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       # taz.de -- Schach-WM in Dubai: Nerven gegen Nerven
       
       > Weltmeister Magnus Carlsen verteidigt seinen Titel gegen Jan
       > Nepomnjaschtschi vorzeitig. Der Herausforderer scheitert an eigenen
       > Patzern.
       
   IMG Bild: Magnus Carlsen (r.) gegen Jan Nepomnjaschtschi
       
       Die alte Schachweisheit „Der letzte Fehler verliert“ hat sich selbst bei
       der Weltmeisterschaft in Dubai bewahrheitet. Jan Nepomnjaschtschi
       unterliefen zu viele Patzer, sodass Weltmeister Magnus Carlsen leichtes
       Spiel hatte, mit 7,5:3,5 einen Kantersieg zu landen. „Ein paar Mal gab es
       komplizierte Stellungen, in denen wir beide Fehler machten – aber er machte
       den letzten“, verwies der 31-jährige Norweger auf den eklatanten
       Unterschied zwischen ihm und dem gleichaltrigen Herausforderer und
       unterstrich, „in einfachen Positionen unterliefen mir kaum Fehler“.
       
       So leicht wie bei seiner [1][vierten Titelverteidigung] hatte es Carlsen
       noch nie. Bis zur fünften Partie hielt sein bisheriger Angstgegner noch mit
       und remisierte alle Begegnungen. Danach kam der fatale Einbruch durch eine
       achtstündige Nervenschlacht: In der längsten Partie der 135-jährigen
       WM-Geschichte rang der Weltranglistenerste seinen [2][ehemaligen
       Sekundanten] in 136 Zügen nieder. Allein auf seine Leistung in dieser
       zentralen Marathonpartie bis nach Mitternacht war Carlsen „stolz“.
       
       Der Großmeister aus Lommedalen ist mit sich selbst zufrieden, es sei aber
       „schwer, große Freude zu empfinden“. Ihm missfiel bereits vor der
       Entscheidung das Niveau der WM. Er verspüre mehr Genugtuung, wenn er eine
       „gute Partie“ gewinne, betonte der Titelverteidiger. Andererseits würden in
       Dubai keine „Stilpunkte vergeben“, deshalb nehme er die Zähler auch so
       dankend an.
       
       Das nüchterne Fazit resultierte aus der kläglichen Leistung des Russen in
       der zweiten Hälfte des mit 2 Millionen Dollar dotierten Zweikampfs.
       Geißelte der Weltranglistenfünfte schon seinen Schnitzer in der achten
       Partie als „vielleicht schlimmsten Patzer“ seiner Karriere, kam es in den
       Runden neun und elf noch schlimmer. Erst übersah „Nepo“ nach einem
       Bauernraub, dass sein Läufer danach im gegnerischen Lager eingekesselt wird
       und kompensationslos verloren geht.
       
       ## Horrorbauernzug
       
       Zum Abschluss am Freitag bewies Nepomnjaschtschi mit einem weiteren Patzer
       im 23. Zug, dass er völlig von der Rolle ist. Der Russe griff mit einem
       Horrorbauernzug nach g3 einen schwarzen Turm an. Carlsen zog diesen nicht
       weg, schlug stattdessen einen Springer und öffnete so der eigenen Dame den
       Weg zu einer tödlichen Attacke auf den weißen König. Die schloss der
       Weltmeister zwar nicht perfekt ab, aber im Turmendspiel agierte er wieder
       wie eine Maschine. Kurz nachdem sich ein feindlicher Bauer auf seiner
       Grundreihe in eine Dame verwandelte, gab „Nepo“ im 49. Zug endgültig auf.
       Die Partien 12 bis 14 wurden überflüssig.
       
       Nepomnjaschtschi heißt aus dem Russischen sinngemäß übersetzt: „der, der
       sich nicht erinnert“. Ganz verdrängen will er das WM-Debakel, das ihm
       immerhin 800.000 Dollar einbrachte, allerdings nicht. Mit Schach habe seine
       Leistung wenig zu tun gehabt. Er müsse nun ergründen, warum in der zweiten
       Hälfte des Duells mehrere „Aussetzer“ zu seinem „Kollaps“ führten. „Nepo“
       will derlei Fehler in der Zukunft „ausschließen“.
       
       Während des Wettkampfs stellte Anish Giri, der im Kandidatenturnier als
       Dritter hinter „Nepo“ das WM-Finale verpasst hatte, fest, dass Siege gegen
       den Russen weder ihm „noch anderen Kollegen“ Freude bereiteten: „Es ist
       verrückt, aber niemand hat bisher Jan jemals richtig geschlagen – er
       schlägt sich immer selbst!“, betonte der Niederländer Giri während seiner
       Livekommentare. Diese Aussage gilt auch für das Match in Dubai, bei dem
       Carlsen drei seiner vier Siege in den Schoß fielen.
       
       ## Spekulationen über nächsten Weltmeister
       
       Die nächsten WMs warten bereits auf Carlsen. Ab dem ersten
       Weihnachtsfeiertag finden die Titelkämpfe im Schnell- und Blitzschach in
       Warschau statt. Der Weltverband Fide fand für die WMs mit den kurzen
       Bedenkzeiten kurzfristig einen neuen Ausrichter, nachdem die Organisatoren
       in Kasachstan das Event wegen Corona abblasen mussten. So peilt der
       nimmersatte Carlsen in der polnischen Hauptstadt das erneute Triple in
       allen Disziplinen an. Als Schnelldenker ist der Norweger dabei fast noch
       überlegener als im Turnierschach.
       
       In der Szene wird bereits über den nächsten WM-Herausforderer spekuliert.
       Alireza Firouzja handeln viele als Topfavoriten. Selbst Carlsen hält den
       gebürtigen Iraner, der mit seiner Familie 2019 nach Frankreich flüchtete,
       für den „offensichtlichsten Kandidaten unter 20 Jahren auf den
       Weltmeistertitel“. Der 18-Jährige stürmte bei der Mannschafts-EM mit sieben
       Siegen, bei nur zwei Remis, auf Platz zwei der Dezember-Weltrangliste.
       Dabei knackte er den Altersrekord von Carlsen, der bisher als jüngster
       Spieler die hohe Hürde von 2.800 Elo-Punkten nahm. Firouzja war jetzt ein
       halbes Jahr früher dran.
       
       Dass der Teenager das nächste Kandidatenturnier gewinnt und den Norweger
       entthront, muss das noch lange nicht heißen. Nepomnjaschtschi hatte gegen
       Carlsen auch als einziger Topspieler einen positiven Score mit 4:1 Siegen.
       Eine WM ist jedoch eine Schlacht der Nerven – und die stählte der Dominator
       auf den 64 Feldern in Dubai einmal mehr. In seinen 56 WM-Duellen seit 2013
       verlor Carlsen bisher nur zwei Partien.
       
       12 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Hartmut Metz
       
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