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       # taz.de -- Irans Nuklearprogramm: Neuer Atomdeal auf der Kippe
       
       > Die Gespräche mit Iran gehen in die entscheidende Phase. Während zentrale
       > Fragen völlig ungeklärt bleiben, drohen Teheran und Jerusalem mit Krieg.
       
   IMG Bild: Nur kleine Fortschritte: Irans Außenminister Amir-Abdollahian mit IAEA-Chef Grossi (Archivbild)
       
       Berlin taz | Eine konstruktive Arbeitsatmosphäre sieht anders aus. Während
       die Atomunterhändler*innen in einem Luxushotel in Wien versuchen, das
       von Donald Trump sabotierte internationale Iranabkommen wiederzubeleben,
       überziehen sich Iran und Israel mit wüsten Kriegsdrohungen. Auf iranischer
       Seite frönt man grotesken Auslöschungsfantasien und schreckt noch nicht
       einmal davor zurück, mit einem breiten Bombardement der Zivilbevölkerung zu
       drohen.
       
       Die regierungsnahe Tageszeitung Tehran Times zeigte auf ihrer
       [1][Titelseite] vom Mittwoch eine Landkarte Israels, die mit Hunderten
       Markierungen versehen ist. Jeder Pin soll ein mögliches Ziel iranischer
       Raketenangriffe darstellen. „Nur eine falsche Bewegung!“ ist die Karte
       übertitelt; und um die Drohung zu unterstreichen, zitiert das Blatt noch
       Revolutionsführer Ali Chamenei mit der Aussage, man werde nicht zögern, Tel
       Aviv und Haifa zu zerstören – also gezielt Krieg gegen die Zivilbevölkerung
       zu führen.
       
       Israel hatte zuvor seine Drohkulisse ausgebaut und die „militärische
       Bereitschaft“ betont, auf Fortschritte im iranischen Atomprogramm zu
       reagieren. Bei einem Treffen in Washington erklärte die israelische Seite,
       gemeinsame Pläne mit den USA vorantreiben zu wollen, um Irans Nuklearpläne
       zu stoppen – also iranische Atomanlagen zu zerstören.
       US-Verteidigungsminister Lloyd Austin unterfütterte die Drohung mit den
       Worten, die USA seien bereit, sich „anderen Optionen“ zuzuwenden.
       
       Damit bezog sich Austin auf die Atomgespräche in Wien, die – wenn überhaupt
       – nur äußerst schleppend vorankommen. In der österreichischen Hauptstadt,
       wo 2015 auch das historische Iranabkommen unterzeichnet wurde, sitzen
       Vertreter*innen Irans mit den P4+1 zusammen, also fast allen
       Vertragspartnern von damals: UN-Sicherheitsratsmitglieder Großbritannien,
       Frankreich, Russland und China plus Deutschland.
       
       Lediglich die US-Entsandten sitzen in einem Nebengebäude; sie nehmen nur
       indirekt teil, da es in Wien um die Frage geht, ob die USA in das
       Vertragswerk zurückkehren und sich Iran im Gegenzug wieder an das Abkommen
       hält. Seit dem US-Austritt 2018 hat auch Teheran Schritt für Schritt gegen
       die Auflagen verstoßen, die das iranische Atomprogramm beschränken und eine
       Nuklearbewaffnung verhindern sollen.
       
       ## Zoff um neue US-Sanktionen
       
       [2][Einfach zum Abkommen von 2015 zurückzukehren, sei jedoch nicht so
       leicht], sagt Adnan Tabatabai vom Bonner Thinktank Carpo. „Zum einen ist
       durch das Sanktionsregime der USA erheblicher wirtschaftlicher Schaden im
       Iran verursacht worden, der nicht wiedergutzumachen ist.“ Auf der anderen
       Seite habe Iran Fortschritte im Nuklearprogramm gemacht, die nach
       iranischen Angaben zwar wieder rückgängig gemacht werden können. „Was aber
       nicht reversibel ist, ist das Know-how, das Iran entwickelt hat, etwa bei
       der Anreicherung von Uran auf 60 Prozent oder bei der Nutzung neuer
       Zentrifugen.“
       
       Hinzu kommt, dass Trump seinem Nachfolger Joe Biden nicht nur ein
       zerschossenes Atomabkommen und eine zutiefst skeptische iranische Führung
       hinterlassen hat, sondern auch zusätzliche Sanktionen. „Iran mahnt an, dass
       die Aufhebung der Sanktionen, die im Atomabkommen 2015 festgehalten wurden,
       nicht mehr ausreicht“, erklärt Tabatabai.
       
       Iran wolle auch Strafmaßnahmen aufgehoben wissen, die seit 2018 verhängt
       wurden und nach US-Lesart nichts mit Irans Atomprogramm zu tun haben,
       sondern etwa mit Terrorvorwürfen. Die USA dagegen wollten einige Sanktionen
       beibehalten, die aus iranischer Sicht eine Umsetzung des Atomabkommens
       stark einschränken würden.
       
       Während die Sanktionsfrage der Knackpunkt zu sein scheint, gibt es weitere
       offene Fragen – etwa ob angereichertes Uran, das laut Atomabkommen außer
       Landes gebracht werden muss, sofort und in einem Rutsch herausgeschafft
       wird. „Man will erst mal abwarten, um zu verifizieren, dass die Aufhebung
       der Sanktionen auch wirklich effektiv ist“, beschreibt Tabatabai die neue
       iranische Verhandlungsposition, „erst dann soll zum Beispiel das
       angereicherte Uran nach und nach außer Landes gebracht werden.“
       
       Zwischen diesen Standpunkten der USA und Irans versuchen die anderen
       Vertragsparteien zu vermitteln. Doch auch seitens der Europäer ist
       zunehmend Pessimismus zu vernehmen. „Die fortgesetzte nukleare Eskalation
       des Irans bedeutet, dass wir schnell das Ende des Weges erreichen“, teilten
       Berlin, Paris und London am Dienstag mit. Das Atomprogramm sei noch nie so
       fortgeschritten gewesen. „Das Zeitfenster schließt sich schnell“, warnte
       die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse.
       
       ## Einigung auf neue Überwachungskameras
       
       Etwas Hoffnung machte am Mittwoch eine Einigung zwischen Iran und der
       Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), die laut Atomabkommen die
       iranischen Anlagen überwachen soll. Nachdem Iran die IAEA-Kontrollen
       deutlich eingeschränkt hatte, hat Teheran nun einem [3][Austausch
       beschädigter Überwachungskameras] in einer Atomanlage in der Stadt Karadsch
       bis Jahresende zugestimmt. Die Kameras waren im Juni bei einem Angriff
       beschädigt worden. „Es ist ein offenes Geheimnis, dass dieser Angriff von
       Israel durchgeführt wurde“, sagt Tabatabai.
       
       Als „Geste des guten Willens“ erlaube Teheran die neuen Kameras,
       [4][berichtete] die Nachrichtenagentur Nour-News. Es handele sich um eine
       „freiwillige Aktion“, um Missverständnisse in der Beziehung zur IAEA
       auszuräumen. In Karadsch werden moderne Zentrifugen zur Anreicherung von
       Uran hergestellt, was sowohl für Atomreaktoren als auch für Atomwaffen
       relevant ist.
       
       Bei der Frage der Überwachung des Atomprogramms gibt es allerdings weitere
       Streitpunkte. IAEA-Chef Grossi begrüßte die Einigung vom Mittwoch, teilte
       aber mit: „Ich hoffe aufrichtig, dass wir unsere konstruktiven Gespräche
       fortsetzen können, um auch alle noch offenen Fragen der Überwachung in Iran
       anzugehen und zu lösen.“
       
       Die Installation neuer Kameras sei wichtig, sagt Tabatabai, einen
       Durchbruch für die Unterhänder*innen in Wien stelle die Einigung aber
       noch nicht dar. „Es ist zu hoffen, dass alle Seiten jetzt erkennen, dass
       ein Komplettscheitern der Verhandlungen am Ende noch kostspieliger wird als
       eine [5][Wiederbelegung des Abkommens].“ Noch vor Jahresende brauche es ein
       deutliches positives Signal, einen Fahrplan, wie es weitergehen soll. „Ohne
       ein solches Signal in die Weihnachtspause zu gehen, halte ich für fatal.“
       
       16 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://media.tehrantimes.com/d/t/2021/12/14/0/3989873.jpg
   DIR [2] /Sicherheitsexperte-ueber-Atomdeal/!5814754
   DIR [3] https://www.iaea.org/newscenter/pressreleases/iaea-and-iran-reach-agreement-on-replacing-surveillance-cameras-at-karaj-facility
   DIR [4] https://nournews.ir/En/News/83037/Iran's-voluntary-action-to-resolve-misunderstandings-in-relations-with-the-IAEA
   DIR [5] /Iran-Expertin-ueber-das-Nuklearabkommen/!5738565
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Hagmann
       
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