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       # taz.de -- Allergien gegen Duftstoffe: Flüchtige Gefahr
       
       > Duftstoffe sind Chemikalien und werden gesetzlich geregelt. Man bekommt
       > sie damit aber nicht so recht zu packen. Für Allergiker ist das ein
       > Problem.
       
   IMG Bild: Laut DVRH gibt es rund 3.000 duftende Chemikalien
       
       Duftstoff-Allergikerin war Marilyn Monroe wohl nicht. Ins Bett ging sie, so
       geht die selbstgestrickte Legende, mit ein paar Tropfen Isoeugenol auf der
       Haut, vermischt mit, vielleicht, etwas Zimtaldehyd, Kumarin und ein paar
       Dutzend anderen Chemikalien. Was genau drin war und ist in Chanel Nº 5, das
       weiß man nicht, Betriebsgeheimnis. Doch egal, was da so gut riecht, es sind
       „flüchtige Moleküle, die aus den Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff oder
       Sauerstoff, manchmal auch Stickstoff oder Schwefel zusammengesetzt sind“,
       so der Deutsche Verband der Riechstoff-Hersteller (DVRH) [1][auf seiner
       Website].
       
       Neben den natürlichen Duftstoffen wie Kumarin (kommt u. a. in Lavendel,
       Waldmeister und Tonkabohnen vor) gibt es laut DVRH rund 3.000 duftende
       Chemikalien, die synthetisch hergestellt werden, Sie werden genutzt, um
       Eaux de Toilette und Eaux de Parfum, aber auch Shampoos, Duschgels,
       Hautcremes, Zahnpasta, Putzmittel, Raumdüfte oder Klosteine herzustellen,
       denen man ihre Lösungsmittel, Farbstoffe, Tenside oder Konservierungsstoffe
       nicht anriechen soll.
       
       Bei normaler Umgebungstemperatur verdampfen die verwendeten Chemikalien
       eines Parfums. Je nach Duft lässt das einige begeistert schnuppern, andere
       wenden die Nase ab. Für 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung Europas aber sind
       die ausgesendeten Duftsignale ein echtes Problem, sie leiden an Allergien
       oder Unverträglichkeiten gegenüber einzelnen Bestandteilen.
       
       Ist der Körper allergisch auf eine Chemikalie, bekämpft er sie und reagiert
       mit Entzündungen, Pusteln oder Juckreiz. Unverträglichkeiten hingegen
       laufen ohne Beteiligung des Immunsystems ab und können sich durch
       Kopfschmerzen, Kreislaufprobleme oder Husten zeigen. „Das ist schwer zu
       verorten, verschiedene Organe können betroffen sein“, sagt Silvia Pleschka
       vom [2][Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB)]. Es gebe dazu noch keine
       richtige Diagnostik, „man weiß nicht genau, was da im Körper passiert“.
       
       ## Unter dem Radar
       
       Beim DAAB meldeten sich immer mehr Menschen, die unter solchen
       Unverträglichkeiten litten. Kein Wunder, meint Pleschka, schließlich würde
       die Bevölkerung auch immer mehr Düften ausgesetzt. „Wir wandeln ja
       praktisch den ganzen Tag durch eine Duftwolke“, sagt die Chemikerin. Ein
       frisch geduschter, eingecremter, rasierter Mensch mit gewaschener Kleidung
       verströme zahllose Gerüche, zusätzlich würden Supermärkte und andere
       Innenräume mit Publikumsverkehr beduftet, Je öfter und intensiver aber ein
       Mensch Riechstoffen ausgesetzt sei, desto größer sei auch die
       Wahrscheinlichkeit, dass er eine Allergie oder Unverträglichkeit
       entwickele.
       
       Deshalb sind die köstlich riechenden Chemikalien auch einem ganzen Stapel
       von Gesetzen und Vorschriften unterworfen. Auf globaler, europäischer und
       deutscher Ebene ist ihre Verwendung geregelt, je nach Anwendung in der
       Kosmetik- und der Detergenzienverordnung, der Spielzeug- und
       Produktionssicherheits- oder der europäischen Chemikalienrichtlinie Reach.
       
       Reach verfährt nach dem Motto „Keine Daten, kein Markt“. Die Hersteller
       müssen umfangreiche Dossiers [3][bei der Europäischen Chemikalienbehörde
       Echa] einreichen und in ihnen die Unbedenklichkeit ihrer Stoffe nachweisen.
       So sollen für Mensch oder Umwelt schädliche Stoffe herausgefiltert und am
       Ende eines langen Prozesses vom Markt genommen werden. Eigentlich. In der
       Praxis funktioniert das nur in Ansätzen, denn richtig streng ist Reach, bis
       auf wenige Ausnahmen, nur gegenüber Chemikalien, die in großen Mengen –
       mehr als eine Tonne Jahresproduktion pro Hersteller – produziert werden. Je
       weniger hergestellt wird, desto weniger interessieren sich die Behörden für
       einen Stoff.
       
       Duftstoffe werden allerdings naturgemäß in recht kleinen Mengen verwendet.
       In der Folge laufen die allermeisten Düfte unter dem Radar der Behörden;
       750 der 3.000 verwendeten Chemikalien sind immerhin registriert, allerdings
       mussten die Hersteller für diesen Vorgang nur wenige und oberflächliche
       Informationen liefern. Umfangreiche Dossiers wurden nur für 30 Duftstoffe
       eingereicht.
       
       [4][Für 26 Düfte, die als besonders allergieauslösend bekannt sind],
       schreibt die EU-Kosmetikrichtlinie Verbraucherinformationen vor. Diese
       Stoffe müssen auf Kosmetikprodukten angegeben werden, wenn sie eine
       bestimmte Konzentration überschreiten. Dazu gehören unter anderem Citral,
       Farnesol und Linalool.
       
       Und die werden reichlich benutzt: Wer sich den Spaß macht und mit einer der
       zahlreichen erhältlichen Apps – die etwa ToxFox, Cosmile oder CodeCheck
       heißen – die Packung eines Parfums scannt, findet bei fast allen gängigen
       Markenprodukten die halbe Liste bedenklicher Stoffe. Um die „verführerische
       Raffinesse mit holzig-frischer Männlichkeit“ oder „die Wärme und
       Sinnlichkeit der Mittelmeerküste“ geruchlich darzustellen, sind eine Menge
       Moleküle nötig.
       
       Dabei ist unklar, ob [5][auf den Packungen] wenigstens die halbe Wahrheit
       steht. „Oft bleiben die Hersteller von Kosmetik-Erzeugnissen unterhalb der
       deklarationspflichtigen Konzentration oder ersetzen diese Substanzen durch
       andere, die sie nicht ausweisen müssen, die aber möglicherweise ebenfalls
       Allergien auslösen können“, [6][schreibt das Umweltbundesamt (UBA) auf
       seiner Informationswebsite über Duftstoffe].
       
       In seinem „Human Biomonitoring“ sammelt das UBA regelmäßig Daten darüber,
       welche Schadstoffe sich in der Bevölkerung finden. Untersucht werden Urin,
       Blut, Speichel von Einzelpersonen oder von ganzen Gruppen. Regelmäßig
       findet sich dabei der häufig verwendete Duftstoff Lysmeral, nicht nur in
       fast allen Erwachsenen, sondern auch in Kindern. Auf Kosmetika wird
       Lysmeral als „Butylphenyl Methylpropional“ angegeben.
       
       Lysmeral kann Allergien auslösen und „steht im Verdacht, endokrin wirksam
       zu sein sowie die Fortpflanzung zu schädigen“, sagt Aline Murawski vom
       Fachgebiet Toxikologie und Gesundheitsbezogene Umweltbeobachtung des UBA.
       „Endokrin wirksam“ bedeutet, dass der Stoff in den Hormonhaushalt
       eingreifen kann. Seit Jahren bemühen sich Ärzte und Verbraucherschützer
       darum, dass die Bevölkerung in Europa wirksamer gegen endokrin wirksame
       Stoffe geschützt wird. Beteiligte beschreiben den Prozess als äußerst
       mühsam, Lysmeral immerhin wird zum Frühjahr 2022 in Kosmetika verboten.
       
       Für Murawski ist besonders bedenklich, dass die meisten Duftstoffe aufgrund
       der geringen Mengen, in denen sie eingesetzt werden, nicht beachtet werden.
       Das erscheint vor allem deswegen wenig sinnvoll, weil „für Stoffe mit
       allergieauslösendem Potenzial kein gesundheitlicher Beurteilungswert
       festgelegt werden kann“, sagt sie. Das heißt, es lässt sich nicht
       vorhersagen, ob eine bestimmte Chemikalie erst dann eine Allergie auslöst,
       wenn sie in einer bestimmten Menge auf eine Person trifft.
       
       Dies gilt auch für die Wirkstoffe, die zu Unverträglichkeiten führen. „Das
       heißt, wir können derzeit nicht einordnen, ob die in unseren Untersuchungen
       gefundenen Konzentrationen von Lysmeral-Abbauprodukten im Urin der Kinder
       und Jugendlichen problematisch sind“, sagt Murawski. Sie verweist auf die
       Deklarationspflicht: Verbraucher:innen könnten sich ja vergleichsweise
       einfach vor dem Stoff schützen, da er auf Packungen angegeben wird.
       Angesichts der langen englischen Namen auf den Listen der Inhaltsstoffe,
       die hübsch filigran und praktisch unlesbar gedruckt sind, heißt das: Wenn
       Verbraucher:innen sich vor möglicherweise schädlichen Inhaltsstoffen
       schützen will, geht der Parfumkauf praktisch nur mit einer App.
       
       Duftstoffe sollten bewusst eingesetzt und wahrgenommen werden, findet
       Silvia Pleschka vom Allergikerbund. Dabei gehe es auch darum, Rücksicht auf
       sensible und sensibilisierte Mitmenschen zu nehmen. Pleschka schlägt vor,
       wöchentlich einmal einen duftfreien Tag einzulegen, ganz ohne Parfums:
       „Dann bleibt die Nase sensibel und man ist davor geschützt, sich zu stark
       zu parfümieren.“
       
       25 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://duftstoffverband.de/dufterfahren/duftlexikon/
   DIR [2] https://www.daab.de/
   DIR [3] /EU-praesentiert-Strategie/!5717644
   DIR [4] https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Zulassung/amInformationen/Besonderheitenliste/Duftstoffe_Anhang.pdf?__blob=publicationFile&v=4
   DIR [5] /Chemisches-Recycling-bei-Dior/!5782490
   DIR [6] https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/umwelteinfluesse-auf-den-menschen/chemische-stoffe/duftstoffe
       
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