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       # taz.de -- Bundeskongress der Jusos: Ironie und tiefere Bedeutung
       
       > Beim Jusobundeskongress wettert die SPD-Jugend gegen „die gelbe Null im
       > Finanzministerium“. Bald-Kanzler Olaf Scholz lässt die Kritik abperlen.
       
   IMG Bild: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und die Juso-Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal
       
       So erfolgreich wie derzeit waren die Jusos noch nie. Sie haben de facto die
       letzte Parteispitze ins Amt befördert. [1][Ein Viertel der
       SPD-Bundestagsfraktion zählt zu den Jusos]. Kevin Kühnert ist vom Juso-Chef
       direkt zum Vize-Parteichef aufgestiegen. Und [2][die Juso-Vorsitzende
       Jessica Rosenthal (29)] hat auch den Koalitionsvertrag beim SPD-Kernthema
       Arbeit mitverhandelt. Dass der viel beschäftigte Olaf Scholz am Samstag für
       drei Stunden zum Juso-Bundeskongress nach Frankfurt kommt, ist eine Geste
       der Anerkennung. Und auch ein Versuch vorsorglicher Konfliktbegrenzung.
       
       Am Freitagabend ist die Stimmung in Frankfurt gedämpft. Wegen Corona. Der
       Kongress findet hybrid statt, der Saal ist halb voll. Viele werden per Zoom
       zugeschaltet. Jessica Rosenthal fordert in einer zornigen Eröffnungsrede
       wirksamere Coronamaßnahmen: 2G plus überall, Werbespots im TV, die alle 10
       Minuten für das Impfen werben, und, weil das alles nicht reiche, eine
       allgemeine Impfpflicht. „Die gibt uns die Freiheit zurück.“
       
       [3][Auch die designierte neue SPD-Spitze, Saskia Esken und Lars Kingbeil],
       ist in Frankfurt. Das zeigt den gewachsenen machtpolitischen Einfluss der
       Jusos. Die Reden von Esken (formell linker Flügel) und Klingbeil (rechter
       Flügel) klingen ähnlich, sie sind inhaltlich fast austauschbar. Esken lobt
       die Ampel und glaubt, dass der geplante Neubau von 400.000 Wohnungen in der
       Republik dafür sorgt, dass „wir die explodierenden Mieten in den Griff“
       bekommen – eine kühne Prognose. Klingbeil kündigt an, er werde als SPD-Chef
       dafür sorgen, dass die Partei noch „ jünger bunter, weiblicher“ werde. Die
       SPD müsse Volkspartei für „Kreuzberghipster und den Schützenverein auf dem
       Dorf“ sein. Erfolgreich werde der SPD nur bleiben, wenn sie sich weiter um
       Mieten, Rente, Löhne kümmert. Und auch die Verteilungsfrage bleibe auf der
       Tagesordnung der SPD.
       
       ## Erfolg stiftet Harmonie
       
       Mehr Diversity und höhere Steuern – das ist eigentlich der Text der
       SPD-Linken. Zwischen Esken und Klingbeil scheint kein Löschblatt zu passen.
       Erfolg stiftet oft Harmonie. Der taktisch versierte Klingbeil hat mit
       diesem jusoaffinen Auftritt auch ein gutes Ergebnis bei seiner Wahl zum
       Parteichef in zwei Wochen vor Augen.
       
       „Ich werde die Jusos als SPD-Vorsitzender nicht in allem glücklich machen“
       sagt Klingbeil dann noch. Rosenthal bedankt sich mit der Ankündigung,
       weiter „genervte smse“ ins Willy-Brandt-Haus zu schicken, wenn man dort
       nicht schleunigst Juso-Ideen in die Tat umsetze. Aber diese Drohungen sind
       alle augenzwinkernd entgiftet. Es ist gar kein Streit, es ist die
       Inszenierung eines Spiels, in dem alle Beteiligten ihre Rollen mit
       ironischer Distanz auf der Bühne präsentieren. Am Ende drückt die
       Jusochefin Esken und Klingbeil Bembel und Äppelwoi in die Hand.
       
       Rosenthal wird mit 73,2 Prozent wieder zur Juso-Vorsitzenden gewählt. Fünf
       Prozent weniger als vor knapp einem Jahr. Angesichts des strahlenden
       Erfolges von SPD und Jusos hat dieses Ergebnis etwas Irritierendes.
       
       ## Scholz versucht ironisch zu sein
       
       Samstagmittag kommt Olaf Scholz, schwarzes Jackett, weißes Hemd, offener
       Kragen. Er lächelt viel und bringt eine frohe Botschaft mit. „Es gibt eine
       Perspektive für sozialdemokratische fortschrittliche Politik im 21.
       Jahrhundert“ sagt er. Er nennt den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft das
       vorrangige Ziel „der ganzen Regierung“, also nicht nur der Grünen. Auch was
       die Rolle der Jusos angeht, hat Scholz klare Ideen: „Ich stelle mir vor,
       dass ihr oft begeistert seid über das Regierungshandeln“. So klingt es,
       wenn Scholz ironisch wird.
       
       Dann dürfen Juso-RednerInnen dem kommenden Kanzler eine Dreiviertelstunde
       lang die Meinung sagen. Das klingt eher ironiefrei. Es ist eine
       Generalabrechnung. Die rhetorische Figur dieser Kritik ist: Schön, dass die
       Ampel dieses und jenes erreicht hat, aber das Wichtige fehlt wegen der FDP.
       Das neue Bürgergeld sei „ein Etikettenschwindel“ und kaum anders als Hartz
       IV. Ohne höhere Regelsätze und ein Ende des Sanktionsregimes dürfe die SPD
       nicht von der Überwindung von Hartz IV reden. Bei der
       Verteilungsgerechtigkeit gehe mit der Ampel gar nichts. Und trotz
       Verbesserungen für Geflüchtete, so ein Juso, sei die Politik der Ampel,
       „mehr Leute abzuschieben als die Union, einfach Scheiße“. Peter Maaß,
       Juso-Chef in Berlin, verlangt endlich einen Mietenstopp, die
       Mietpreisbremse der Ampel sei ein „zahnloser Tiger.“.
       
       Simon Witsch, Juso-Chef in Frankfurt, wettert bejubelt von dem Saal gegen
       „die gelbe Null im Finanzministerium“. Christian Lindner ist ein
       Lieblingsgegner vieler Jusos. Witsch sagt dann noch einen hübschen Satz.
       „Die Jusos müssen sich innerparteilich und öffentlich als sozialistische
       Fundamentalopposition zur rechtssozialdemokratischen Politik des offen
       prokapitalistischen Krisenmanagements profilieren.“ Das ist ein Zitat aus
       den 80er Jahren. Es stammt von dem damaligen stellvertretenden
       Juso-Vorsitzenden Olaf Scholz.
       
       ## Rollenspiel der Sozialdemokratie
       
       Scholz nimmt sich lässig das Mikrofon und sagt, es wäre besser, nicht „die
       zu kritisieren, mit denen wir auf der Regierungsbank sitzen“, sondern die
       CDU. „Kleiner Tipp von mir“. Das klingt leicht und nebenbei, ist aber die
       ironiefreie Aufforderung, das Feuer auf die FDP einzustellen. Er werde ja
       mit „der Annalena, dem Christian und dem Robert“ regieren und sei für das
       Gelingen der Regierung verantwortlich. Inhaltlich verteidigt Scholz mit
       eher dürren Worten Bürgergeld und Wohnungspolitik. Die Jusos sollten das
       neue Bauministerium „nicht unterschätzen“. Scholz denkt in Institutionen,
       die Parteijugend an Inhalte.
       
       Er habe „gerne zugehört“, sagt Scholz versöhnlich, mit einem Oberton von
       Herablassung. Wenn er längst in Rente sei, dann seien die (rebellischen)
       Jusos in Verantwortung. Das ist ein Wink, was diese Begegnung war – ein
       Kapitel im generationellen Rollenspiel der Sozialdemokratie.
       
       27 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
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