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       # taz.de -- Tagestreff für Obdachlose am Alex: Obdach und Leberkäs
       
       > Im Hofbräu am Alexanderplatz können Obdachlose eine warme Mahlzeit
       > bekommen – auch zu Weihnachten. Die kalten Tage treffen Menschen ohne
       > Wohnung hart.
       
   IMG Bild: „Next time we'll talk in english“ sagt Bernd zum Abschied
       
       Berlin taz | Vor dem Seiteneingang des Gasthaus Hofbräu am Alexanderplatz
       lehnt ein Mann an einem Poller, er wirkt nicht ganz nüchtern.
       Security-Mitarbeiter bringen ihm Essen runter. Bis er ausgenüchtert genug
       ist, die mit rotem Teppich ausgelegten Stufen in das Obergeschoss des
       Wirtshauses allein zu schaffen, muss der Mann draußen bleiben und dort
       essen. Immerhin: Er bekommt so eine warme Mahlzeit in der Kälte.
       
       Seit dem 15. Dezember ist das Gasthaus Hofbräu am Alexanderplatz für
       Obdachlose geöffnet. In dem Gewölbe stehen lange Tafeln und Bänke aus Holz.
       Die Servietten, Bierdeckel und Speisekarten sind genauso bayrisch blau-weiß
       kariert wie die Banner, die von der gewölbten Decke hängen. Gusseiserne
       Kronleuchter schmücken sich mit Hopfengirlanden, und von irgendwoher ertönt
       „Last Christmas“.
       
       Ungefähr 50 Menschen sitzen auf den Bänken – manche schlafen, andere
       unterhalten sich gedämpft oder lesen Zeitung. Von Montag bis Freitag,
       jeweils von 10 bis 16 Uhr können bis zu 200 Wohnungslose sich hier wärmen,
       sich austauschen und miteinander speisen – alles mit Abstand und Maske,
       aber ohne 3G-Regel. Auch ungetestet öffnet sich hier also die Tür. Bei der
       Eröffnung waren es nicht mehr als 20 Menschen, die über den Tag verteilt
       eintrafen. Seitdem hat sich die Zahl fast jeden Tag verdoppelt, berichtet
       Natalja Miletic, die Leiterin der Kooperation. „Bis Ende nächster Woche
       werden wir die Kapazitäten ausfüllen.“
       
       Jeden Tag können sich die ersten 200 Besucher:innen auf eine warme
       Mahlzeit direkt aus der Hofbräu-Küche freuen. Auf der Speisekarte gibt es
       immer ein fleischhaltiges und ein vegetarisches Gericht plus einen
       Nachtisch.
       
       Neben der warmen Essen- und Getränkeausgabe gibt es ein niedrigschwelliges
       Angebot zur Sozialberatung. Das Projekt „Frostschutzengel“ der [1][Gebewo]
       soziale Dienste bietet Hilfe bei der Schlafplatzsuche an, beim Einrichten
       von Postadressen oder beim Erstellen des Hartz-IV-Antrags, und das in
       mehreren Sprachen.
       
       ## Unterwäsche wird gebraucht
       
       Ein paar Quadratmeter der Etage werden durch eine Kleiderbörse ausgefüllt.
       Alle können sich hier mit winterfesten Kleidungsstücken einkleiden, private
       Sach- aber auch Lebensmittelspenden werden zu den Öffnungszeiten jederzeit
       entgegengenommen – besonders Unterwäsche, Handschuhe und Mützen werden
       immer gebraucht. Ab voraussichtlich Januar soll es auch medizinische
       Versorgung vor Ort durch das Deutsche Rote Kreuz geben.
       
       [2][Bereits im vergangenen Jahr wurde das obere Stockwerk zum Tagestreff
       für Obdachlose]. Während Corona sei die Alternative Leerstand, sagt Björn
       Schwarz, leitender Geschäftsführer des Hofbräu. Sein Betriebsrat, der sich
       ehrenamtlich bei dem Sozialträger Gebewo engagiert, kam im letzten Winter
       auf die Idee, die ungenutzten Räumlichkeiten für die Kältehilfe
       umzufunktionieren – so entstand der Tagestreff Mitte.
       
       Das Projekt wird dabei auch in diesem Jahr durch die Sozialverwaltung
       finanziert. „Wir erhalten eine Pro-Kopf-Pauschale je obdachloser Person –
       kostendeckend, aber nicht gewinnbasiert“, erklärt Schwarz. Miete wird für
       die eigentlich als Veranstaltungsfläche dienenden Räume vom Hofbräu nicht
       gefordert. Die Gelder des Senats ermöglichen es Schwarz, auch einige seiner
       Mitarbeiter:innen aus der Kurzarbeit rauszuhalten.
       
       Natalja Miletic war schon letztes Jahr dabei. „Unser Konzept war immer,
       allen auf Augenhöhe zu begegnen“, sagt sie. Deshalb seien wohl auch viele
       der Gäste aus dem letzten Jahr wiedergekommen. Das mache sie auch traurig,
       sagt Miletic, da es bedeute, dass sich ihre Lebenssituation seitdem nicht
       gebessert habe.
       
       Bernd ist Doppelstaatler (halb amerikanisch, halb deutsch) und möchte
       eigentlich mit uns über Politik reden. Am liebsten wäre er jetzt in
       Amerika: „Januar bis März ist die schönste Zeit für mich in Florida.“ Er
       war der erste der Obdachlosen, der 2020 ins Hofbräuhaus kam. Seine goldene
       Brille glitzert im Licht und mit den angegrauten Haaren und der Halbglatze
       sieht er ein bisschen so aus, wie man sich einen verrenteten Spion
       vorstellt.
       
       Bei Bernd, amerikanisch liebevoll „Börny“ ausgesprochen, kam heute Leberkäs
       mit kleinen runden Kartoffeln auf den Tisch, dazu Pudding mit Soße. Nur das
       Sauerkraut war mittags um halb zwei schon alle. Wenn „Börny“ gegen Mittag
       ins Hofbräu kommt, bringt er Zeitungen mit – für alle, zum Lesen.
       
       Angesichts der [3][Omikron-Variante des Coronavirus appelliert die
       Regierung mit neuem Nachdruck an die Bürger:innen], wo es geht, zu Hause
       zu bleiben – für wohnungslose Menschen schlicht unmöglich. In Zeiten der
       Pandemie ist der Zugang zu Orten, an denen sich Obdachlose aufhalten oder
       auch nächtigen können, stark eingeschränkt. Notunterkünfte und Tagestreffs
       reduzieren ihre Platzanzahl, Bahnhöfe sind nur noch unter Einhaltung der
       3G-Regelungen aufsuchbar. Dabei betont Natalja Miletic, dass es bei vielen
       nicht die Impfung ist, die fehle, sondern die Bescheinigung dieser.
       
       Im November stellte die ehemalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die
       Linke) ihren [4][„Masterplan zur Überwindung der Wohnungs- und
       Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030“] vor. Dazu gehört das bedingungslose
       Bereitstellen von Wohnraum und das Schaffen sicherer Orte, von denen
       Obdachlose nicht vertrieben werden. Auch 24-Stunden-Unterkünfte sieht der
       Masterplan vor. Was die neue Sozialsenatorin [5][Katja Kipping (Die Linke)]
       daraus macht, bleibt noch abzuwarten.
       
       Am Dienstagabend, ihrem ersten Tag im Amt nach der Vereidigung am
       Nachmittag, begleitete Kipping einen Kältebus: „Ich habe großen Respekt vor
       der Arbeit und dem sozialen Engagement der Beschäftigten und ehrenamtlich
       Helfenden der Stadtmission“, sagte sie.
       
       Acht Notübernachtungen der Kältehilfe Berlin bleiben dieses Jahr über die
       Feiertage auch tagsüber geöffnet, da voraussichtlich weniger als die Hälfte
       der Tagesstätten offen sein wird. Das Hofbräuhaus gehört zu denen, die
       nicht schließen. Es gibt Essen und an Heiligabend werden 200 Geschenke an
       Wohnungslose verteilt. Gebraucht werden dafür nicht nur Spenden, sondern
       vor allem auch Personal.
       
       Auch Natalja Miletic wird an Weihnachten da sein. Ihr macht die Arbeit
       Spaß: „Die Leute kommen gerne her, weil sie hier nicht unsichtbar sind, wie
       leider so oft auf der Straße.“
       
       Im Berliner Ensemble läuft übrigens gerade eine viel gefeierte Inszenierung
       der [6][Dreigroschenoper] von Bertolt Brecht. Beim Rausgehen sammelt das
       Theater für die Kältehilfe. Der letzte Satz im Stück: „Denn die einen sind
       im Dunkeln Und die anderen sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte.
       Die im Dunkeln sieht man nicht.“
       
       Päckchen können noch bis zum 23. 12. (zwischen 10 und 16 Uhr) in der
       Karl-Liebknecht-Str. 30 abgegeben werden. Wunschliste auf der
       Facebook-Seite der Berliner Kältehilfe.
       
       24 Dec 2021
       
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