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       # taz.de -- Nationalismus im Schachsport: Gelassener Verräter
       
       > Der Russe Daniil Dubow hat den Norweger Magnus Carlsen auf die Schach-WM
       > vorbereitet. Nach dessen Sieg steht er in seiner Heimat in der Kritik.
       
   IMG Bild: Hat den Überblick: Daniil Dubow bei der Schnellschach-WM 2018
       
       Berlin taz | Die Weltmeisterschaft war entschieden. [1][Magnus Carlsen hat
       seinen Titel gegen Jan Nepomnjaschtschi verteidigt]. Die Geschichten davon
       waren erzählt, die Fehler des russischen Herausforderers analysiert und der
       Marathon in der sechsten Partie über 136 Züge zu Genüge gefeiert worden.
       Der norwegische Dominator bedankte sich noch brav in einer Videobotschaft
       bei seinen Helfern, die ihn auf die WM-Spiele vorbereitet hatten, und hat
       sich wohl selbst nicht vorstellen können, dass er damit einen veritablen
       Shitstorm auf einen seiner Helfer auslösen würde. Der russische
       Spitzenspieler Daniil Dubow gehörte zu Carlsens Team und wird in seiner
       Heimat nun von nicht wenigen als Verräter bezeichnet, weil er in einem
       WM-Duell mit russischer Beteiligung den Gegner des Russen unterstützt hat.
       
       Großmeister Sergei Kirjakin, [2][2016 Carlsens Herausforderer im Kampf um
       den WM-Titel], machte keinen Hehl daraus, was er von Dubows Helferdiensten
       für den Norweger hält: Er würde sich auch keinen Norweger in sein Team
       holen, wenn er gegen Carlsen spielen würde, hat er getwittert. Ilja
       Lewtitow, der frühere Präsident des russischen Schachverbands, gab den
       Fassungslosen: „Irgendwie will das nicht in meinen Kopf“, schrieb er auf
       seinem Telegram-Kanal.
       
       Und der überaus populäre Schachkommentator Sergei Schipow schlug gar vor,
       Dubow solle doch künftig für Norwegen spielen. „Hey, Danja, Danja, wozu?
       Für wie viel?“, [3][fragte er auf seiner Facebook-Seite] und forderte das
       Aus für Dubow in künftigen Länderkämpfen.
       
       Mit dem Vorwurf, ein schlechter Patriot zu sein, lebt Dubow schon länger.
       Als er 2018 den WM-Titel im Schnellschach gewonnen hat, sagte er [4][auf
       den Ukraine-Konflikt angesprochen]: „Klar, was das Krim-Thema angeht, bin
       ich komplett auf der ukrainischen Seite.“ Auch soll er schon einmal auf
       einer Oppositions-Demo gesehen worden sein.
       
       ## Naheliegendes Feindbild
       
       Er taugt also ganz gut als Feindbild für russische Nationalisten. Was man
       von Spitzensportlern in dieser Hinsicht in Russland erwartet, dafür ist
       Großmeister-Kollege Kirjakin ein gutes Beispiel. Er feierte die Annexion
       der Krim einst mit einem Putin-Fanshirt und hochgerecktem Daumen auf
       Instagram.
       
       Für einen, der gerade zum Staatsfeind erklärt worden ist, hat der 25 Jahre
       junge Dubow erstaunlich gelassen auf die Vorwürfe reagiert. In einem
       [5][Interview auf dem Sportportal championat.com] meinte er: „Dass das
       jemandem nicht gefallen könnte, ist nichts Neues. Das ist nicht das erste
       Mal, dass mir das begegnet. Ich bin da relativ entspannt.“ Und wie nebenbei
       analysierte er die Stimmung in seinem Land: „Es herrscht eine Art
       imperialer Ehrgeiz – jeder ist gegen uns, jeder ist der Feind. Vor allem,
       wenn etwas nicht klappt.“ Man könne das Ganze auch anders sehen. Da gebe es
       einen jungen Schachspieler, einen der besten der Welt, der mit dem größten
       Schachspieler der Geschichte zusammenarbeiten und sich verbessern dürfe.
       
       Natürlich passt diese Verrätererzählung zum Machobild, das die Nation gerne
       abgibt. Doch auch in Deutschland gab es vor nicht allzu langer Zeit einen
       jungen Sportler, [6][der wie eine Art Hochverräter behandelt wurde]. Der
       deutsche Bobpilot Manuel Machata hatte die Qualifikation für die
       Olympischen Spiele 2014 in Sotschi verpasst.
       
       Die Kufen seines Bob lieh der Ex-Weltmeister daraufhin seinem russischen
       Konkurrenten Alexander Subkow, der damit glatt zu Gold raste. Machata wurde
       daraufhin zunächst für ein Jahr gesperrt. Nach dessen Einspruch wurde die
       Sperre wieder zurückgenommen. Sportjustiziabel, das musste man wohl
       einsehen, ist die Unterstützung eines Konkurrenten aus einem anderen Land
       dann doch nicht gewesen.
       
       Am Ende hatte Machata ja doch nicht den Olympiasieger unterstützt. Subkow
       wurden seine zwei Goldmedaillen von Sotschi wieder abgenommen, nachdem sich
       herausgestellt hatte, dass er vom russischen Staatsdopingsystem profitiert
       hatte.
       
       15 Dec 2021
       
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   DIR [4] https://www.chess.com/blog/Mikhail_Golubev/daniil-dubov-on-crimea?ref_id=43524416
   DIR [5] https://www.championat.com/other/article-4542199-otkrovennoe-intervyu-s-pomoschnikom-karlsena-rossiyaninom-daniilom-dubovym-o-skandale-yane-nepomnyaschem-i-sbornoj-rossii.html
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