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       # taz.de -- Die Mutter aller (deutschen) Ampeln: Rot, gelb, grün, völlig egal
       
       > Olaf Scholz hat den „Verkehrsturm“ auf dem Potsdamer Platz wieder
       > prominent gemacht. Dabei ist dessen aktuelle Metaphorik nicht
       > unproblematisch.
       
   IMG Bild: „Die Ampel steht“ ( O. Scholz)
       
       Berlin taz | Ampelkoalition. Wir haben uns an das Wort schon längst
       gewöhnt, obwohl das reale Phänomen ziemlich selten ist und im Bund eine
       Premiere. Für Menschen außerhalb Deutschlands klingt das Wort leicht
       befremdlich, dabei sind die jeweiligen Entsprechungen laut Wikipedia
       durchaus klangvoll: „Traffic light alliance“, „Coalition en feu tricolore“
       oder „Koalicja sygnalizacji“.
       
       Olaf Scholz als künftiger Regierungschef hätte kein Wort über diese
       Metapher verlieren müssen, er tat es am Mittwoch [1][bei der Vorstellung
       des Koalitionsvertrags] dennoch. In überraschender Ausführlichkeit
       erinnerte er an Deutschlands erste Verkehrsampel auf dem Potsdamer Platz,
       eine damals noch „ungewöhnliche Technik“, die Anlass zu Skepsis gegeben
       habe, heute aber nicht mehr wegzudenken sei, wenn es darum ginge, „die
       Dinge klar zu regeln“. Anlass genug, noch einmal einen kurzen Blick auf das
       mythische Stadtmöbel zu werfen.
       
       Tatsächlich war Deutschlands erste, am 15. Dezember 1924 eingeweihte
       Lichtsignalanlage (wie Ampeln heute ganz offiziell heißen) als
       „Verkehrsturm“ bekannt. Eine 8,50 Meter hohe Konstruktion aus fünf
       Stahlsäulen und einer fünfseitigen Kanzel, aus deren Fenstern ein
       Verkehrspolizist auf den tosenden Verkehr des Potsdamer Platzes blicken
       konnte – um dann per Knopfdruck freie Fahrt auf einer der Achsen zu
       ermöglichen (wobei die fünfte Straße, die Bellevuestraße, schon damals
       nicht gleichberechtigt war, und die Ampel für von dort kommenden Fahrzeuge
       normalerweise auf Dauerrot stand).
       
       „Vor zwei Wochen hat man den Verkehrsturm aufgerichtet“, schrieb Joseph
       Roth einen Monat vor der Inbetriebnahme in der Frankfurter Zeitung. „Man
       hatte sich etwas großartig Ragendes vorgestellt. Aber eines Tages stand ein
       kleines graues metallenes Türmchen da, mit großen, aber noch geschlossenen
       runden Augen am obern Rand. Diese Augen sollten, bunten Schein strahlend,
       den Verkehr automatisch regulieren. Aber indessen wird als Verkehrsautomat
       noch der blonde, ansehnliche Schutzmann auf der hölzernen Tribüne
       verwendet.“
       
       ## Horizontal und weiß
       
       Dass sich knapp hundert Jahre später einmal ein deutscher Staatenlenker an
       diesem Türmchen moralisch aufrichten sollte, auf diese Idee wäre Roth wohl
       kaum gekommen. Das Bauwerk mit den horiziontal angeordneten Lichtern – das
       mittlere leuchtete anfangs übrigens weiß und nicht gelb – stand auch gar
       nicht so lange dort: 13 Jahre später ersetzte man den Verkehrsturm durch
       eine an Drahtseilen befestigte Hängeampel über dem Platz.
       
       Und heute? Steht auf der südwestlichen Seite des Platzes eine Replik des
       Signal-Urahns – dieser Tage zwischen allerlei Gerümpel: halb verwaisten
       Glühwein-Saufbuden und der bislang kunstschneelosen Stadt-Rodelbahn. Die
       Lichter wechseln fleißig von rot zu gelb zu grün und umgekehrt, allein: Mit
       dem realen Verkehr hat das nichts zu tun, der wird von ganz normalen Ampeln
       gesteuert.
       
       Vielleicht ist es ja ein Sinnbild wider Willen: Egal, was die Ampel macht,
       das Leben geht weiter und der Verkehr nimmt unerbittlich zu. Für den ist ja
       jetzt auch die FDP zuständig.
       
       25 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
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