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       # taz.de -- Gewalt gegen Frauen in der Pandemie: Das Dunkelfeld bleibt groß
       
       > 2020 gab es mehr Partnerschaftsgewalt. Ein eindeutiger Anstieg während
       > der Coronalockdowns zeigte sich aber nicht. Viele Fälle bleiben wohl
       > unentdeckt.
       
   IMG Bild: Christine Lambrecht (r.) und Petra Söchting, Leiterin des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“
       
       Berlin taz | Im Pandemiejahr 2020 gab es mehr Fälle von
       Partnerschaftsgewalt als in den Jahren zuvor: Um 4,9 Prozent ist etwa die
       Zahl von Bedrohungen, Körperverletzungen und Vergewaltigungen in
       Partnerschaften oder ehemaligen Partnerschaften gestiegen. Damit setzt sich
       der Trend seit 2015 fort, wie die Kriminalistische Auswertung
       Partnerschaftsgewalt 2020 zeigte, die Bundesfrauenministerin Christine
       Lambrecht (SPD) am Dienstag gemeinsam mit dem Präsidenten des
       Bundeskriminalamts, Holger Münch, vorstellte.
       
       Gleichwohl wurde während der Lockdowns 2020 kein eindeutiger Anstieg der
       Fälle festgestellt. im Vergleich zum Vorjahr zeigte sich zwar im April 2020
       ein Anstieg von 2,9 und im Mai 2020 ein Anstieg von 3,7 Prozent der Fälle.
       Während des „Lockdowns light“ ab Anfang November und vollständigen
       Lockdowns ab Mitte Dezember sank die Zahl der registrierten Fälle im
       Vergleich zum Vorjahr hingegen um 1,5 und 3,2 Prozent.
       
       Ein Grund hierfür, so Lambrecht, könne sein, dass es [1][die Situation im
       Lockdown] den gewaltbetroffenen Frauen erschwert, Anzeige zu erstatten oder
       dass sie ihr familiäres Umfeld schützen wollten. Auch Münch sagte, die
       Hemmschwelle, den eigenen Partner oder Ex-Partner anzuzeigen, sei viel
       größer als bei „Wildfremden“. Das Ausmaß von Partnerschaftsgewalt könne
       sich deshalb sogar vergrößert haben, ohne sich in den polizeilich
       registrierten Fällen niederzuschlagen. „Wir müssen im Bereich der
       Partnerschaftsgewalt von einem erheblichen Dunkelfeld ausgehen“, sagte
       BKA-Präsident Münch. „Manche Studien weisen auf ein Dunkelfeld von bis zu
       90 Prozent hin.“
       
       Ein Hinweis auf ein enormes Dunkelfeld ist auch die Auswertung der Zahlen
       des bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“. Diese zeigen,
       [2][dass die Beratungskontakte während der Lockdowns erheblich zugenommen
       haben]. 2020 wurden mehr als 51.000 Beratungen dokumentiert, rund 15
       Prozent mehr als im Vorjahr.
       
       ## Ganz überwiegend Frauen betroffen
       
       „In den Beratungen wird deutlich, wie belastet die Frauen sind, deren
       häusliche Situation eskaliert und deren soziales Netz durch Corona
       wegbricht. Corona ist nicht die Ursache für häusliche Gewalt, aber sie
       erhöht die Risikowahrscheinlichkeit für Gewalt deutlich“, sagte die
       Leiterin des Hilfetelefons, Petra Söchting.
       
       Ganz überwiegend trifft diese Gewalt Frauen: 148.031 Opfer gab es 2020,
       80,5 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt sind weiblich. Von den
       Tatverdächtigen sind 79,1 Prozent Männer. Am häufigsten betroffen waren
       Opfer zwischen 30 und 40 Jahren. 139 Frauen und 30 Männer wurden 2020 durch
       ihre aktuellen oder ehemaligen PartnerInnen getötet. Mehr als die Hälfte
       der Opfer (51,2 Prozent) lebte in einem gemeinsamen Haushalt mit der
       tatverdächtigen Person.
       
       Was klar sei, so Ministerin Lambrecht: „Wir brauchen dringend mehr
       Information. Wir müssen Licht ins Dunkelfeld bringen.“ Eine Studie des
       Bundeskriminalamts in Zusammenarbeit mit Bundesfrauen- und
       Bundesinnenministerium sei in Vorbereitung. Die soll unter anderem
       erforschen, woran es liegt, dass bei den hohen Zahlen, die etwa das
       Hilfetelefon verzeichnet, die Taten nicht zur Anzeige gebracht werden.
       Derzeit laufe die Ausschreibung zur Studie.
       
       Anders als ihre Vorgängerin Franziska Giffey (SPD), die den Begriff
       vermied, sprach Lambrecht bei der Vorstellung der Zahlen auch von
       „Femiziden“, also Tötungen von Frauen, weil sie Frauen sind. Zudem
       kritisierte sie die Berichterstattung mancher Medien: „Mir stellen sich die
       Haare auf, wenn in solchen Fällen von ‚Familientragödie‘ berichtet wird.“
       Es gehe um Gewaltdelikte, und so müssten sie auch bezeichnet werden. „Wir
       müssen alles dafür tun, den Betroffenen zu helfen, damit sie der Gewalt
       entkommen.“
       
       23 Nov 2021
       
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