte, ihr berühmtes Lied „Let it go“, nur eben auf Deutsch
       („Lass jetzt los“), und während sie es singt, lässt sie ihren Umhang
       fallen, und das glitzernde Eisköniginnen-Kleid kommt hervor. Szenenapplaus,
       die jungen Paare im Publikum sind begeistert und klatschen, so wie sie es
       bei allen Schlüsselszenen tun, das Klatschen fängt sogar schon vorher an,
       das Publikum kennt sich aus.
       
       Eine kleine Umfrage in der Pause: Der beste Moment? Das Lied der
       Eiskönigin, ganz klar, sagt ein älteres Paar aus Osnabrück, das extra für
       die Vorstellung nach Hamburg gefahren ist, kleiner Städtetrip. Das Lied der
       Eiskönigin, meint das Paar aus Berlin, das auf den Lederpolstern um eine
       Säule sitzt und sich angeregt unterhält, die Aufführung sei wirklich gut,
       aber das habe man ja schon gewusst. Zwei Freundinnen stehen nahe dem
       Eingang zum Saal, sie kommen aus dem Hessischen, die eine hat sogar Musical
       in Hamburg studiert. Die Darstellerin der Eiskönigin sei großartig, sagt
       sie, in der Musicalwelt sei sie ein Star. „Wie sie da das Kleid genau im
       richtigen Moment fallen lässt, dieses Timing, das können nur wenige!“ Ihre
       Freundin nickt.
       
       Im Foyer streifen ein paar kleine Mädchen im Eisköniginnenkostüm umher,
       aber in dieser Abendvorstellung sind sie klar in der Minderheit, es ist für
       sie zu spät. Dabei wären vermutlich sie die Expertinnen, genau wie das
       Teenagermädchen, das nicht mitkonnte, weil sie am nächsten Tag zur Schule
       musste, aber am nächsten Morgen die richtigen Fragen stellt: „Wie machen
       sie das mit dem Rentier?“ Zwei Menschen stecken drin. „Und der Schneemann?“
       Hat einen Spieler hinter sich. „Ach so. Und das Schneemonster, wie machen
       sie das?“ Na ja, das kommt gar nicht vor, sie machen das mit Lichteffekten,
       glaube ich.
       
       ## Fast geschmolzen
       
       Was aber ist es, was die Leute in das Musical treibt? Ist es das Verlangen,
       mit echten Menschen zu sehen, was sie nur aus einem Animationsfilm kennen,
       und darüber zu staunen, wie es überhaupt technisch möglich ist, Eispaläste
       und Schneestürme auf eine Bühne zu bringen? Oder ist es die Geschichte der
       beiden Schwestern, von denen die eine durch die Liebe der anderen gerettet
       wird?
       
       Am Ende der Vorstellung gibt es Standing Ovations, die jungen Paare strömen
       hinaus, die meisten stellen sich in die Schlange zur Garderobe, aber es
       gibt auch noch eine andere Schlange, sie führt in die Gegenrichtung zur
       Merchandise-Theke. Dort gibt es kleine Elsa- und Anna-Puppen, aber nicht
       wenige lassen sich das Rentier in eine Tüte stopfen, obwohl es doch recht
       groß geraten ist. Am besten aber geht der Schneemann, der im Musical immer
       an das Gute glaubt und dabei fast geschmolzen wäre.
       
       „Ich musste immer wieder vollkommen unkontrolliert weinen!“, schreibt ein
       User auf der Facebookseite der Hamburger „Eiskönigin“. Vielleicht sind die
       Tage von Samstagabend-Fernsehshows wie „Wetten, dass…“ gezählt. Für
       Musicals gilt das ganz sicher nicht.
       
       4 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Wiese
       
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