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       # taz.de -- Edeka und Primark kürzen Weihnachtsgeld: Nachträgliche Strafe für Streikende
       
       > Edeka und Primark haben Mitarbeiter*innen, die im Sommer gestreikt haben,
       > das Weihnachtsgeld gekürzt. Rechtlich ist das möglich.
       
   IMG Bild: Weniger Weihnachtsshopping für Verkäufer*innen: Primark und Edeka knausern
       
       Hannover taz | Böse Überraschung zum Jahresende: Bis zu 300 Euro
       Weihnachtsgeld weniger stehen bei einzelnen Mitarbeiter*innen der
       Edeka Minden-Hannover und von Primark in Niedersachsen auf der Abrechnung.
       
       Der Grund: Sie haben [1][im Sommer für höhere Löhne gestreikt]. Die
       Gewerkschaft Ver.di ist empört: „Wegen der Pandemie haben sich die
       Kolleg*innen in der Tarifrunde sogar zurückgehalten und unter anderem auf
       Großkundgebungen verzichtet“, schreibt Sabine Gatz, die als
       ver.di-Landesfachbereichsleiterin Handel in Niedersachsen und Bremen die
       Tarifverhandlungen geführt hat, in einer Pressemitteilung.
       
       Hunderttausende Beschäftigte im Einzelhandel profitierten von der
       Tariferhöhung. „Die vergleichsweise kleine Gruppe Streikender hat diesen
       Tarifabschluss erst möglich gemacht und wird jetzt für ihren Einsatz
       abgestraft“, so die Gewerkschafterin. „Wir fordern die Unternehmen auf,
       diese Strafmaßnahme umgehend rückgängig zu machen.“
       
       Edeka interpretiert das Ganze anders: „Wir haben einen Tarifvertrag
       geschlossen, der besagt, dass Weihnachtsgeld nur für jeden vollen Monat der
       Beschäftigung gezahlt wird (ein Zwölftel pro Monat). Streiktage gelten
       ebenso wie beispielsweise eine Auszeit oder andere unbezahlte Fehltage
       nicht als Arbeitszeit. Somit erlischt für diesen Monat auch der Anspruch
       auf das (anteilige) Weihnachtsgeld“, schreibt eine Unternehmenssprecherin
       auf taz-Anfrage. Primark äußert sich ähnlich.
       
       ## Diese Regelung gibt es nur in Niedersachsen
       
       Nun lagen die Streiktage in diesem konkreten Fall nicht alle in einem
       Monat. Die Tarifverhandlungen zogen sich von Mai bis Oktober, im Juni,
       Juli, September und Oktober hat die Gewerkschaft jeweils zu einzelnen
       Warnstreiktagen aufgerufen. Im Extremfall bekommen aktive Mitglieder also
       für vier Streiktage vier Monatsanteile abgezogen. Die
       Edeka-Unternehmenssprecherin schreibt, sie gehe selbstverständlich davon
       aus, dass diese Abzüge, wie auch die Bezahlung an den Streiktagen selbst,
       von der Gewerkschaft kompensiert wird.
       
       In der Tat hat Ver.di es möglicherweise versäumt, solche Fälle klarer zu
       regeln. Von einer „Formulierungslücke im Tarifvertragstext“ spricht die
       Gewerkschaft in ihrer Pressemitteilung. Eigentlich sollte die Kürzung des
       Weihnachtsgeldes nur bei längeren Abwesenheiten wie unbezahltem Urlaub oder
       Langzeiterkrankungen angewandt werden.
       
       Rechtlich lässt sich das auf Streiktage übertragen, dazu gibt es
       einschlägige Gerichtsurteile – wenn man das nicht eindeutig und
       ausdrücklich ausschließt. Mündlich sei das damals bei der Einführung der
       Regelung auch vereinbart, aber dann nicht schriftlich fixiert worden, so
       Ver.di-Sprecherin Gatz. Entstanden ist die Regelung schon in den
       80er-Jahren, zu tatsächlichen Kürzungen kam es aber erst in den 90ern –
       damals durch Real und Karstadt, die beide heute nicht mehr existieren.
       
       Die Regelung in dieser Form gibt es der Gewerkschaft zufolge nur im
       Einzelhandel in Niedersachsen. Man habe mehrfach versucht, sie neu zu
       verhandeln, sei aber an der Arbeitgeberseite gescheitert, sagt Gatz. Aber
       auch in Niedersachsen wird sie nicht von allen gleichermaßen angewandt:
       Rewe, Kaufland, Netto und H&M sollen darauf verzichtet haben, zumindest
       dieses Mal und soweit es bisher bekannt ist.
       
       ## Andere Arbeitgeber sind großzügiger
       
       Immerhin gilt der Handel ja auch als einer der Arbeitsbereiche, die in
       dieser Pandemie [2][am Ärgsten gebeutelt wurden]: Ständig wechselnde
       Zugangsvorschriften und Hygienekonzepte, Lieferengpässe, aggressive und
       verängstigte Kunden – all das musste in erster Linie von den Beschäftigten
       zwischen Warenregalen und Supermarktkassen aufgefangen und ausgehalten
       werden. Viele Unternehmen – auch Edeka – haben deshalb Corona-Boni an ihre
       Mitarbeiter*innen verteilt.
       
       Auch deshalb ist die Gewerkschaft verwundert über die Hartleibigkeit in
       diesem Punkt. Immerhin hat der Lebensmitteleinzelhandel ja sogar
       zusätzliche Gewinne eingefahren – anders als etwa die Modegeschäfte, die
       zwischenzeitlich von Lockdowns betroffen waren oder nur begrenzt Kunden
       einlassen durften.
       
       Von Primark ist man aggressives „Union Busting“, also die systematische
       Bekämpfung von Arbeitnehmervertretungen, durchaus gewohnt – noch immer
       läuft etwa in Hannover die Auseinandersetzung um [3][die fristlose
       Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden].
       
       Edeka dagegen legt in seiner Außendarstellung sonst großen Wert auf die
       regionale Verankerung und gute Personalentwicklung. Noch während der langen
       und zähen Auseinandersetzungen zwischen Handelsverband und Ver.di ist das
       Unternehmen im Juli mit einer eigenen freiwilligen Entgelterhöhung
       vorgeprescht.
       
       ## Betroffen sind nur 150 Mitarbeitende
       
       „Was die Unternehmen jetzt machen, ist zutiefst unmoralisch und das
       Gegenteil von fairem sozialpartnerschaftlichem Umgang“, sagt Barbara Gorgs,
       Ver.di-Tarifkommissionsmitglied der Edeka Minden-Hannover
       Regionalgesellschaft. Keiner der Mitbewerber im Lebensmitteleinzelhandel
       habe das Weihnachtsgeld bei den Streikenden gekürzt.
       
       Vielmehr sei sogar denen, die keinen Anspruch auf Weihnachtsgeld haben,
       weil sie nicht in der Gewerkschaft organisiert sind, das volle
       Weihnachtsgeld bezahlt worden, so Gorgs: „Unsere Kolleg*innen brauchen
       ihr tarifliches Weihnachtsgeld, um Jahresrechnungen zahlen und ihren
       Kindern ein Weihnachtsgeschenk machen zu können.“ Als „Nachtreten“
       bezeichnet Gatz den Vorgang.
       
       Insgesamt kann es dabei auch nicht um Unsummen gehen: Ver.di spricht von
       ungefähr 150 Betroffenen bei Edeka und Primark zusammen. Das dürfte in der
       Summe weniger sein, als der Weihnachtswerbespot in diesem Jahr gekostet
       hat.
       
       23 Dec 2021
       
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