URI: 
       # taz.de -- Studie zu „Querdenken“ in BaWü: Esoterik als Nährboden für Proteste
       
       > Eine Studie untersuchte, warum „Querdenken“ in Baden-Württemberg so stark
       > wurde. Nicht Rechtsextreme, sondern die Mitte habe den Protest
       > radikalisiert.
       
   IMG Bild: Die Initiative Querdenken 711 feiert in Berlin im August den sogenannten „Tag der Freiheit“
       
       Berlin taz | Im Südwesten Deutschlands sind die anthroposophische Bewegung
       sowie die langjährig verankerte Alternativszene starke Triebfedern für die
       [1][Proteste von Querdenken] und Co. Zu diesem Ergebnis kommen die Basler
       SoziologInnen Nadine Frei und Oliver Nachtwey in der Studie „Quellen des
       ‚Querdenkertums‘“, die am Montag in Stuttgart vorgestellt wurde.
       
       Frei, Nachtwey und ihr Team konstatieren hingegen ebenfalls, dass es vom in
       Baden-Württemberg besonders verbreiteten christlich-[2][evangelikalen
       Milieu] nur geringe Schnittmengen zu den Corona-Protestierer:innen gibt,
       obwohl sich beide Gruppen durch Staatsskepsis auszeichnen. Noch schwächer
       sei der Zusammenhang mit dem bürgerlichen Protestmilieu etwa gegen das
       Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“.
       
       Die Forschungsgruppe des soziologischen Seminars der Universität Basel
       hatte bereits [3][Ende 2020 eine Studie] zu den Motiven und politischen
       Einstellungen der Corona-Verharmloser:innen vorgelegt. Ihre neue
       Untersuchung nun, die im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung
       Baden-Württemberg entstand, konzentriert sich auf Baden-Württemberg.
       Querdenken wurde im Südwesten gegründet und hat am Stammsitz mit der Gruppe
       „711“ eine Stuttgarter Vorwahl.
       
       Die Bewegung ist hier besonders stark verwurzelt, sowohl auf der Straße als
       auch im Netz. Das Publikum war zunächst sehr heterogen. Es einte laut den
       Soziolog:innen der vermeintlich notwendige Widerstand gegen eine
       angebliche Anmaßung der Regierung, mit ihrer Coronapolitik demokratische
       Freiheitsrechte außer Kraft zu setzen.
       
       ## BaWü und Sachsen sind die Protesthochburgen
       
       Bei einer Auswertung der Mitgliedschaft in coronaskeptischen Kanälen des
       Messengerdienstes Telegram ergibt sich, dass Baden-Württemberg – hier vor
       allem die Region Stuttgart – und Sachsen aktuelle Hotspots der
       Protestbewegung sind. Es gebe aber, schreiben die Wissenschaftler:innen,
       grundlegende Unterschiede zwischen beiden Regionen.
       
       Die Querdenken-Proteste hätten sich auch in Ostdeutschland, vor allem in
       Sachsen, etablieren können – „doch sind diese stärker von der extremen
       Rechten geprägt und tragen deutlich weniger esoterische und
       anthroposophische Züge“. Speziell im Osten gelinge es der AfD, über den
       Widerstand gegen die Coronamaßnahmen [4][neue Milieus zu erschließen].
       
       In Baden-Württemberg seien hingegen unter den
       Studienteilnehmer:innen auch viele ehemalige Wähler:innen der
       Grünen und der Linken. „Somit hat sich aus unterschiedlichen
       sozio-kulturellen Quellen in Baden-Württemberg und den neuen Bundesländern
       eine ähnliche Dissidenz gegenüber der Pandemie-Politik herausgebildet“,
       heißt es in der Studie. Und das, obwohl in Baden-Württemberg das Vertrauen
       in Politik und Institutionen dem bundesdeutschen Durchschnitt entspricht –
       anders als in Sachsen, wo die Staatsskepsis deutlicher ausgeprägt ist als
       im Durchschnitt.
       
       ## Selbstbild der „mutigen Widerstandskämpfer:innen“
       
       In ihrer Selbstwahrnehmung sehen sich die Corona-Kritiker:innen laut Studie
       „als nüchterne Expert:innen und mutige Widerstandskämpfer:innen“. Von
       „Konspirationsdenken“ ist die Rede, und von drastischen Vergleichen, „um
       ihren widerständigen Mut zu beweisen und ihre politische Praxis zu
       heroisieren“. Viele der von den Baseler Forscher:innen Befragten hätten
       sich inszeniert „als Eingeweihte, geradezu als Erwählte, die auch
       angesichts gesellschaftlicher Ächtung, Stigmatisierung und Repression an
       ihrer Expertise festhalten“.
       
       Der Soziologe Nachtwey hatte erst vor wenigen Tagen in einem Interview mit
       dem Deutschlandfunk deutlich gemacht, dass eine solche Haltung dann in
       diesen Kreisen auch oft zu Impfskepsis führe. „Da kommen quasi linke
       kulturelle Merkmale mit rechter Politisierung zusammen und das macht diese
       extrem toxische Mischung der Impfverweigerung gerade aus“, sagte er dem
       Sender. Sachliche Aufklärung sei bei den Maßnahmenkritikern „relativ
       wirkungslos“.
       
       Nachtwey, Frei und ihr Team beobachten in Baden-Württemberg eine
       [5][Radikalisierung auch der politischen Mitte] im Zusammenhang mit der
       Bewegung gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Sie zitieren die
       Grünen-Politikerin Heike Schiller, langjährige Vorsitzende der
       Böll-Stiftung Baden-Württemberg. Diese sagte über Querdenken-Gründer
       [6][Michael Ballweg], die Wende sei gekommen, als dieser „begonnen hat,
       diese rechten Zustände nicht nur zu marginalisieren, sondern zu
       rechtfertigen, damit er die Masse kriegt“. Eine neue Aggressivität habe auf
       diese Weise Raum bekommen. „Rechte waren nicht auf Krawall gebürstet,
       sondern auf Präsenz. Auf Krawall gebürstet waren dann eher die, welche
       nicht hinter rechten Fahnen hinterherlaufen, sondern die, welche ihre
       Grundrechte überall gefährdet sehen.“
       
       Die Basler Wissenschaftler:innen schlussfolgern in ihrer Studie
       ähnlich: Es seien nicht unbedingt die extremen Rechten selbst gewesen, die
       für eine Radikalisierung gesorgt hätten. „Häufig konnten wir affektuelle
       Aufladungen, emotionale Ausbrüche und die Möglichkeit der Gewalt auch in
       und aus der Mitte der Coronamaßnahmen-Kritiker:innen beobachten.“
       
       22 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Protest-im-Suedwesten/!5752768
   DIR [2] /Evangelikale-Glaubensformen/!5752772
   DIR [3] /!5730562/
   DIR [4] /Coronazahlen-in-Deutschland/!5816664
   DIR [5] /Vorfall-an-Tankstelle-in-Idar-Oberstein/!5802559
   DIR [6] /Querdenker-Bewegung-radikalisiert-sich/!5789338
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Matthias Meisner
       
       ## TAGS
       
   DIR "Querdenken"-Bewegung
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Verschwörungsmythen und Corona
   DIR Baden-Württemberg
   DIR Anthroposophie
   DIR "Querdenken"-Bewegung
   DIR taz.gazete
   DIR Romantik
   DIR Soziale Netzwerke
   DIR "Querdenken"-Bewegung
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Verschwörungsmythen und Corona
   DIR Lebensreform
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Hamburg
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Stuttgarter Querdenken-Chef verhaftet: Ballweg weg vom Fenster
       
       Michael Ballweg ist Mitbegründer des „Querdenken“-Protests. Nun nahm ihn
       die Polizei fest. Er soll Spendengelder veruntreut haben.
       
   DIR Soziologin über Misstrauen und Politik: „Der jahrelange Tiefschlaf endet“
       
       Hat wachsendes Misstrauen gesellschaftlich sein Gutes? Darüber diskutiert
       in Oldenburg (und online) nun unter anderem die Soziologin Gesa Lindemann.
       
   DIR Ursprünge der Impfskepsis: Eine deutsche Besonderheit
       
       In deutschsprachigen Ländern herrscht Misstrauen gegenüber der Impfung. Das
       ist auf die Romantik zurückzuführen – aber auch auf Politikversagen.
       
   DIR Maßnahmen gegen Telegram: Hass lässt sich nicht löschen
       
       Dem Messaging-Dienst Telegram Grenzen aufzuzeigen, ist rechtlich
       kompliziert. Die Polizei kann Nutzer:innen aber auf die Spur kommen.
       
   DIR Angriffe bei „Querdenken“-Protest: Neue Normalität
       
       Am Samstag wurden bei einer verbotenen „Querdenken“-Demo in Berlin
       Journalist:innen angegriffen und verletzt. Beteiligt waren Neonazis.
       
   DIR Innenminister gegen Coronaprotest: „Querdenkern“ Paroli bieten
       
       Der Coronaprotest widersetzt sich Verboten, impfende Ärzte beklagen
       Bedrohungen. Die Innenminister:innenkonferenz will nun reagieren.
       
   DIR Querdenker und Coronaleugner: An Verschwörungsgläubige gewöhnt
       
       Coronaleugner verbreiten Tag für Tag ihre antisemitischen
       Verschwörungsmythen. Doch die Empörung darüber hat abgenommen.
       
   DIR Herkunft der Impfgegner und Querdenker: Antimoderner Reflex mit Tradition
       
       Die noch immer als links-alternativ geltenden Lebensreformbewegungen und
       die neuen „Querdenker“ haben mehr gemeinsam als gemeinhin bekannt.
       
   DIR Höcke droht Aufhebung der Immunität: Faschist sagt faschistische Dinge
       
       Die Immunität des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke soll aufgehoben werden.
       Er hatte den SA-Wahlspruch „Alles für Deutschland“ bei einer Rede benutzt.
       
   DIR Institut in Bayern gegründet: Akademie der Coronaverharmloser
       
       Eine ausgerechnet nach Hannah Arendt benannte neue Akademie macht Stimmung
       gegen die Coronapolitik. Mit dabei: die üblichen Verdächtigen.
       
   DIR Andreas Speit über Querdenker:innen: „Sie wissen, wie Protest geht“
       
       Im taz Salon spricht taz-Autor Andreas Speit über sein neues Buch
       „Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“.
       
   DIR Umgang mit Corona-Leugner:innen: Keine Zeit mehr für Rücksicht
       
       Das Wochenende hat erneut gezeigt: Die Gewalt der Corona-Leugner:innen ist
       nicht zu unterschätzen. Es braucht endlich ein strategisches Vorgehen.