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       # taz.de -- Studie zu Armut trotz Arbeit: Aufstocken könnte wegfallen
       
       > Hunderttausende sind trotz Job auf Hartz IV angewiesen. Manche Pläne der
       > neuen Regierung könnten helfen – andere könnten das Problem verfestigen.
       
   IMG Bild: Besonders Alleinerziehende sind laut Studie häufig von Armut betroffen
       
       Berlin taz | Es gehört zu den hartnäckigen Mythen der Sozialstaatsdebatte,
       dass Hartz-IV-Empfänger „faul“ seien – und nicht arbeiten wollen. Die
       Realität [1][sieht anders aus.] Knapp jeder fünfte Leistungsbezieher (knapp
       860.000 Menschen) geht aktuell einer Erwerbstätigkeit nach, wie eine am
       Mittwoch veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt. Betroffene
       verdienen in ihren Jobs so wenig Geld, dass der Staat das klägliche Gehalt
       auf das ohnehin mit allerlei Tricks klein gerechnete [2][soziokulturelle
       Existenzminimum] anheben muss.
       
       Die knapp 90-seitige Studie beschreibt detailliert die Strukturmerkmale der
       so genannten „Aufstocker“. Demnach übt fast die Hälfte (46 Prozent) aller
       erwerbstätigen ALGII-Bezieher einen Minijob aus. Unter allen Aufstockern
       sind mehr als drei Viertel (76 Prozent) im Niedriglohn-Sektor tätig.
       Besonders alleinerziehende und ihre Kinder sind in diesem Zusammenhang
       häufig von Armut betroffen. 20 Prozent der Kinder, deren alleinerziehende
       Mutter dauerhaft in Teilzeit oder geringfügig erwerbstätig sind, erlebten
       laut Studie dauerhafte Armut.
       
       In der Coronapandemie ist der Anteil der Aufstocker allerdings
       zurückgegangen. Im Jahr 2019 lag er laut Bertelsmann-Stiftung noch bei mehr
       als 26 Prozent. Im Jahr 2021 seien es 22 Prozent gewesen. Allerdings
       bedeutet der Rückgang vor allem, dass in Minijob-Branchen wie der
       Gastronomie Corona-bedingt Arbeitsplätze wegfielen – und nicht, dass es
       Betroffenen gelungen wäre, einen Job zu finden, der die Abhängigkeit vom
       Jobcenter beendet.
       
       Eine ebenfalls in der Studie enthaltene Langzeit-Analyse zeigt auch für die
       Vor-Corona-Zeit, dass Aufstocker meist länger auf Hilfen angewiesen
       bleiben. Zwischen 2010 und 2019 benötigten im Durchschnitt knapp 56 Prozent
       der Aufstocker auch im Folgejahr Unterstützung vom Jobcenter. Nur 20
       Prozent gelang der Übergang in Jobs über Grundsicherungsniveau.
       
       ## Minijobs als „Armutsfalle“
       
       Die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die Hartz-Reformen haben einen
       harten Kern von Arbeitnehmern geschaffen, die dauerhaft zu wenig verdienen.
       Unter anderem die Bertelsmann-Stiftung gilt übrigens als Ideengeber für die
       damaligen Hartz-Reformen.
       
       Wie kann die Politik die Lage der „Working Poor“ verbessern? Die von der
       Ampel-Regierung geplante Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro würde die
       Sozialausgaben für Aufstocker reduzieren, prognostiziert etwa der Präsident
       des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Die
       Autoren der Bertelsmann-Studie befürworten zudem die von den Grünen in den
       Koalitionsvertrag eingebrachte Kindergrundsicherung.
       
       Kritisch sehen sowohl die Studienautoren als auch Sozialverbände allerdings
       die angepeilte Ausweitung der Minijobs. Diese „fördern nicht den Einstieg
       in den regulären Arbeitsmarkt, sondern sind zu einer Armutsfalle für viele
       Menschen geworden“, sagte etwa VdK-Präsidentin Verena Bentele.
       
       15 Dec 2021
       
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