# taz.de -- Wahl zum „Sportler des Jahres“: Der Code von Baden-Baden
> Tennisprofi Alexander Zverev ist Deutschlands „Sportler des Jahres“ 2021.
> Über eine Auszeichnung, die einige Fragen aufwirft.
IMG Bild: „Wir haben eine Suite, die ist größer als meine Wohnung zuhause“: Alexander Zverev am Sonntag
Deutschland ist eine Nation der Schwimmer, Leichtathleten und Radfahrer.
Wer es in diesen Sportarten an die Spitze schafft, wird von den hiesigen
Sportjournalisten gern mal zum Sportler des Jahres gewählt – oder eben zur
Sportlerin. Das war über Jahrzehnte im Osten so, und im Westen sehen wir
ein ähnliches Bild, wobei die Spanne der prämierten Sportarten in der
Bundesrepublik deutlich breiter war als bei [1][Manfred „Ich war der Sport“
Ewald], Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR.
Die Zonis liebten ihren Gustav Adolf „Täve“ Schur, Roland Matthes und
Waldemar Cierpinski, die Wessis Michael Groß, Klaus Wolfermann und Ulrike
Meyfarth. Im Kurhaus von Baden-Baden, wo sich die Prämierten jedes Jahr
kurz vor Weihnachten in Abendkleider und Anzüge zwängen, gehört es zum
guten Ton, Olympiasportler auf die Bühne zu schicken, am besten noch
solche, die trotz ihrer famosen Leistungen weit weniger verdienen als ein
Rechtsanwalt oder ein Bundestagsabgeordneter. Das Motto der
Ein-Herz-für-Randsportler-Gala: Die Superprofis stehen oft genug im
Rampenlicht, jetzt sind mal die armen Olympioniken dran.
## Ermittlungen wegen häuslicher Gewalt
Jedes Mal, wenn ein wohl situierter Profisportler auf Platz eins der
sogenannten Expertenwahl landet, empören sich die Kollegen der Juroren
(oder die Juroren selbst) über die Wahl eines Boris Becker oder Michael
Schumacher. Die Formel 1 auf Platz 1, in Baden-Baden? Das geht gar nicht.
Und dann kommt der Schumi nicht mal zur ZDF-Party, sondern lässt sich nur
zuschalten aus seiner Villa am Genfer See? Ja, hat es dieser Schnösel denn
nicht nötig, persönlich zu erscheinen? Dem zeigen wir’s aber im nächsten
Jahr.
Lang ist’s her, und heuer haben die lieben Kollegen Alexander Zverev zum
Sportler des Jahres gewählt. Das ist in zweifacher Hinsicht ein Grenzfall:
Gegen ihn ermittelt die Tennisvereinigung ATP ja immer noch wegen des
Verdachts der häuslichen Gewalt. Haben die lieben Kollegen nähere
Informationen, dass die Ermittlungen ins Leere laufen? Befürchten sie nicht
einen Imageschaden, falls ihr Liebling schuldig gesprochen werden sollte?
Und dann ist dieser Alexander Zverev ein Tennisprofi, der im vergangenen
Jahr 1,64 Millionen Dollar an Preisgeld und eine um ein Vielfaches höhere
Summe als Werbefigur – 2019 waren es laut Forbes 11,8 Millionen Dollar –
eingestrichen hat. Alexander Zverev hat jetzt wenigstens nicht den
Schumi-Fehler von 2005 gemacht. Der Tennis-Olympiasieger ist leibhaftig im
Beisein seiner Freundin Sophia Thomalla erschienen, hat sich neben Siegerin
Malaika Mihambo gestellt, die [2][nach ihrem Audi-Werbedeal] auch keine
ganz Arme mehr sein dürfte – sowie neben die Frauen des Bahnradvierers. Wie
die heißen? Ja, äh, ich muss auch noch mal nachschauen. Also: Lisa
Brennauer, Lisa Klein, Franziska Brauße und Mieke Kröger rasten in Japan
von Bestmarke zu Bestmarke.
Das Quartett muss schon ganz schön strampeln, die Weltrekordlerinnen von
Tokio, wenn sie auch nur in die Nähe von Zverev kommen wollen, so
verdienstmäßig. Und vielleicht hat diese unschöne Diskrepanz den
Tennisprofi zu einer Geste der Demut veranlasst. Er hoffe, dass viele
Sportarten, die Leichtathletik oder der Radsport, bald ein bisschen
aufholten, was das Finanzielle angehe: „Sie verdienen es genauso sehr wie
wir“, sagte der Tennisprofi unter dem sicherlich anerkennenden Nicken der
Umstehenden.
Verdient haben es so viele. Wenn es danach ginge, wäre die Ampelkoalition
pausenlos damit beschäftigt, Transfergelder zu den Aschenbrödeln der
Gesellschaft zu schieben. Der Sport funktioniert aber nach den harten
Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie. Wer da zu kurz kommt, kann es im Casino
von Baden-Baden versuchen. Das liegt – rien ne va plus – gleich neben dem
Ballsaal. Und wer Minus machen sollte, kann sich trösten: Das ging
Turgenjew, Puschkin und Dostojewski auch nicht anders.
20 Dec 2021
## LINKS
DIR [1] https://www.bisp-surf.de/Record/PU201301000434
DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=XFGUKlpmaLM
## AUTOREN
DIR Markus Völker
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