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       # taz.de -- Putins Kalkül und Bidens Beitrag: Der Krieg ist längst da
       
       > Die Welt starrte mit falscher Erwartungshaltung auf das Gespräch von Joe
       > Biden und Wladimir Putin. Dass die Spannung hoch bleibt, ist Strategie.
       
   IMG Bild: Treffen sich zwei und haben sich nicht viel zu sagen
       
       Zwei Stunden und fünf Minuten dauerte [1][das Videogespräch zwischen
       US-Präsident Joe Biden und Russlands Präsident Wladimir Putin], unter
       Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne eine gemeinsame Pressekonferenz im
       Nachhinein. Zu Beginn durfte die Presse zusehen, wie sich die beiden
       Staatsmänner einmal zulächelten, dann wurden die Türen geschlossen.
       
       Im staatlichen russischen Fernsehen wurde im Anschluss ausführlich [2][ein
       Knopf in Putins Büro erörtert], mit dem der Präsident während des Gesprächs
       einen Assistenten hätte herbeirufen können. Den Knopf hat Putin nicht
       gedrückt, sagt der Journalist immer wieder. So wenig Spannendes gab es im
       Nachgang des Gipfels also zu berichten.
       
       Putin forderte Sicherheitsgarantien, was ohnehin schon vermessen ist, und
       das Versprechen, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen werden
       würde. Biden ging auf diesen Wunsch nicht ein. Ob dem russischen
       Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine bald eine Invasion des
       Nachbarlands folgt, das weiß immer noch niemand.
       
       Die Welt starrte mit falscher Erwartungshaltung auf dieses Gespräch: Als
       wäre nicht von Anfang an klar gewesen, dass es keine greifbaren Ergebnisse
       geben würde.
       
       ## Ein Autokrat
       
       Denn auch Putin ist bewusst, dass ihm der Westen nicht entgegenkommen wird.
       Ein Nato-Beitritt der Ukraine ist gar nicht im Gespräch, und trotzdem
       verlangt er die Zusicherung, dass es diesen nicht geben wird. Putin ist ein
       Autokrat. Seine Handlungen dienen einzig und allein seinem Machterhalt. Das
       ist das übergeordnete Ziel. Kein Versprechen und keine Beteuerungen könnten
       ihn deshalb milde stimmen. Und so lässt sich jeder Schritt des Westens für
       die eigenen Zwecke instrumentalisieren.
       
       Was für Putin zählt, ist die Symbolik, die in so einem Treffen steckt. Das
       Ziel ist die Show. Und die hat er bekommen.
       
       Denn endlich konnte sich Russlands Präsident wieder als der große und
       starke Herrscher inszenieren. Biden hat ihm dazu verholfen, indem er ihn an
       einen Tisch geholt hat und ihm auf Augenhöhe begegnet ist. Die mediale
       Aufmerksamkeit für das Präsidentengespräch tat ihr Übriges. Putin trat also
       auf die politische Bühne und sprach: Schaut her, ich bin der ewige
       Präsident, ich kann Angst und Schrecken verbreiten, wenn ich will, sprechen
       selbst die USA mit mir.
       
       Hier will sich einer größer machen, als er ist, könnte man argumentieren.
       Bei Putins Spielchen handelt es sich mehr um eine militärische Drohkulisse
       als um eine ernsthafte Gefahr. Wenn gewollt, hätten die Truppen längst
       ukrainisches Gebiet besetzen können. Das ist die eine Seite.
       
       ## Ständige Unsicherheit
       
       Leider kann man Putin nicht einfach als einen aufgeblasenen Typen abtun.
       Denn eine reale Bedrohungslage ist de facto seit Jahren da. Russlands
       Präsident schreckt ja nicht davor zurück, die Krim zu annektieren und in
       den Donbass einzumarschieren. Schon einmal tauchten also grüne Männchen auf
       ukrainischem Staatsgebiet auf – wieso sollten sie es nicht wieder tun?
       
       Russlands Außenpolitik ist bewusst uneindeutig. Sie macht es schwer,
       vorherzusagen, was als Nächstes passiert. Heute gibt sich Putin
       staatsmännisch, [3][morgen spricht er plötzlich von „Völkermord“]. Das
       Gegenüber bleibt so in ständiger Unsicherheit. Das ist die Taktik.
       
       Droht es also zu eskalieren? Steht gar ein Krieg bevor? Diese Fragen wurden
       diese Woche immer wieder erhitzt diskutiert. Außer Acht gelassen wurde
       dabei, dass es doch schon längst eskaliert ist, ein Krieg seit über sieben
       Jahren mitten in Europa herrscht und bislang mehr als 13.000 Todesopfer
       gefordert hat. Am Ende braucht es erst ein Aufgebot an russischen Truppen,
       um das in Erinnerung zu rufen.
       
       11 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gespraech-zwischen-Biden-und-Putin/!5821400
   DIR [2] https://twitter.com/maxseddon/status/1468294771265482762?s=20
   DIR [3] https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/russland-putin-in-ostukraine-droht-voelkermord-100.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erica Zingher
       
       ## TAGS
       
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