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       # taz.de -- Neues Pop-up-Kino im alten Flughafen: Unter den Wolken
       
       > Der Flughafen Tempelhof hat viel gesehen: Nazis, Luftbrücke und jetzt
       > alte Filme. Man muss aufpassen, dass man nicht abhebt vor lauter
       > Nostalgie.
       
   IMG Bild: Im Tempelhofer Flughafen, lange ausgedient, werden jetzt sogar Filmklassiker gezeigt
       
       Berlin taz | In den Pfützen schwimmt Benzin, schillernd wie ein Regenbogen,
       Wolken spiegeln sich darin, ich wär gern mitgeflogen“: [1][Reinhard Mey]
       hat, wohl aus Mitleid wegen des Fluglärms, dieses Lied allen Bewohnern von
       Tempelhof „zugeeignet“. Heute dröhnen keine Düsen mehr aus dem riesigen
       Dreißigerjahrebau, der sich vom Platz der Luftbrücke zur einen Seite nach
       Mariendorf und zur anderen nach Neukölln ausstreckt. Die kilometerlangen
       Rollbahnen liegen still und bekommen langsam Risse.
       
       In der sonst ebenfalls stillen Haupthalle [2][eröffnete am 25. November ein
       Pop-up-Kino]. Bis in den Januar hinein sollen hier Filme gezeigt werden.
       
       An der Westseite des Saals die verlassenen Schalter der Airlines: „Air
       Bourbon“, „TDA-AIR“, „Pacciona“, manche von ihnen bieten schon seit Jahren
       keine Flüge mehr an.
       
       Auf der gegenüberliegenden Seite steht ein großer Tagesspiegel-Schriftzug,
       der nie abmontiert wurde. Darunter verschlossene Glastüren, durch die man
       früher zu den Gates gelangte. Darüber eine Galerie. Hinter zwölfeckigen
       hohen Säulen aus dem gelben Stein, der hier überall verbaut ist, liegen
       ebenso hohe Fenster im Schatten verborgen. Zwischen den Schaltern und den
       Gates liegt ein ausgeschaltetes Gepäckrollband.
       
       ## Flughalle aus der Nazizeit
       
       Die Säulen und Fenster sind aus der Mitte der 30er Jahre, als der bereits
       zehn Jahre vorher in Betrieb genommene Flugplatz zum europäischen Drehkreuz
       ausgebaut wurde. Die Schalter und der Schriftzug kamen später dazu. Von
       1950 bis 2008 war der Flughafen in normalem Betrieb. In seinem letzten Jahr
       wurden hier fast 300.000 Passagiere abgefertigt. Dann wurde er stillgelegt.
       
       In einem [3][Volksentscheid] stimmten die Berlinerinnen und Berliner im Mai
       2014 für das „Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes“. Das
       Flughafengelände bleibt öffentlich und darf langfristig nicht bebaut werden
       – 386 Hektar Land, mitten in Berlin. Seitdem ist das Feld ein Tummelplatz
       für SkaterInnen und Picknickende. Zirkusgastspiele, Festivals und Messen
       finden hier statt.
       
       Auch als Kinokulisse macht sich das Gelände nicht schlecht. Das protzige
       Ambiente, der Widerhall in der gigantischen Halle, das 30er-Jahre-Flair: Es
       passt, dass hier vor allem Klassiker gezeigt werden sollen.
       
       Vom selben Charme lebt auch die Rosinenbar – ebenfalls ein Pop-up-Projekt.
       Sie liegt im ehemaligen Transitbereich. Durch leere Gänge hört man leisen
       Jazz spielen. Im trüben Licht kann man durch Glastüren gehen und durch
       ehemalige Warteräume, mit Blick auf das Rollfeld. In einem dieser Räume
       findet man dann schließlich die Quelle der Musik, sie kommt aus
       Lautsprechern. Ein paar Sofas stehen um eine abbaubare Theke. Auf den
       großen Fensterbänken liegen Kissen.
       
       ## Sehnsuchtsort Shangri-La
       
       An die kalte Scheibe gelehnt kann man Flaschenbier trinken. So müssen die
       drei Eingeweihten in James Hiltons „Lost Horizon“ auf das Flugfeld geschaut
       haben, als sie in den 30er Jahren in genau diesem Flughafen von Shangri-La
       erzählt bekamen.
       
       Draußen fällt Regen auf die Rollbahn. Eine alte [4][Propellermaschine]
       steht quer vor der Bar. Ihre Tragflächen glänzen im Regen. Die Scheinwerfer
       des Gebäudes werfen einen Lichtkegel vor die Fenster. Etwa 50 Meter weit
       ist die Rollbahn hell erleuchtet, danach verschwindet sie abrupt in der
       Dunkelheit. Erst Kilometer weiter glühen die Lichter von Mariendorf.
       Golden-grün markieren sie das Ende des Feldes. Ach, abheben möchte man
       gerne: „Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ –
       vielleicht also wirklich nach Shangri-La?
       
       Doch würde man tatsächlich in die kleine Maschine steigen, den alten Motor
       aufheulen lassen und durch die Regenwände über die Rollbahn brettern, würde
       man abheben, und schweben, bis über die Wolken, dann müsste man sich
       vorsehen: nur nicht nach unten gucken. Denn dann würde man sehen, dass der
       Flughafen im Grundriss wie ein Adler geformt ist – und aus wäre es mit der
       Nostalgie.
       
       10 Dec 2021
       
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