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       # taz.de -- Hoher Krankenstand unter Lehrer*innen: Ich, die unbezahlte Lehrkraft
       
       > Bei meiner Tochter fällt ständig der Unterricht aus und ich muss
       > übernehmen. Warum mich das nervt? Weil ich Entgeltfortzahlungsneid habe.
       
   IMG Bild: Wie wäre es, mal den Unterricht der Lehrer*innen bewerten zu lassen? So könnte es aussehen
       
       Neulich wurde bei einer Elternratssitzung stolz verkündet, dass an der
       Schule unserer Tochter der Unterrichtsausfall nur bei einem bis vier
       Prozent liegt. Dazu muss man wissen, dass in der Statistik nur Stunden
       erfasst werden, in denen die Kinder tatsächlich nach Hause geschickt
       wurden. Solange irgendjemand vorne am Pult sitzt, ist das
       Vertretungsunterricht.
       
       Wenn es richtig gut läuft, spielen die Vertretungen etwas mit den Kindern
       und alle haben Spaß. Im zweitbesten Fall arbeiten die Kinder selbstständig
       einen festgelegten Arbeitsplan der kranken Mathelehrerin ab – theoretisch
       wenigstens. Praktisch wäre meine Tochter bei dem in der Klasse herrschenden
       Chaos dazu nicht in der Lage, selbst wenn sie wollte.
       
       Zuhause kann ich dann nach drei Wochen ohne Mathestunden – die aber nicht
       ausgefallen sind – im Arbeitsplan mal gegenchecken, wie realistisch die
       Aussage „in Mathe muss ich nix machen“ eigentlich ist. Ich sehe: Bei allen
       Aufgaben stehen Ergebnisse, allerdings ohne Rechenweg. Das könnte daran
       liegen, dass die Kinder ein Lösungsheft bekommen haben, damit sie – nachdem
       sie sich allein in ein Thema eingearbeitet und alle Aufgaben gelöst haben,
       auch noch die Ergebnisse eigenständig kontrollieren können. Höhöhö!
       
       Solange ich nichts davon weiß, ist es mir fast egal, ob meine Tochter die
       unendlich vielen Übungsaufgaben zur Bruchrechnung macht oder nicht. Aber
       mir ist es nicht egal, wenn ihr vorher gar keiner beigebracht hat, wie man
       Brüche überhaupt teilt. Da überkommt mich sofort mein Homeschooling-Trauma,
       wenn wir wieder auf YouTube Lehrer Schmidt glotzen und versuchen den Kack
       ohne Schule zu kapieren.
       
       ## Noten gibt's immer, auch ohne Unterricht
       
       Eines ist nämlich sicher: Egal wie viel und welche Art Unterricht
       stattfindet, zur nächsten Klassenarbeit muss das Pensum geschafft sein und
       es gibt eine Note – für die Kinder wenigstens. Die Leistungen der
       Lehrpersonen werden nicht beurteilt. Wenn sie krank sind, müssen sie auch
       nicht nacharbeiten.
       
       Warum sind die überhaupt so oft krank? Was läuft da falsch? Und warum bin
       ich so ein schlechter Mensch und habe kein Mitgefühl, sondern bin genervt?
       Ich kenne die Antwort: Weil ich Entgeltfortzahlungsneid habe! Als
       Freiberuflerin habe ich so was nämlich an keinem einzigen Tag in meinem
       Leben bekommen, aber ich habe schon so manchen Tag hier Zuhause Schule
       gemacht – auch ohne Corona und wenn ich selber krank war.
       
       Alle Jahre wieder hört man aus der FDP den Vorschlag, Lehrer nach Leistung
       zu bezahlen. Das ist so populistisch, dass man sich keine Sorgen darüber
       machen muss, dass unsere neue [1][FDP-Bildungsministerin] versuchen wird,
       das umzusetzen. Okay, wer freiwillig in Brennpunktschulen arbeitet oder als
       Vertretung tatsächlich Unterricht macht, könnte einen Bonus bekommen. Aber
       sonst? Wie will man bitte die Leistung von Lehrenden messen? Über die
       Zensuren der Kinder? Oder fragt man vielleicht mal die Zufriedenheit der
       Kinder selber ab?
       
       Da hätte ich gleich eine Idee für die praktische Umsetzung: Man könnte –
       wie auf Flughafentoiletten – einen Touchscreen neben der Tür anbringen.
       Darauf sind drei Emojis: Ein grüner Smiley, ein gelber Neutrali und ein
       roter Schmolli. Nach jeder Stunde, geben die Kinder im Hinausgehen ihr
       Voting ab – und ihre Magendarm-Erreger.
       
       ## Die Verbeamtung der Eltern nicht vergessen
       
       Oder die Kinder bekommen eine App aufs Handy: „Wie zufrieden warst Du heute
       mit der Freundlichkeit Deines Lehrers? Tippe sechs für völlig zufrieden,
       tippe eins für völlig unzufrieden.“ Oder nur zwei Buttons: Daumen oder
       Mittelfinger hoch. Damit wäre Schule wieder ein Stück digitaler und voll am
       Zeitgeist! Die Lehrkräfte könnten am Ende jeder Stunde grinsend rufen: „Und
       vergesst nicht, wenn es Euch gefallen hat, abonniert mein Fach und Daumen
       hoch!“
       
       Zum Glück gibt es genug gute und motivierte Lehrerinnen und Lehrer, von
       denen oft auch welche gesund sind. Die haben dann sogar die wichtigen
       Themen des sozialen Miteinanders auf dem Zettel. Ich frage mich, ob DAS
       eigentlich Leistungen wären, für die sie von der FDP mehr Geld bekämen.
       
       Und sollte es wieder zum Homeschooling kommen, dann bitte die Verbeamtung
       der Eltern diesmal nicht vergessen – oder einfach uns nach Leistung
       bezahlen, ginge auch.
       
       25 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neues-Regierungskabinett/!5817923
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Birte Müller
       
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