URI: 
       # taz.de -- Carlsen vor Schach-WM-Titelverteidigung: Verpatzter Bauernraub
       
       > Titelverteidiger Magnus Carlsen hat nach zwei Siegen beste Chancen auf
       > den Schach-WM-Titel. Jan Nepomnjaschtschi muss ins Risiko gehen.
       
   IMG Bild: Ermüdend: Fast acht Stunden duellierten sich Carlsen (r.) und Nepomnjaschtschi in der 6. Runde
       
       „Mein erster Sieg veränderte die Match-Dynamik. Ohne diesen hätte ich heute
       nicht gewonnen“, zeigt sich Magnus Carlsen überzeugt. Durch die Erfolge in
       der sechsten und achten Partie der Schach-WM in Dubai zog der Norweger
       gegen Jan Nepomnjaschtschi mit 5:3 in Front. Für den Weltranglistenfünften
       aus Russland wird es nun schwer, den 30-jährigen Weltmeister zu entthronen.
       „Meine Chancen auf die Titelverteidigung sind nun sehr gut“, gibt sich
       Carlsen zuversichtlich.
       
       Zwar galt Nepomnjaschtschi zu Beginn des mit zwei Millionen Dollar
       dotierten Duells als Angstgegner des sonst so überlegenen
       Weltranglistenersten. [1][Doch seine bisher so grandiose Bilanz] von 4:1
       Siegen in klassischen Turnierpartien gegen Carlsen schrumpfte auf 4:3
       zusammen. Und den Skandinavier in den verbleibenden maximal sechs Partien
       dreimal zu schlagen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit. Schließlich hatte
       der Weltmeister bis 2020 über 26 Monate lang in 125 Partien gegen
       Weltklasse-Großmeister keine Niederlage kassiert. Nun müsste ihn
       Nepomnjaschtschi ab heute (Dienstag) binnen neun Tagen dreimal bezwingen.
       
       Die Ungarin Judit Polgar, die beste Spielerin der Schach-Historie, und der
       Niederländer Anish Giri, seines Zeichens Weltranglistensiebter, glauben
       eher an ein vorzeitiges Ende des Zweikampfs: „,Nepo muss nun das Risiko
       erhöhen. So bestehen Chancen, dass die 14. Partie nicht gespielt wird“,
       traut das versierte Kommentatoren-Duo Carlsen eher zu, vorzeitig die
       nötigen 7,5 Punkte zu sammeln und die Siegprämie von 1,2 Millionen Dollar
       einzustreichen.
       
       Die russischen WM-Träume wären jäh zerbrochen, als Nepomnjaschtschi in
       Runde sechs die längste Partie der 135-jährigen WM-Historie verlor. In der
       fast achtstündigen Nervenschlacht rang Carlsen den Herausforderer in 136
       Züge nieder. Zwölf Züge mehr als in dem epischen Duell von Viktor
       Kortschnoi, der 1978 in Baguio City auf den Philippinen [2][Weltmeister
       Anatoli Karpow] im 124. Zug patt gesetzt hatte. Dass in Dubai das
       Unentschieden in Partie sieben keine neue Serie von 22 Remis bei der WM in
       Folge einläutete, verhinderte „Nepo“ am Sonntag mit dem „vielleicht
       schlimmsten Patzer“ seiner Karriere.
       
       ## Zu müde für scharfen Kampf
       
       Im neunten Zug überraschte der Russe den Gegner mit einem Bauernvorstoß
       nach h5. Carlsen war auf der Hut. Nach 40 Minuten entschied er sich trotz
       der weißen Steine für ein harmloses Damen-Schach, was den Tausch der
       stärksten Figur auf dem Brett anbot. „Hätte ich das gemacht, wäre es
       schnell zu einem Remis gekommen“, fühlte sich „Nepo“ durch den Rückstand in
       Zugzwang.
       
       Der Friedensschluss wäre ganz im Sinne des Titelverteidigers gewesen. „Ich
       war müde und dachte mir: Mal sehen, ob ich einen winzigen Vorteil erlange.
       Ansonsten kann ich ein Remis machen. Mein Kopf fühlte sich ausgebrannt an.
       Deshalb befand ich, dass ein scharfer Kampf nicht in meinem Sinne ist“,
       erzählte Carlsen nach der dritten Partie in drei Tagen.
       
       Schwarz verzichtete auf den Damentausch, zog den König und gab das
       Rochade-Recht damit auf. Das war noch kein größerer Schaden. Doch als
       Nepomnjaschtschi den weißen Läufer im 21. Zug mit einem Bauernzug angriff,
       stand seine Majestät auf dem Feld f8 so unglücklich, dass sie ein
       Damen-Schach auf a3 zuließ, das einen Bauern eroberte. „Ich hatte bei dem
       Bauernraub nicht beachtet, dass auch mein Läufer auf d7 hängt“, gestand der
       Unterlegene.
       
       Der 31-Jährige verzog das Gesicht nach dem Patzer, verließ die Bühne und
       versuchte sich im Ruheraum wieder zu fassen. Das misslang. Bald schüttelte
       er resignierend in einem hoffnungslosen Damen-Endspiel den Kopf und ließ
       ihn ermattet auf seine Hände sinken. Nepomnjaschtschi glaubt dennoch
       trotzig an seine Chance. „Jetzt muss ich eben zwei statt einer Partie
       gewinnen“, hofft der Russe wenigstens auf eine Schnellschach-Verlängerung.
       
       6 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Heikles-Duell-bei-Schach-WM/!5813834
   DIR [2] /Wahl-zum-obersten-Schachhueter/!5134987
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hartmut Metz
       
       ## TAGS
       
   DIR Schach-WM
   DIR Magnus Carlsen
   DIR Norwegen
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schach
   DIR Schach-WM
   DIR Schach-WM
   DIR Schach
   DIR Kolumne Erste Frauen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Russische Schachspieler gegen Krieg: Schwärzester Donnerstag
       
       Einige russische Schachgroßmeister wenden sich gegen den Krieg in der
       Ukraine. Die Olympiade in Moskau sagt der Weltverband ab.
       
   DIR Nationalismus im Schachsport: Gelassener Verräter
       
       Der Russe Daniil Dubow hat den Norweger Magnus Carlsen auf die Schach-WM
       vorbereitet. Nach dessen Sieg steht er in seiner Heimat in der Kritik.
       
   DIR Schach-WM in Dubai: Nerven gegen Nerven
       
       Weltmeister Magnus Carlsen verteidigt seinen Titel gegen Jan
       Nepomnjaschtschi vorzeitig. Der Herausforderer scheitert an eigenen
       Patzern.
       
   DIR Heikles Duell bei Schach-WM: Gegen den Helfer
       
       Bei der Schach-WM trifft Favorit Magnus Carlsen auf einen unberechenbaren
       Gegner. Remis-Schlachten sind gegen Jan Nepomnjaschtschi nicht zu erwarten.
       
   DIR Schachspielerin Pähtz im Männerzirkel: Großmeisterin wird Großmeister
       
       Elisabeth Pähtz darf sich als erste deutsche Frau Schachgroßmeister nennen.
       Weltweit haben das nur 40 Frauen geschafft.
       
   DIR Die erste Schachweltmeisterin: Meisterin im stillen Spiel
       
       Die siebenmalige russische Schachweltmeisterin Vera Menchik siegte auch
       gegen den Spott der Männer. Talent hatte sie noch für vieles andere.