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       # taz.de -- Krimineller Holzhandel in Belarus: Staatsmacht gegen Rentnerinnen
       
       > Staatliche Stellen haben offenbar illegal die Fällung uralter Eichen
       > veranlasst. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge
       > 113.
       
   IMG Bild: Von den Eichen in Ochowo blieb zum Schluss nur noch trockenes Laub übrig
       
       Diese Geschichte hat bereits im letzten Frühjahr begonnen. In der
       Kleinstadt Ochowo im Bezirk Pinsk gibt es einen Friedhof. Er ist von Eichen
       umgeben, die fast dreihundert Jahre alt sind.
       
       Im September gab es in Ochowo eine öffentliche Anhörung, bei der es um die
       Frage ging, ob man einige der alten Bäume am Friedhof entfernen solle. Der
       Appell dazu richtete sich vor allem an diejenigen Einwohner, deren
       Angehörige hier bestattet sind. Im Verlauf der Anhörung stimmten 29
       Menschen dafür, dass die alten Bäume, die theoretisch die teuren Grabsteine
       beschädigen könnten, gefällt würden. Neun Menschen sprachen sich gegen die
       Beseitigung der Bäume aus, die ihrer Meinung nach sowohl von historischer
       Bedeutung als auch Naturdenkmäler seien.
       
       Das regionale Exekutivkomitee des Bezirks Pinsk hatte jedoch bereits im
       Frühling den Einwohnern von Ochowo erklärt, dass die Fällarbeiten an den
       Eichen nicht durchgeführt würden, weil Botaniker von der Akademie der
       Wissenschaften diese Bäume zu Forschungszwecken hatten nutzen wollen. Nach
       deren Gutachten seien alle Bäume auf dem Friedhof kräftig und gesund. Und
       daher gebe es keinerlei biologische Notwendigkeit, sie zu fällen.
       
       Anfang Dezember überlegten sich die lokalen Behörden allerdings plötzlich,
       dass die jahrhundertealten Eichen einer geplanten Stromleitung im Wege
       seien. Zu diesem Ergebnis sei man im lokalen Forst- und Architekturbüro
       gekommen. Und darum wurden die Bäume gefällt.
       
       ## Scheinbar wollte jemand Geld aus den Bäumen machen
       
       Interessanterweise berichteten Anwohner, vor deren Augen die Fällarbeiten
       auf dem Friedhof durchgeführt wurden, dass es dabei nicht um den
       Rückschnitt einzelner Äste, die die Stromleitung behinderten, ging, sondern
       um die saubere Abholzung der ganzen Bäume. Zuerst wurden den Eichen alle
       Äste und Zweige abgeschnitten, es blieben nur die Stämme übrig. Dann wurde
       auch die abgesägt.
       
       Auf diese Weise fällt man eigentlich besonders wertvolle Bäume und nicht
       solche, die einfach als Brennholz genutzt werden sollen. Über den Zustand
       einer bereits abgeschlagenen Eiche kann man sich auf Fotos informieren, die
       die Menschen aus Ochowo gemacht haben. Darauf sieht man, dass der Baum
       gesund und kräftig gewesen war. Man erkennt weder Fäulnis noch
       Parasitenbefall. Sogar in Belarus haben solche Bäume einen hohen Wert, gar
       nicht zu reden von ihrem Preis auf dem Weltmarkt. Es scheint, als ob jemand
       darin wertvolles Material erkannt habe, dass er selber haben wollte.
       
       Interessant auch, dass die Arbeit an den angeblich gefährlichen Bäumen
       ausgerechnet im Dezember begann, als es nicht möglich war, weitere
       Untersuchungen durchzuführen und den Zustand der Eichen näher spezifizieren
       zu können. Experten führen solche Untersuchungen nur in der
       Vegetationsperiode durch.
       
       Nach der Fällung des ersten Baumes [1][versammelten sich die Rentnerinnen
       des Ortes am Eingangstor des Friedhofes und erklärten, dass sie keine
       Arbeiter auf das Gelände lassen würden]. Sie wandten sich mit der Bitte um
       Unterstützung auch telefonisch an die Lukaschenko-Regierung. Dann ließen
       sich die Pensionärinnen direkt an den Bäumen nieder.
       
       Zur Klärung der Situation schickte die lokale Verwaltung OMON-Männer
       (Sondereinheit der Polizei, die v.a. gegen Demonstrierende eingesetzt wird;
       Anmerkung der Redaktion) nach Ochowo. Das ist also offenbar der ganz
       spezielle Zweck dieser Sonderabteilung der Miliz – gegen Babuschkas
       vorgehen. Der Leiter des Kreiskulturhauses, Alexander Demtschuk, der wohl
       auf einen der Bäume geklettert war, wurde festgenommen. Zuvor hatte er sich
       bereits an alle möglichen Instanzen gewandt, inklusive des Botanischen
       Instituts der Nationalen Akademie der Wissenschaften von Belarus und sogar
       an die Regierung von Lukaschenko, hatte sich bemüht, [2][Aufmerksamkeit für
       die Bäume zu bekommen, die nach Meinung der Menschen aus Ochowo wert waren,
       als Naturdenkmäler anerkannt zu werden].
       
       Jetzt sind von den Eichen nur noch die Baumstümpfe übrig, Demtschuk wurde
       zu 15 Tagen Haft verurteilt und die Einwohner von Ochowo merken, dass sie
       sich an die Bäume wie an ihre verstorbenen Verwandten erinnern, die im
       Leben viel gesehen haben.
       
       Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey]
       
       15 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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