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       # taz.de -- Europas Frauenfußball und Deutschland: Spitze auch im Desinteresse
       
       > Das neue Format der Champions League beschwingt den Frauenfußball. Nur in
       > Deutschland ist trotz Sternstunden in Wolfsburg und Hoffenheim alles
       > anders.
       
   IMG Bild: Wolfsburger Sternstunde: die Fußballerinnen bejubeln den 4:0-Erfolg gegen den FC Chelsea
       
       Was für ein fantastischer Abend für die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg!
       Im letzten entscheidenden Gruppenspiel lassen sie den großen FC Chelsea,
       den Vorjahresfinalisten, ganz, ganz klein aussehen. Huth, Huth, Waßmuth,
       Waßmuth. Die Auflistung der Torschützinnen auf der Anzeigentafel las sich,
       als ob sich an diesem Abend einfach alles zu einem perfekten Bild
       zusammenfügen musste. Was für ein Finale! Mit Chelsea, Juventus Turin und
       dem VfL Wolfsburg standen am Ende drei Teams punktgleich an der Spitze der
       Gruppe A im neuen Champions-League-Format. Und der deutsche Klub, der vor
       der Partie mit dem Handicap begann, unbedingt mit zwei Toren gewinnen zu
       müssen, thronte am Ende an der Tabellenspitze.
       
       Was für ein besonderer Moment, der zumindest für die Menschen vor Ort in
       ihrem Fanleben von singulärer Bedeutung sein dürfte. 1.107 Menschen ist
       dieses Glück widerfahren. Ein sehr außergewöhnliches Spiel durften ebenso
       die 750 Fans erleben, die den 4:1-Erfolg von Hoffenheims Fußballerinnen
       gegen den hoch favorisierten FC Arsenal sahen, auch wenn am Ende noch zwei
       weitere Tore fürs Weiterkommen fehlten.
       
       Coronabedingt durften ins Dietmar-Hopp-Stadion von Sinsheim nicht mehr
       Zuschauer:innen kommen. Dieser Zusatz ist für die Nachwelt wichtig. Denn
       bei den Zuschauer:innenzahlen im deutschen Frauenfußball [1][könnte
       man stets über irgendwelche Beschränkungsauflagen argwöhnen]. Nein, in
       Wolfsburg wären wie bei den Männern unter der Woche immerhin 5.000
       Besucher:innen möglich gewesen.
       
       Dass die deutschen Vereine, trotz guter Auftritte ihrer Fußballerinnen
       selbst, auch der FC Bayern konnte sich fürs Viertelfinale qualifizieren,
       stets unter ihren Möglichkeiten geblieben sind, das ist die bittere Bilanz
       des neuen Champions-League-Formats. Man stelle sich nur vor, wie viele
       Synergien man hätte erzeugen können, wenn die Bundesligaklubs die
       Aufwertung des neuen Wettbewerbs in ihr eigenes Handeln so übersetzt
       hätten, wie es die Klubs aus Italien, England, Spanien oder der Schweiz
       getan haben.
       
       ## Weniger als 1.000 Zuschauer:innen
       
       An den ersten drei Spieltagen der Königsklasse, recherchierte die
       Wolfsburger Allgemeine, kamen zu sechs der 24 Spiele weniger als 1.000
       Zuschauer:innen. Darunter waren alle Heimspiele der drei deutschen
       Vertreter. Die Leistungen der hiesigen Vereine mögen sich an der Spitze
       bewegen, das Desinteresse des deutschen Publikum ist bewegt sich ebenfalls
       auf höchstem Niveau.
       
       In Italien, England und Frankreich, stellte etwa Ralf Kellermann,
       sportlicher Leiter vom VfL Wolfsburg, fest, würden die
       Champions-League-Spiele, was den Aufwand, die Organisation und die
       Vermarktung betrifft, wie die Partien der Männer behandelt. Die Folge: in
       Paris, London, Turin und sogar in Genf konnte man sich trotz Pandemie über
       fünstellige Besucher:innenzahlen freuen. In Wolfsburg sind die
       Zuschauerzahlen trotz Aufwertung des Wettbewerbs tendentiell rückläufig.
       
       Die Professionalisierung der Champions League mitsamt der garantiert
       deutlich höheren Einnahmen für deren Teilnehmer lässt die kleinen Vereine
       in Europa fürchten, dass die Schere in den einheimischen Ligen zwischen arm
       und reich weiter auseinanderklafft. Kurzfristig ist allerdings gerade in
       der Bundesgliga ein gegenteiliger Effekt eingetreten. Den international
       vertretenen Klubs macht die höhere Spielbelastung extrem zu schaffen. Sie
       lassen im Kampf um die deutsche Meisterschaft deutlich mehr Punkte liegen,
       als das in der Vergangenheit der Fall war.
       
       So befinden sich die Wolfsburgerinnen neuerdings in zwei engen,
       ausgeglichenen Wettbewerben. Stößt dieser Attraktivitätszugewinn, den die
       neue Champions League ausgelöst hat, allerdings nur in Frankreich, England
       und Italien auf entsprechende Resonanz, wird es bald noch größere
       Abwanderungsbewegungen aus der deutschen Liga geben. Ralf Kellermann vom
       VfL Wolfsburg hat analysiert, wo die Unterschiede liegen. Die Frage ist
       nun, ob die deutschen Spitzenklubs, die sich vornehmlich als
       Männerfußballvereine begreifen, bereit sind, ihr Engagement für den
       Frauenfußball [2][an die europäische Entwicklung] anzupassen.
       
       17 Dec 2021
       
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