URI: 
       # taz.de -- Stille Nacht im Wohnheim: Gefährliche weiße Weihnachten
       
       > Viele Austauschstudierende, ausländische Arbeitskräfte, Geflüchtete oder
       > Alleinstehende werden an den Feiertagen allein sein. Das hat auch
       > Vorteile.
       
   IMG Bild: Ein echtes Zweihnachtswunder
       
       Als ich zum Studium von Marokko nach Tübingen gezogen bin, hatte ich noch
       viel privat mit Deutschdeutschen zu tun. So mit Freundschaften und
       gemeinsam kochen und ins Theater gehen.
       
       In Tübingen war ich dank eines Stipendiums zusammen mit 51 weißen
       Studienanfänger*innen in einem Programm für universitäre
       Allgemeinbildung eingeschrieben: ein Jahr kreuz und quer studieren, worauf
       man Bock hatte. Ich fühlte mich dabei manchmal wie in der Nafri-Version von
       Kevin allein zu Haus.
       
       Kurz vor meiner ersten Weihnachtszeit als Student fragten mich meine weißen
       Kommiliton*innen, wie ich denn ins ferne Afrika komme, um dort mit meiner
       Familie zu feiern. Auf meine Antwort, dass ich die weite Reise aus
       finanziellen Gründen nicht antreten könne, reagierten viele emotional: Eine
       Studentin war den Tränen nahe bei dem Gedanken, dass ich die Feiertage
       alleine verbringen müsse. Für eine performativ-christliche Einladung in
       eine Alman-Familie hat es aber nicht gereicht.
       
       Ich habe mich neulich an diese Zeit erinnert, weil viele
       Austauschstudierende, ausländische Arbeitskräfte, Geflüchtete oder
       Alleinstehende in den kommenden Tagen [1][wieder einsam sein werden].
       Schauen Sie mal nach ihnen oder bringen Sie eine Schachtel (gute!) Pralinen
       vorbei. Mit Mitleid müssen Sie aber nicht nerven.
       
       Endlich alle weg 
       
       Ich habe mich damals gefreut, dass alle finally weg waren. Endlich konnte
       ich mich von der klassistischen Wucht des deutschen Hochschulwesens erholen
       und von der unangenehmen Atmosphäre, von Tübinger Grünen-Wähler*innen
       umgeben zu sein. [2][Keine rassistischen Nebensätze] in Seminaren, niemand
       kommentierte meinen „pechschwarzen Haarhelm“, keiner konnte mit mir über
       [3][meine persönliche Haltung zum Islam] reden. Schön.
       
       Dann kam sie wirklich, die stille Nacht, und ich war ganz alleine. Obwohl
       meine Mutter diese Zeit mit Nafri-Akzent hartnäckig immer „Zweihnachten“
       nannte. Im Wohnheim war ich am 24. der letzte Verbliebene. Ich liebte es,
       endlich etwas zu kochen, ohne irgendeinem reichen Alman-Kind eine
       Extraportion zubereiten zu müssen, damit für mich auch etwas übrig bleiben
       würde.
       
       Am Abend hörte ich ein Röcheln. Der griesgrämige Ehemann der Hausmeisterin
       stand im Treppenhaus mit einem riesigen Fleischermesser bewaffnet. Ich
       stand an der Treppe im zweiten Stock, er war schon in den ersten Stock
       geschlichen. Er habe aus seiner Wohnung im Erdgeschoss Geräusche gehört und
       sei sich sicher gewesen: Einbrecher!
       
       Er stellte mir Fragen, um zu überprüfen, dass ich wirklich Student war.
       Seine Frau bestätigte ihm, dass ich der Mohamed aus dem zweiten Stock sei,
       ich hatte mit ihr in den ersten Monaten gebonded, weil wir beide die
       Hygieneprobleme der privilegierten Akademikerkinder unerträglich fanden.
       Ein „Aktenzeichen XY Xmas-Edition“ blieb uns so erspart. Ein echtes
       Zweihnachtswunder.
       
       24 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Buch-ueber-das-Alleinsein/!5801020
   DIR [2] /Spielfilm-ueber-den-Monte-Verit/!5819342
   DIR [3] /Buchbesprechung-Muslimaniac/!5821311
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mohamed Amjahid
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Studierende
   DIR Kolumne Die Nafrichten
   DIR Weihnachten
   DIR Kolumne Die Nafrichten
   DIR Kolumne Die Nafrichten
   DIR Kolumne Die Nafrichten
   DIR Kolumne Die Nafrichten
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nachruf auf Betty White: 99,9 Jahre unproblematisch
       
       Es gibt das Vorurteil, alte Menschen lebten nicht auf der Höhe der Zeit.
       Betty White bewies bis zu ihrem Tod das Gegenteil.
       
   DIR Präsidentschaftskandidat Zemmour: Diversity-Party für Rechtsextreme
       
       Wieder mal könnten unsere französischen Nachbarn ein Stück weiter Richtung
       politischer Dystopie rücken. Dafür muss Zemmour nicht mal gewählt werden.
       
   DIR Legalisierung von Cannabis: Wer gewinnt, wer verliert?
       
       Der Verkauf von Cannabis soll legal werden. Kiffer:innen freut's. Doch
       wer denkt an die, die bis jetzt für Anbau und Handel kriminalisiert werden?
       
   DIR Tod in Gewahrsam verschwiegen: Das Polizeiproblem ist überall
       
       In Wuppertaler Polizeigewahrsam ist ein Mann ums Leben gekommen. Zu lange
       erfuhr davon niemand.