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       # taz.de -- Gefälschte Impfnachweise: Über 11.000 Fälle von Betrug
       
       > Eine taz-Umfrage zeigt: In allen Bundesländern ermittelt die Polizei
       > gegen Impfpassfälscher. Die Dunkelziffer dürfte aber hoch sein.
       
   IMG Bild: Impfnachweis bitte. In einer Straßenbahn in Schwerin wird der Impfstatus der Reisenden geprüft
       
       Berlin taz | Das Angebot auf Telegram erfolgt unverhohlen. Man biete einen
       Impfausweis an, „ohne Ihnen diesen tödlichen Stoff verabreichen zu lassen“,
       angeblich ausgestellt von Fachärzten: für 150 Euro, zu zahlen in einer
       Kryptowährung.
       
       Dazu erfolgt noch etwas Angstmache, gezeigt werden Fotos von
       Hautausschlägen, angeblich Folgen von Impfungen. Dazu erfolgt die haltlose
       Warnung, dass die Impfungen „im schlimmsten Fall zu einem qualvollen Tod“
       führten.
       
       Versteckt ist dieses Angebot nicht: Es ist offen [1][auf Telegram] zu
       finden, der Kanal hat stattliche 73.000 Abonnent:innen. Und er ist längst
       kein Einzelfall. Auch auf weiteren Social-Media-Kanälen kursieren solche
       Angebote. Der Eindruck: Je mehr Bund und Länder [2][die Schutzmaßnahmen
       gegen das Coronavirus] verschärfen und mit 2G-Regeln den Zugang zu
       Einkaufszentren, Restaurants oder Sportstätten nur noch Geimpften und
       Genesenen erlauben, desto mehr scheinen auch gefälschte Impfpässe zu
       kursieren.
       
       In den Sicherheitsbehörden wird das Problem inzwischen erkannt. Von einem
       sprunghaften Anstieg der Fälle in jüngster Zeit ist dort die Rede. Das
       lässt sich auch an Zahlen ablesen. Nach einer taz-Umfrage in allen
       Landeskriminalämtern werden dort inzwischen mehr als 11.000 Fälle zu
       gefälschten Impfausweisen gezählt – wobei einige Fälle gleich eine Vielzahl
       an Fälschungen betreffen.
       
       ## Wachsamer Vermieter
       
       So fand die Polizei erst kürzlich bei einem 41-jährigen Nürnberger 400
       gefälschte Impfausweise mitsamt Stempeln von Arztpraxen und mehreren
       Tausend Chargenaufklebern. In Memmingen wurden bei einem 36-Jährigen 500
       Blanko-Impfpässe entdeckt, auch hier mit gefälschten Stempeln von
       Impfzentren. Der Mann war als Reichsbürger bekannt.
       
       In Kassel beschlagnahmte die Polizei in einem Gastronomiebetrieb eines
       47-Jährigen gleich 800 Impfausweise – erwischt wurde dieser durch seinen
       Vermieter, der beim Stromablesen auf die Stapel gestoßen war. Und im
       Saarland fanden Ermittler gar bei einer Polizistin Blanko-Impfpässe, sie
       soll diese mit ihrem Lebensgefährten verkauft haben.
       
       Die Liste ließe sich fortsetzen. So ermittelt laut der taz-Umfrage allein
       das LKA Bayern seit Jahresbeginn in 3.070 Fällen zu gefälschten Impfpässen
       – Anfang September waren es erst 110 Fälle. Auch in Nordrhein-Westfalen
       werden 2.495 Fälle gezählt, knapp die Hälfte davon seit Ende November. In
       Berlin sind es 1.028 Fälle, in Hessen und Baden-Württemberg eine Zahl im
       „unteren vierstelligen Bereich“, in Rheinland-Pfalz 727 Fälle, in Hamburg
       720. Und selbst im kleinen Schleswig-Holstein wird zu 550 Fällen ermittelt
       – zwei Drittel davon fielen in den letzten vier Wochen an.
       
       Gleichzeitig ist allen LKAs klar, dass von „einem großen Dunkelfeld“
       ausgegangen werden muss. So wurden in Sachsen, dem Land mit der höchsten
       Impfverweigererquote, nur 126 Fälle von gefälschten Impfpässen entdeckt.
       Gerade hier dürfte die Zahl weit höher liegen. Man gehe jedem Hinweis nach
       und ermittle „konsequent bei jedem Verdachtsfall“, versichert dagegen das
       sächsische LKA. Andreas Stenger, Präsident des LKA Baden-Württemberg,
       betont: „Die geltenden Beschränkungen für Nichtgeimpfte derart zu umgehen,
       bringt andere Menschen in Gefahr. Das ist unverantwortlich und nicht
       hinnehmbar.“
       
       ## Leicht zu fälschen
       
       Die Palette der Angebote ist jedoch vielfältig. So verweist das Berliner
       LKA darauf, dass die Fälschungen nicht nur bei Telegram, sondern auch bei
       Whatsapp oder ebay-Kleinanzeigen zum Kauf angeboten würden, zu Preisen
       zwischen 50 und 350 Euro. Wobei digitale Nachweise teurer seien als die
       gelben Papier-Impfbücher.
       
       Auch in einem internen Lagebild des Bundesinnenministeriums wird davon
       ausgegangen, dass sich die Nachfrage nach gefälschten Impfpässen aufgrund
       der verschärften Infektionsschutzmaßnahmen „auf einem höheren Niveau
       einpegeln“ werde. Zudem wird eingeräumt, dass die Ausweise „leicht zu
       fälschen“ seien, da sie „keine Sicherheitsmerkmale“ enthielten.
       Problematisch seien auch „fehlende Prüfansätze“, um bei der Erstellung
       digitaler Impfzertifikate, zumeist in Apotheken, Fälschungen zu entdecken.
       
       Tatsächlich ist es nicht sonderlich kompliziert, Impfausweise zu fälschen.
       Blanko-Impfpässe lassen sich für wenige Euro frei kaufen.
       Sicherheitsmerkmale wie Wasserzeichen fehlen – sie waren bisher schlicht
       nicht nötig. Und die Chargenaufkleber der Impfstoffe sowie Stempel der
       Arztpraxen und Impfzentren werden von den Kriminellen nachgemacht.
       
       Die Folgen können indes fatal ein: Nutzer:innen der gefälschten
       Impfpässe unterlaufen den Infektionsschutz, können im Krankheitsfall andere
       anstecken oder als vermeintliche [3][Impfdurchbrüche] mit schweren
       Verläufen im Krankenhaus landen.
       
       ## Bis zu fünf Jahre Haft
       
       Die Politik erkannte das Problem spät. Lange war die Nutzung gefälschter
       Impfpässe straffrei, erst seit Ende November ist das vorbei: Nun drohen
       eine Geldstrafe oder bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe für diejenigen, die
       solche Ausweise etwa in einer Apotheke vorlegen. Für einen „gewerbsmäßigen“
       Handel kann es gar bis zu fünf Jahre Haft geben. Viele Landeskriminalämter
       veröffentlichten zuletzt Warnkampagnen mit Hinweisen auf diese Strafen.
       
       Dafür müssen die Fälschungen aber erst einmal auffliegen. Sind es nicht
       Zufallsfunde bei Polizeikontrollen, fallen diese meist in Apotheken auf, wo
       mit den Papier-Impfpässen digitale Nachweise erworben werden können. Die
       Polizei sprach deshalb bereits vor Wochen Apothekerverbände an und
       sensibilisierte für das Thema.
       
       Auch der Deutsche Apothekerverband (DAV) spricht von einer Häufung der
       Vorfälle und will dagegen vorgehen. „Wer Impfpässe fälscht oder einen
       gefälschten Impfpass nutzt, gefährdet nicht nur seine eigene Gesundheit,
       sondern bringt auch Verwandte, Freunde, Nachbarn und Kollegen in Gefahr“,
       betont der DAV-Vorsitzende Thomas Dittrich. „Das ist kein Kavaliersdelikt,
       sondern eine Straftat und bremst die Gesellschaft im Kampf gegen die
       Pandemie.“
       
       Seit einer Woche erhalten die Apotheker:innen nun Hilfe vom
       Paul-Ehrlich-Institut, das die Impfstoffe für Impfzentren und Arztpraxen
       freigibt. Bei der Ausstellung digitaler Impfausweise können sie über einen
       Zertifikatsserver prüfen, ob die im Impfpass genannte Chargennummer
       tatsächlich ausgegeben und in besagtem Zeitraum verimpft wurde.
       
       ## Polizei fahndet nicht allein
       
       Auch die Polizei kann inzwischen auf der internen Plattform Extrapol
       Chargennummern auf Echtheit prüfen. Inzwischen seien Polizeikräfte
       „speziell ausgebildet, um Fälschungen zu erkennen“, betont das LKA Bayern.
       Im Saarland werden die Fälschungsfälle inzwischen zentral in einem Dezernat
       ermittelt. Die Polizeien hoffen auch durch die verstärkten Kontrollen der
       Coronazugangsregeln das Dunkelfeld „aufzuhellen“.
       
       Zudem warnen sie Impfpassinhaber:innen davor, auf sozialen Netzwerken
       ihre Impfdokumentationen zu posten, da Fälscher die abgebildeten
       Chargennummern und Impfstempel nutzen könnten. Schon heute kämen einige
       Anzeigen auf die Fälschungen aus der Bevölkerung selbst, heißt es in den
       Kriminalämtern. „Aufmerksame Bürgerinnen und Bürger und konsequente
       Kontrollen in allen Lebensbereichen sind zur Eindämmung des Phänomens
       unverzichtbar“, vermerkt Schleswig-Holstein.
       
       Auf Telegram und anderswo geht der Fälscherhandel dagegen vorerst weiter.
       Der Verkaufskanal der vermeintlichen Fachärzte auf Telegram will laut
       eigener Auskunft monatlich bis zu 1.500 Impfausweise verkaufen – überprüfen
       lässt sich das nicht. Wegen der „hohen Nachfrage“ müsse man demnächst pro
       Stück 250 Euro verlangen, wird dort behauptet. Geraten wird auch zu
       „Sammelbestellungen“.
       
       Gelingt es der Polizei, die Macher hinter solchen Kanälen zu
       identifizieren, kann das inzwischen jedoch ernstere Folgen für diese haben.
       So blieb es bei den mutmaßlichen Großfälschern in Memmingen und Nürnberg
       zuletzt nicht bei Hausdurchsuchungen: Beide Männer wurden in
       Untersuchungshaft genommen.
       
       26 Dec 2021
       
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