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       # taz.de -- ARD-Serie „Legal Affairs“: Abseits der Carmen-Nebel-Zielgruppe
       
       > Die Serie „Legal Affairs“ versucht, modern zu sein. Das gelingt mit ihrer
       > Themenwahl, doch in der Dramaturgie fehlt es an Kniff.
       
   IMG Bild: Medienanwältin Leo Roth (Lavinia Wilson) auf dem Weg zum Gericht
       
       Bei der Filmpremiere klingelt Leo Roths Handy. Es hat ein Busunglück
       gegeben. Wen vor Gericht vertreten, das Reiseunternehmen oder die
       Angehörigen der verstorbenen Busfahrerin? Kurz darauf sitzt sie am
       Konferenztisch ihrer Kanzlei. Nudelboxen auf dem Tisch, Breaking News auf
       dem Flachbildschirm an der Wand und schnelle Wortwechsel mit dem Team, wie
       „Pro bono ist wie ein Boomerang“ und „hak mal bei der Kripo nach.“
       
       Die Medienanwältin entscheidet sich, honorarfrei den hinterbliebenen
       Ehemann vor Gericht zu vertreten. Das hat aber wenig mit Menschlichkeit
       oder Empathie zu tun – in diesem Fall geht es zwar ausnahmsweise nicht um
       Geld, sondern um etwas noch Wichtigeres: das Image.
       
       Kalkül spielt die eigentliche Hauptrolle in der ARD-Serie „Legal Affairs“
       über die Anwältin Leo Roth (gespielt von [1][Lavinia Wilson]). In acht
       Folgen, bei denen Randa Chahoud und Stefan Bühling Regie geführt haben,
       geht es darum, die Boulevardpresse zurückzudrängen, Politiker:innen
       vor Skandalen zu retten und Geschehnisse zum eigenen Vorteil zu deuten.
       Oder wie Roth an einer Stelle sagt: Es gehe darum, wer „die beste
       Geschichte“ erzählt.
       
       Pro Folge gibt es einen neuen Fall. Die Themen wirken dabei wie ein
       Nachgeschmack der letzten Jahre: Da geht es zum Beispiel um [2][Deep
       Fakes], also die kaum noch nachvollziehbare Manipulation von digitalen
       Videos, oder um das sogenannte „Institut für rosige Zeiten“, dessen
       „Satire“ problematische Grenzen überschreitet. Und um deutsche Polizei, die
       extrem verspätet auftaucht, als Migrant:innen von Rechtsextremen
       angegriffen werden.
       
       Nicht nur die aktuellen Themen, sondern auch der Vorspann mit seinen hippen
       Berlin-Bildern und die rastlose, dokumentarische Kamera verraten es: Man
       will hier hochmodernes Fernsehen machen. Und teilweise gelingt das auch.
       
       Generell überlässt „Legal Affairs“ Scharfsinn und Gefasstheit vollständig
       seinen weiblichen Figuren. Männer – sei es der Innensenator mit der Affäre
       oder der Promi-Klient – sieht man meist im aufgelösten, selbstmitleidigen
       Zustand.
       
       Wie Leo Roth sich Gehör verschafft, wenn die Diskussion mal hitzig und
       unübersichtlich wird, oder schnell einen Mitarbeiter rausschickt, als sie
       unter einem Schwächeanfall leidet, damit der sie nicht in einem
       verletzlichen Zustand sieht, zeigt sie als wahre Führungspersönlichkeit,
       wenn man es positiv ausdrücken will. Denn es wird auch nicht davor
       zurückgeschreckt, Roth moralisch sehr fragwürdig zu zeigen.
       
       ## Jede Episode folgt einem Muster
       
       Leo Roth ist eine gelungene Frauenfigur, die nicht in einer der Schubladen
       „Cruella de Vil“ oder „Girlboss“ verschwindet, sondern in der wenigen
       Freizeit, die „Legal Affairs“ ihr gönnt, eine ambivalente Persönlichkeit
       entwickelt, mit der man trotz ihrer Abgebrühtheit mitfiebert. Das ist ein
       erstaunlicher Drahtseilakt.
       
       Bei all den erfrischenden Entscheidungen, die „Legal Affairs“ getroffen
       hat, fällt eine entscheidende Schwachstelle auf: dass in jeder Folge genau
       ein Fall abgeschlossen wird, wirkt altbacken, analog, etwas
       Schwarzwaldklinik. Moderne Serien erzählen meist folgenübergreifend. Sie
       wissen, dass Entschleunigung dazugehört, stille Momente, in denen
       Zuschauer:innen durchatmen können.
       
       Das gibt es bei „Legal Affairs“ nicht. Weil jede Folge dem gleichen Muster
       folgt – nämlich Wendung, Wendung, Auflösung – kann das Bingen dieser Serie
       etwas nervös machen und gleichzeitig ermüden, denn es passiert alles in
       einem rasanten, aber wiederkehrenden Rhythmus.
       
       Im Minutentakt klingelt das Handy und Roth ist im Auto, um die nächste
       Katastrophe abzuwenden. Die Kamera bleibt immer auf Roth selbst gerichtet,
       die Haupt- und Nebenhandlung allein auf ihren eleganten Schultern trägt.
       Nie wird mal in die Angelegenheiten der anderen Figuren abgeschweift. Man
       wundert sich deshalb auch nicht, als die Anwältin schon in Folge zwei auf
       dem Laufband zusammenbricht.
       
       Legal Affairs wird „online first“ in der ARD-Mediathek gezeigt und ist mit
       Sätzen wie „Sperma, Blut, Schweiß, Tränen, alles klar, aber wenn Scheiße
       dazukommt!“ Und „Dein Fick, wie heißt sie?“ wahrscheinlich nicht auf die
       Carmen-Nebel-Zielgruppe ausgerichtet, die sich noch nach dem klassischen
       Fernsehprogramm richtet. Da kann es zum Problem werden, wenn „Legal
       Affairs“ am besten einmal wöchentlich wie ein Tatort funktioniert und nicht
       im mehrstündigen Stream, wie junge Leute heutzutage Serien schauen.
       
       16 Dec 2021
       
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