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       # taz.de -- Corona in Bayern: Ein Bürgermeister denkt quer
       
       > Er ist selbst an Covid-19 erkrankt. Jetzt veröffentlicht Bergheims
       > Bürgermeister Tobias Gensberger impfkritische Texte im örtlichen
       > Gemeindeblatt.
       
   IMG Bild: Proteste gegen die Coronamaßnahmen am 19. Dezember in Nürnberg
       
       Landrat Peter von der Grün aus Oberbayern merkt man die Fassungslosigkeit
       über den Vorfall auch am Montagnachmittag am Telefon noch an. In dem
       Landkreis, für den er verantwortlich zeichnet, hat einer der zwei
       ehrenamtlichen kommunalen Bürgermeister am Heiligabend im Gemeindeblatt
       einen Appell veröffentlicht, der es in sich hat. Von einer „Hexenjagd“ auf
       Ungeimpfte ist darin die Rede und der Verfasser setzt den Begriff Impfstoff
       zweifelnd in Anführungszeichen. Bergheims Bürgermeister Tobias Gensberger
       äußert sich so im Vorwort des Blattes, das in weihnachtlicher Aufmachung
       direkt auf der Titelseite zu finden ist.
       
       Nicht einmal die aktuelle Impfquote des Landkreises (Stand Montag: 60,93
       Prozent vollständig geimpft) hat Gensberger offenbar recherchiert, denn er
       behauptet, dass diese nicht viel höher als 50 Prozent liege. Das ist der
       angebliche Anteil der Geimpften, die er angetroffen habe, als er selbst mit
       Covid-19 im Krankenhaus lag. Er und seine Frau seien ungeimpft, sie würden
       bald als Genesene nicht mehr „ausgegrenzt“ werden, heißt es außerdem.
       
       „Er reproduziert hier ganz eindeutig die [1][Narrative der Coronaleugner]“,
       resümiert von der Grün. Ein Screenshot des Texts wird in Telegramkanälen
       und auf Twitter von Menschen geteilt, die sich erfreut darüber zeigen, dass
       endlich ein weiterer Bürgermeister „aufgewacht“ sei. Ein Foto eines leicht
       zerknitterten Papiers mit einem Ausdruck der Titelseite wurde laut
       App-internem Zählwerk zum Zeitpunkt des Telefonats mit dem Landrat bereits
       22.500-mal angeschaut.
       
       „Auf diese Art von Bekanntheit hätten wir gern verzichtet“, kommentiert von
       der Grün. Dass die Gemeinde Bergheim so überregional Bekanntheit erreicht,
       ist ihm unangenehm. Noch Mitte Februar hätten sich überregionale Medien bei
       ihm gemeldet, da der Landkreis bundesweit zu jenen mit der niedrigsten
       Inzidenz gehört habe: „Das war natürlich ein schöneres Thema.“
       
       ## Zusammenarbeit war zuvor positiv
       
       Damals hatte der Kreis einen Inzidenzwert von unter 35 vorweisen können und
       von der Grün war gefragt worden, wie sie das erreicht hätten. Auch heute
       betont er, dass bei der Umsetzung der Maßnahmen gerade auch die
       Bürgermeister eine entscheidende Rolle spielten. Bisher habe er die
       Zusammenarbeit mit Gensberger als positiv erlebt.
       
       Von der Grün bedauert, dass er ihn noch nicht telefonisch erreichen konnte,
       um etwas über seine Motivation zur Veröffentlichung zu erfahren: „Ich habe
       es auf allen Nummern versucht, die ich von ihm kenne und das sind immerhin
       fünf Stück. Leider ist auch sein Rückruf ausgeblieben, um den ihn seine
       Frau bitten wollte.“ Auch von anderen Kontakten wisse er, dass sie ihn
       vergeblich versucht hätten zu erreichen.
       
       So zeigt er sich ratlos: „Das ist absolut befremdlich und unverständlich.
       Ich hätte nie damit gerechnet, dass ausgerechnet er so denkt.“ Der
       Bürgermeister habe in den letzten Monaten sämtliche [2][staatlichen
       Coronamaßnahmen] nicht bloß mitgetragen: „Wenn wir die Gemeinden gefragt
       haben, wohin wir mobile Impfteams schicken sollen, war er nicht nur dabei,
       sondern immer der Erste.“
       
       So hätten seit Sommer zwei Sonderimpfaktionen stattfinden können. „Es hat
       mich also nicht nur überrascht, ich finde es auch traurig und schade, dass
       er nun dieses Vorwort so verfasst hat“, erklärt von der Grün, „das
       konterkariert all unsere Bemühungen.“
       
       Erfahren habe er von dem Text im Gemeindeblatt am Vortag durch eine
       Whatsappnachricht seines Gesundheitsreferenten: „Er verlieh darin seiner
       Fassungslosigkeit Ausdruck.“ Gefolgt seien seitdem weitere besorgte
       Nachrichten von unterschiedlichen Bürger*innen und auch Landrät*innen.
       
       Gensberger sei nämlich nicht nur ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde
       Bergheim sondern obendrein auch als Kreisrat für Neuburg-Schrobenhausen
       aktiv. Daher hätten seine Äußerungen besonders viele Menschen betroffen
       gemacht, sagt von der Grün.
       
       Am Montagmorgen habe er sich dann direkt im Landratsamt zur weiteren
       Vorgehensweise besprochen. „Die Besprechung hat dann ergeben, dass ich
       sogar verpflichtet bin, aktiv zu werden und die Sache der zuständigen
       Stelle zu melden, der Landesanwaltschaft“, schildert der Landrat. Da
       Gensberger die Äußerungen in einem offiziellen Medium der Gemeinde getätigt
       habe, werde nun dienstrechtlich geprüft, ob eine Verletzung der
       Dienstpflicht gegeben sei.
       
       27 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Lena Reiner
       
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