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       # taz.de -- Sixt verhindert Betriebsrat: Schluss mit lustig
       
       > Wer bei Europas größtem Autovermieter einen Betriebsrat gründen will,
       > bekommt Aufhebungsverträge vorgelegt – oder die fristlose Kündigung.
       
   IMG Bild: Verdi-Gewerkschafter Özay Tarim bei einer Protestaktion am Düsseldorfer Flughafen
       
       Dortmund taz | Mit größter Härte geht der Autovermieter Sixt gegen
       Mitarbeiter:innen vor, die einen Betriebsrat gründen wollen. An den
       Standorten Düsseldorf und Frankfurt/ Main gab es seit August sechs
       Kündigungen. Außerdem versucht der Global Player, der in 105 Staaten
       weltweit präsent ist, Beschäftigte mit Aufhebungsverträgen und
       Schadenersatzforderungen aus dem Unternehmen zu drängen.
       
       Mag Sixt auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) oder den Grünen-Fraktionschef
       Anton Hofreiter mit zu Berge stehenden Haaren gezeigt und so witzig für
       Cabrios geworben haben – bei der Mitbestimmung von Arbeitnehmer:innen
       ist seit Jahrzehnten Schluss mit lustig. Schon 2005 erklärte
       Firmen-Patriarch Erich Sixt [1][im Handelsblatt,] warum er von
       Betriebsräten wenig hält, [2][schon 2010 berichtete die taz, die Firma habe
       in Rostock vier Mitarbeiter gefeuert, nachdem diese versucht hatten, einen
       Betriebsrat zu gründen]. An dieser Linie scheint sich nichts geändert zu
       haben.
       
       Beispiel Düsseldorf: An der Sixt-Station am Flughafen haben es drei
       Mitarbeiterinnen gewagt, am 20. August ein Schreiben ans Schwarze Brett zu
       hängen. Die Frauen haben an diesem Freitag zu einer Betriebsversammlung
       eingeladen. Bei der soll ein Wahlvorstand bestimmt werden, der die Wahl
       eines Betriebsrats organisieren darf.
       
       Die Reaktion der Firmenzentrale im 600 Kilometer entfernten bayerischen
       Pullach folgt prompt. Nur drei Tage später tauchen die Sixt-Geschäftsführer
       Heiner Schmedt und Timo Schuster höchstpersönlich in Düsseldorf auf, fragen
       nach den „Beweggründen“ für die Betriebsratsgründung – dabei dürften diese
       den Führungskräften klar sein: „Die Bezahlung liegt bei gerade 12,17 Euro
       pro Stunde – also nur 17 Cent über dem von der SPD versprochenen
       Mindestlohn“, kritisiert der Verdi-Gewerkschaftssekretär Özay Tarim.
       Außerdem sei der Flughafen-Counter chronisch unterbesetzt.
       
       ## Fristlos gekündigt
       
       In der Firmenzentrale aber scheint die Kritik als Provokation anzukommen.
       Sixt setzt seither auf maximale Einschüchterung. Am 27. August, also nur
       eine Woche nach dem Aushang am Schwarzen Brett, reisen die Geschäftsführer
       Schmedt und Schuster zum zweiten Mal nach Düsseldorf. Einzeln hätten die
       Top-Manager, so erzählt es Gewerkschafter Tarim, die Einladerinnen dann im
       Büro des Düsseldorfer Sixt-Betriebsleiters Jürgen Boveleth antreten lassen.
       
       Eine der Frauen wird fristlos gekündigt, zwei weitere bekommen
       Aufhebungsverträge vorgelegt. Abfindungen von 10.000 Euro werden ihnen
       darin versprochen. Im Gegenzug sollen sie sich verpflichten, „in sozialen
       Netzwerken oder auf Bewerberportalen negative Bewertungen oder Äußerungen“
       über Sixt „zu unterlassen“, heißt es in dem der taz vorliegenden
       Vertragsentwurf. „Ich war total schockiert“, sagt eine Betroffene dazu. „Es
       ist unfassbar, mit welchen Methoden die arbeiten“, wundert sich die zweite.
       „Ich hatte das Gefühl, mir wird der Boden unter den Füßen weggezogen.“ Auch
       sei die angebotene Abfindung von 10.000 Euro „erstaunlich hoch“, sagt Özay
       Tarim. Fällig gewesen wären nur wenige tausend Euro. Von „Schweigegeld“
       spricht der Verdi-Mann deshalb.
       
       Die drei Frauen halten an der Betriebsratswahl fest. Von der
       Sixt-Belegschaft aber, die in Düsseldorf die Gründung der
       Arbeitnehmer:innen-Vertretung zunächst unterstützt hatte, kommt keine
       Rückmeldung mehr – schließlich hat auch Personalchefin Friederike-Katharina
       Reichenberger, die bei Sixt als „Executive Vice President Global People
       Management“ firmiert, vor Ort Gespräche geführt. Zur Betriebsversammlung am
       21. September meldet sich niemand an.
       
       ## Sixt setzt auf Einschüchterung
       
       Umso erstaunter sind Tarim und die drei Einladerinnen, als an diesem Termin
       plötzlich 18 Kolleg:innen auftauchen. „Wir waren total isoliert, alle
       orientierten sich an Betriebsleiter Boveleth“, beschreibt der
       Gewerkschafter die Stimmung. Dann taucht eine Mitarbeiterin des
       Raumvermieters „DUSConference plus“ auf, die das Treffen für unzulässig
       erklärt – um trotz der fehlenden Anmeldungen den Vorwurf der
       Kostentreiberei zu vermeiden, haben die drei einen Raum angemietet, der
       unter Coronabedingungen zehn Menschen fasst.
       
       Das Angebot des Betriebsleiters, die Versammlung zu verlegen, lehnen sie
       ab: Nachzügler, die das Treffen nicht finden, könnten sonst juristisch
       gegen die Wahl vorgehen. Die Betriebsversammlung platzt deshalb –
       stattdessen läuft jetzt ein Antrag auf Einsetzung eines Wahlvorstands durch
       das Düsseldorfer Arbeitsgericht.
       
       Sixt setzt trotzdem weiter auf Einschüchterung. Am 3. November wird auch
       den anderen beiden Frauen, denen eigentlich Aufhebungsverträge angeboten
       wurden, fristlos gekündigt. Bei der Mitarbeiterin, die bereits am 27.
       August eine fristlose Kündigung erhalten hat, liegt sogar der zweite
       fristlose Rauswurf im Briefkasten.
       
       Begründet werden die Kündigungen ausgerechnet mit der fehlenden Größe des
       Versammlungsraums. Die zeige, dass es den dreien „von Anfang an überhaupt
       nicht um die Durchführung einer ordnungsgemäßen Betriebsratswahl gegangen
       sei“, schreibt die Pressestelle des Unternehmens auf taz-Anfrage. Noch vor
       Ort habe Betriebsleiter Boveleth angeboten, für 6.000 Euro einen Raum mit
       100 Plätzen im Maritim-Hotel zu organisieren – dass sich Sixt weigert, auch
       nur die Kosten für den für zuerst angemieteten Raum in Höhe von 180 Euro zu
       tragen, verschweigt das Unternehmen.
       
       ## Sixt-Kanzlei fordern Schadenersatz
       
       Weitere Anschuldigungen folgen: Die drei Fauen hätten „Abfindungen in
       astronomischen Höhen“ gefordert, die Sixt „selbstverständlich abgelehnt“
       habe. „Wir haben nie irgendwelche Abfindungen verlangt“, versichern
       stattdessen die drei. Für das Management ist dagegen klar: „Das Verhalten
       der drei Mitarbeiterinnen“ sei „an Illoyalität nicht zu überbieten“ – ihnen
       sei es „allein um eine massive Störung des Betriebsfriedens zu
       eigennützigen, rechtswidrigen Zwecken“ gegangen.
       
       Sixt hat deshalb die Großkanzlei Pusch Wahlig angesetzt. Mit Datum vom 4.
       November fordern die Anwälte „gesamtschuldnerisch“ 1.506 Euro Schadenersatz
       von den drei Mitarbeiterinnen für angefallene Lohnkosten, Anwaltsgebühren
       und die 180 Euro für den bei „DUSConference plus“ angemieteten Raum. „Die
       wollen uns aushungern“, sagt eine von ihnen. Als schon im August fristlos
       Gekündigte ist sie seit drei Monaten ohne Einkommen. Selbst auf einen Brief
       des SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty, der sich „fassungslos“
       angesichts der „Betriebsratsverhinderung“ zeigt, reagiert Sixt pampig. Den
       Vorwurf „vorsätzlichen Rechtsbruchs“ oder „sogar strafbaren Verhaltens“
       verbitten sich die Geschäftsführer Schmedt und Schuster.
       
       Dabei ist Düsseldorf kein Einzelfall: Auch am Frankfurter Flughafen wollten
       Sixt-Beschäftigte einen Betriebsrat gründen, auch hier gab es drei
       fristlose Kündigungen – eine davon sogar am 18. Oktober unmittelbar vor
       Beginn der Betriebsversammlung, in Anwesenheit der Belegschaft. „Damit war
       für alle Mitarbeiter:innen klar, wie sie aus Sicht des Arbeitgebers
       abstimmen sollten“, sagt der Frankfurter Verdi-Gewerkschaftssekretär
       Philipp Schumann. Und tatsächlich gaben fast alle leere Stimmzettel ab, die
       als Nein zu werten sind. Die Wahl der Arbeitnehmer:innenvertretung
       ist damit gescheitert. Sixt schreibt, die fristlosen Kündigungen seien
       notwendig gewesen. Die Rausgeworfenen hätten Freunden „Fahrzeuge der
       Luxusklasse“ mit „unzulässig hohen Nachlässen“ vermietet. Auch werde
       vermutet, die Betriebsratsgründung sei nur vorgeschoben gewesen – „um die
       eigene Verhandlungsposition für den Fall einer fristlosen Kündigung vor dem
       Arbeitsgericht verbessern zu können“, erklärt der Autovermieter ernsthaft.
       
       ## Strafanzeige wegen Behinderung von Betriebsratsgründung
       
       Wegen Behinderung der Betriebsratsgründung will Verdi-Mann Özay Tarim jetzt
       Strafantrag gegen Sixt erstatten. Dem Gewerkschafter scheint klar, warum
       die Autovermietung so massiv gegen die Beschäftigten vorgeht: „Wenn es an
       mindestens zwei Standorten Betriebsräte gibt, können wir einen
       Gesamtbetriebsrat einberufen“, sagt der Gewerkschafter. Und der
       Gesamtbetriebsrat, der könne dann selbstständig Wahlvorstände ernennen –
       Betriebsversammlungen dürften nicht mehr torpediert werden.
       
       Zumindest an den 45 Standorten in Deutschland könnten dann quasi auf Zuruf
       Arbeitnehmer:innen-Vertretungen entstehen. Für das Sixt-Management dürfte
       das ein Albtraum sein: Bisher gibt es im ganzen Unternehmen nicht einen
       einzigen Betriebsrat. Aber das, versichert die Firma, liege nur „daran,
       dass die Belegschaft das nicht möchte“.
       
       24 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/serie-pioniere-der-wirtschaft-erich-sixt-unternehmer-sind-abenteurer-seite-6/2585004-6.html?ticket=ST-63964-6rLk6YinAhQdTK3VeQrA-cas01.example.org
   DIR [2] /Vorwurf-gegen-Autovermieter/!5140585
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
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