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       # taz.de -- Senatorin Kalaycis Corona-Forderungen: Das Vertrauen ist gestört
       
       > Politische Entscheidungen müssen gut erklärt sein, umso mehr bei Corona.
       > Dilek Kalaycis Auftreten konterkariert das. Ein Wochenkommentar.
       
   IMG Bild: Sie fordert Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte: Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD)
       
       Dass man eine Mütze anzieht, wenn es regnet, oder einen Schirm aufspannt,
       ist klar. Auch, dass man einen Fahrradreifen aufpumpen oder flicken muss,
       wenn er platt ist. Politische Konsequenzen zu ziehen, ist hingegen oft
       nicht so leicht, und vor allem nicht [1][in der Coronapandemie]. Die
       Lockdowns bisher haben gezeigt: Maßnahmen funktionieren dann am besten,
       wenn man sie vernünftig erklärt. Wenn man, wie es immer so nett heißt, die
       Betroffenen mitnimmt, damit die auch verstehen, warum da was passiert.
       
       Dazu müssen aber Dinge logisch sein, stringent, aufeinander aufbauend. Wenn
       nun ein Regierungsmitglied dieses erzählt und ein anderes nächste Woche
       jenes, obwohl sich die Umstände vor Ort nicht oder kaum geändert haben, so
       untergräbt das den Glauben an kluge Politik.
       
       So geschehen ist das am vergangenen Dienstag auf der Pressekonferenz nach
       der Senatssitzung. Da wünschte sich SPD-Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci
       weitgreifendste Maßnahmen und sagte sogar: [2][„Wir wollen mehr
       verbieten“.] Diesen Satz allein könnten AfD und Impfgegner als lustvolles
       Rechte-Einschränken ausschlachten. Zuvor hatte Kalayci schon in einem
       Interview nach einer Bundesnotbremse gerufen und sich für
       Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte ausgesprochen.
       
       Viel schlimmer aber ist, dass Kalaycis Worte den Auftritt ihres
       Staatssekretärs und Parteifreundes Martin Matz eine Woche zuvor im selben
       Pressekonferenzsaal konterkarierte, der dabei die neuen 2G plus-Vorgaben
       vorgestellt hatte. Weil parallel in Brandenburg das Kabinett über
       Wechselunterricht in Schulen und Kontaktbeschränkungen diskutierte, sah
       Matz sich mit der Journalistenfrage konfrontiert, warum das nicht auch in
       Berlin geplant sei. Und ob er, soweit das möglich ist, einen erneuten
       Lockdown ausschließen könne.
       
       Ausschließen könne man nichts, antwortete Matz, „aber die Maßnahmen bieten
       die Chance, die Kurve [gemeint ist der Anstieg der Corona-Zahlen] abflachen
       zu können“. In Brandenburg sah er wegen der im Vergleich zu Berlin fast
       doppelt so hohen Infektionsrate eine ganz andere Situation.
       
       ## Die Kurve flacht ab
       
       Eine Woche später war [3][die Kurve abgeflacht], der Abstand zu Brandenburg
       weiter groß. Der Senat hätte sich freuen und in seiner Politik bestätigt
       sehen können – zu Recht. Stattdessen forderte Kalayci mehr Einschränkungen
       und verwies auf die in Südafrika grassierende neue Coronavariante Omikron
       und die Empfehlungen von Wissenschaftlern, die aber in der Regel schon
       immer nach gravierenderen Maßnahmen gerufen hatten.
       
       Nun ist es so, dass Staatssekretär Matz bislang weder als Beschöniger der
       Coronalage aufgefallen wäre noch im Verdacht steht, vom Thema Gesundheit
       keine Ahnung zu haben. Ganz im Gegenteil: Kaum ein Staatssekretär ist so
       sehr in seinem Fachgebiet verwurzelt wie Matz. Der war schon im
       Abgeordnetenhaus Gesundheitsfachmann, danach in Spandau Stadtrat für dieses
       Thema und hatte schließlich auch als Vorstand bei der Diakonie damit zu
       tun, bevor er 2018 Kalaycis Vize wurde. Man könnte sogar sagen: Er hat im
       Zweifelsfall mehr Ahnung als Kalayci – jene Frau, die zu Jahresbeginn im
       Abgeordnetenhaus irrigerweise [4][eine lokale Impfstoff-Produktion durch
       das Unternehmen Berlin Chemie] ankündigte.
       
       Was soll vom oben beschriebenen Widerspruch zweier Regierungsmitglieder
       gleicher Parteizugehörigkeit jemand denken, der zwar bislang alle
       Coronamaßnahmen befolgt hat, aber mehr und mehr auf der Kippe ist? So wie
       ein skeptischer Katholik, für den es noch ein einziges reaktionäres
       Kardinalswort braucht, um aus der Kirche auszutreten.
       
       Nicht nachvollziehbare Wenden, Ankündigungen und Noch-eins-Drauflegen
       untergraben das Vertrauen in Politik. Nicht nur bei Corona, aber hier
       besonders. Oft genug hat Regierungschef Michael Müller (SPD) gesagt: Der
       Senat, die Bezirke, die Polizei, sie alle könnten nicht alles
       kontrollieren. Es liege vielmehr an jedem und jeder selbst, sich
       solidarisch zu zeigen und die Regeln einzuhalten. Das geht aber nur, wenn
       Entscheidungen plausibel sind. Für Kalaycis „Wir wollen mehr verbieten“
       gilt das nicht.
       
       4 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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