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       # taz.de -- Kinotipps der Woche: Traum, Wirklichkeit und die Jobs
       
       > Mia Hansen-Løves „Bergman Island“ erzählt von der Suche nach Inspiration,
       > Susana Nobres „No táxi do Jack“ von der Arbeitssuche in zwei Welten.
       
   IMG Bild: „Bergman Island“ (Regie: Mia Hansen-Løve)
       
       Auf der schwedischen Ostseeinsel Fårö gibt es die Möglichkeit, sich quasi
       hautnah auf die Spuren der 2007 verstorbenen schwedischen Kinoikone Ingmar
       Bergman zu begeben: Man kann sich in seinem abgelegenen Refugium einmieten,
       in dem er seit den 1960er Jahren lebte, in seiner Bibliothek stöbern und in
       seinem privaten Vorführraum Bergman-Filme gucken – natürlich noch richtig
       auf Filmmaterial. Und hoffen, dass der Geist und die Inspiration des Genies
       auf einen selbst übergehen. Oder was mag der Zweck dieser Übung sein?
       
       Auch die französische Regisseurin Mia Hansen-Løve hat den Trip schon
       unternommen, dort ein Drehbuch geschrieben und selbiges als „Bergman
       Island“ verfilmt – weniger als ein autobiografisches Werk, sondern eher
       inspiriert von ihren Erfahrungen. Der Film handelt von dem in der
       Filmbranche tätigen Paar Chris (Vicky Krieps) und Tony (Tim Roth), das auf
       Fårö mit der Arbeit an ihren Drehbüchern vorankommen will, dabei aber recht
       unterschiedlich auf die neuen Einflüsse reagiert.
       
       Der etablierte Autor und Regisseur Tony verhält sich eher wie ein
       neugieriger Tourist, der jedes Erlebnis-Angebot im Bergman-Themenpark gern
       mitnimmt. Chris hingegen geht dem Rummel lieber aus dem Weg und versucht
       individuelle Eindrücke zu sammeln.
       
       Mit der Zeit beginnen sich verschiedene Realitäts- und Fiktionsebenen zu
       vermischen: Traum, Wirklichkeit und die Metaebene eines Films im Film
       erzählen von einer künstlerischen Emanzipation (3. 12., 13.50 Uhr, 6. 12.,
       14 Uhr, 7. 12., 14.50 Uhr, [1][Il Kino]; 4. 12., 13.30 Uhr, [2][FSK]; 4.
       12., 22 Uhr, 8. 12, 21.30 Uhr, [3][Sputnik]; 5. 12., 11 Uhr, [4][Eva]).
       
       Bevor der Portugiese Joaquim Calçada mit 63 Jahren in Frührente gehen kann,
       muss er noch drei Monate lang Stempel von potenziellen Arbeitgebern
       sammeln, bei denen er sich pro forma vorstellt. Der stets elegant
       gekleidete Joaquim macht sich in seinem Mercedes auf den Weg in suburbane
       Gewerbegebiete und erzählt dabei von seinem Werdegang.
       
       Regisseurin Susana Nobre knüpft mit „No táxi do Jack“ („Jack’s Ride“) an
       ihre Job-Center-Dokumentation „Vida activa“ (2014) an: [5][ein mit
       Genre-Elementen spielendes Roadmovie] über ein Arbeitsleben zwischen
       Militärdiktatur und Demokratie, mit einer zwischenzeitlichen – in
       Rückprojektionen präsenten – Emigration in die USA, das offen lässt,
       inwieweit Joaquims Erzählungen hundertprozentig der Realität entsprechen
       (4. 12., 15 Uhr, [6][Wolf Kino]).
       
       Jina arbeitet im Call-Center einer Kreditkartenfirma. Sie ist die beste
       Kraft des Büros, die sachlichen Businessgespäche mit den Kunden leistet sie
       problemlos, egal, was für Wichtigtuer am anderen Ende der Leitung labern.
       Ansonsten ist Kommunikation für Jina jedoch ein Fremdwort. Dass sie eine
       Berufsanfängerin einarbeiten soll, ist ihr ein Greuel.
       
       Bei der Eröffnung des Testaments ihrer kürzlich verstorbenen Mutter sitzen
       Vater und Tochter auf einem riesigen Sofa so weit entfernt von einander wie
       es eben geht. Und dass ihr Nachbar verstorben ist, merkt sie erst eine
       Woche später aufgrund des schlechten Geruchs.
       
       „Aloners“ des koreanischen Regisseurs Hong Sung Eun (im Programm des
       Festivals „[7][Around the World in 14 Films]“) zeichnet ein beeindruckendes
       Porträt einer Person, die Mauern um sich errichtet hat und das menschliche
       Miteinander – gemeinsames Essen, religiöse Zeremonien, Lachen und Weinen –
       nur aus der Ferne oder in medialer Vermittlung wahrnimmt, auf den
       Bildschirmen, auf die sie ständig blickt.
       
       Doch irgendwann ist selbst Jina davon ein wenig berührt, vielleicht ist es
       auch dem Geist des toten Nachbarn geschuldet, der einsam rauchend auf dem
       Gang steht. Eine Entschuldigung bei der Kollegin, ein Rückruf beim Vater,
       eine Auszeit vom Job – der Anfang ist gemacht (5. 12.,19.30 Uhr, [8][Delphi
       Lux], 7. 12., 20 Uhr, [9][Kino in der Kulturbrauere]i).
       
       3 Dec 2021
       
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   DIR [7] https://14films.de/
   DIR [8] https://yorck.de/kinos/delphi-lux
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